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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 1
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Geiger, Albert: Chopin
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Schmidtbonn, Wilhelm: Ein Wintertag im Odenwald
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0045

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III.
Es war einmal. Im letzten Abendrot.
Du saßest an den lieben Tasten wieder.
Du spieltest dir die traurig süßen Lieder,
zu schwichtigen des eignen Herzens Not.
Da war eS, daß ich meinen Mund dir bot.
Das Köpfchen schüttelnd, sahst du schweigend nieder.
Und draußen, traurig süß wie deine Lieder,
verblutete sich sanft das Abendrot.
Und als noch immer flehend suchen gingen
die leisen Töne — suchend nimmer mich —
da stand ich auf und zwang mein heißes Ringen.
Da neigtest du mit schweren Augen dich.
Und was die Lippen zitternd nun empfingen,
das war von dir. Doch war cs nicht für - mich.

in Muttertag im Odenwald.
Von Wilhelm Schmidtbonn.
Keine herkömmlich fröhliche Fahrt solls heute werden
zu den Freuden des Winters, zu Tannen, deren Grün
lebcnstrotzig aus dem lastenden Schnee herauösieht, zu
weißen Berglinien, die in strahlendes Himmelsblau
ragen, zu der Stille des menschenleer gewordenen
Waldes und der wundcrselig reinen Lust, die aus dem
Atem, kaum daß er dem Mund entwich, duftig aus-
steigende Wölkchen macht —das alles soll die Wanderung
nur nebenher begleiten, die Fahrt selber aber soll dem
Tode gelten oder dem vielmehr, das ihm vorangeht:
dem Ringen ums Leben, der bangen und aufjubelnden
Hoffnung, die sich von aller Starre des Schnees nicht
erdrücken läßt. Und nicht dein leisen, unsichtbaren
Ringen, daö in den Asten und GraSwurzeln unter der
weißen Last zittert, sondern dem starken Kamps, den
Menschen um ihr Leben führen.
Wie rühmt man so gern die Zahl der Fabrikschlote, der
großen Städte, der Schienenstränge, die überall in deutschen
Landen ins Unermeßliche gewachsen ist. Aber wie die
Natur in allein ihr Gleichgewicht haben muß, so hat
auch die andere Wagschalc ihr Gewicht geftmden, ohne
daß man dafür zu sorgen brauchte. Die Zahl derer,
die krank sind an dieser Kultur, die siechen, weil ihnen
die srohmachcnde Sonne, das grüne GraS und die
Ruhe des weitgespannten Himmels fehlen, ist nicht
weniger gewachsen. Menschen und Blumen sind nicht
gar so verschiedene Dinge: beide haben sie Lust und
Licht nötig, wenn sie sich nicht in sich selber verzehren
sollen. Da eilen denn alt die blutleer Gewordenen,
Hustenden und Abgcmagerten in den Süden und den
gesundmachcnden Sonnenschein da, oder, klopft die
Sehnsucht nach der Erdsrciheit nur erst einmal ein
wenig in ihnen an, dann wandern sie in den leuchtenden
Sommcrtagcn mit dem Strom der Tausenden an die
Seen und Meere, in die Berge und Wiesen hinaus.
Das heißt, wenn sie Zeit und Geld haben. Die aber
weder Zeit, weder Geld haben — und deren sind noch

mehr — die sitzen und stehen, schreiben und feilen und
hämmern weiter, können nichts tun, als voll Zeit zu
Zeit über die Arbeit weg einen Blick zum Fenster
hinaus schicken; die Backen fallen ihnen ein, sie husten,
husten — bis sie zu Bett gebracht werden und nicht
inehr ausstehen.
Das spielt sich nun nicht ganz mehr in dieser Art
ab. Die Vereinigungen von vielen Menschen, die sich
Staat, Gemeinde oder wie immer nennen, haben in
dem Hilft- lind Gcrechtigkcitödrang, der eines der
schönsten Zeichen unserer kraftvollen Zeit ist, hier schnell
eingegriffen. Man will auch den Ärmsten ihr Teil an
Lust lind Sonne geben. Daö ist ein leichteres Be-
ginnen, seit man zu der Erkenntnis gekommen ist,
daß es nicht die Luft und Sonne südlicher Länder sein
muß, daß im Gegenteil für die, die noch Kraft sich
zu wehren in sich haben, deutscher Himmel und
deutscher Wald, deutsche Tannen zumal, noch heilsamer
sind. Man hat sogar die Furcht vor dein weißen
deutschen Winter verloren. Mitten in die Wälder, aus
die Höhen der Berge hat man Heilstätten hingcsetzt,
die Hunderten und Tausenden lungenkranker Arbeiter
lind Arbeiterinnen die Möglichkeit, sich daö tägliche
Brot zu verdienen, wieder schaffen. Es ist ja nicht so,
daß bloße Menschenliebe diese Stätten erbaut habe.
Eine Rechnung in Zahlen bürgt bester für ihre Dauer:
die Anstalten, die krankeil Arbeiter» Renten auszahlen
müssen, sparen nur, wenn sie die Kranken, die sie sonst
jahrelang verpflegen mußten, einige Monate hier oben
hin bringen und sie wieder arbcitostark machen.
Man lud mich ein, ein solches Bergbeini, daS die
hessische Versicherungsanstalt mitteil im Odenwald er-
richtet hat, zu besuchen, und ich zögerte nicht lange, die
seltsame Wanderung zu machen.
ES ist ein stiller, verhangener Wintertag. In
Hanau führen die Schicneil des großen Verkehrs in
eine andere Ferne, und ein nur bescheidenes Jüglein
trägt den Reisenden südwärts bis tief in die Kiefer»
des alten deutschen OdenwaldeS. Die kurze zurecht-
weisende Art des Schaffners der befahrenen Strecken
ist bald der behaglichen, vertraulichen Art biederer
Männer gewichen, die noch Zeit haben, zwischen An-
kunft und Abfahrt die Hände in die Manteltaschen zu
stecken lind über das Wetter zu reden. Daö alte
Seligenstadt mit seinen nächtlich schwarzen Türmen
bleibt zurück. Von Höchst führt uns der überdachte
Wagen der Anstalt, von zwei breiten Rossen gezogen,
in schwankem Laus über die Landstraße hin, durch einen
enger werdenden Wiescngrund, lim den in zackigem Um-
kreis die dunklen Linien der Odcnwaldbergc sich heben und
senken. Dann schreite» die Pferde langsamer aus, der
junge Kutscher mit lachenden Augen und riesenhaftem
Rücken klettert vom Bock lind geht rufend lind mit
der Peitsche schlagend nebenher: wir steigen zu Berge.
In gerade fortlaufender Ebene, in den gelben Sand
des Berghangs eingeschnitten, Wald und eine» sprin-
genden Bach neben sich, zieht die breite feste Dtraße
hinan. War schon vorher das Gefühl da, daß das
Ende der Welt nahe sei, so trägt einen der rollende
Wagen noch immer näher an dieses Ende heran. Die
große lärmende Welt ist wirklich in kaum vorstellbarer


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