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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 5
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Langhoff, Gustav: Die Gefilde der Seligen, [1]: Kleinstadtszenen$nElektronische Ressource
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Treu, Reinhold: Gerhart Hauptmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0168

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Die Gefilde der Seligen.

schillernde rechts, bis sie sich wieder in der Mitte trafen,
und das Wiedersehen in der gleichen Weise vor sich
ging wie die Trennung.
„Eigentlich die beste Gelegenheit, Sie mit der Ge-
sellschaft bekannt zu machen," sagte Lisbeth, Freude im
Herzen, daß sie einigen Spott ausgießen konnte.
„Seien Sie gnädig mit den Opfern."
Lisbeth lachte:
„Zunächst natürlich Mmtögenchtsrats^." Die Alten
ein zärtlich liebend Paar, die schöne Erna eine könig-
liche Erscheinung, ohne königlichen Inhalt, d. h. das
gestatte ich mir zu sagen, von anderen würde ich eö
nicht dulden. Lisbeth, nach öffentlichen Bemerkungen
ihrer eigenen Rabenmutter in Hut- und Konfektions-
geschäften eine Mißgeburt: schwieriger Charakter, sonst
noch unbescholten."
Cordes protestierte belustigt gegen diese Kritik, in-
dessen Lisbeth, angefeuert durch seinen Beifall, zu
immer treffenderen Bezeichnungen der armen Opfer kam,
ihrem Tänzer ein lustiges Zerrbild der Gesellschaft zu
vermitteln.
Rechtsanwalt Schmidt stand mit Erna still, erhob
gebietend seinen Arm und die Musik schloß mit
schmetterndem Akkord, um im nächsten Augenblick in
die „Donauwellen" überzugehen. Im Walzer hüpften,
schwebten, schleiften die Paare, Seligkeit für die einen,
keuchende Qual für die anderen.
Die Tänzerinnen wurden gewechselt, nur Cordes
lind Lisbeth blieben zusammen. Oben auf der Estrade
aber stand Rechtsanwalt Schmidt, bewegte seine langen
Arme wie Luftschlangen hin und her und rief, bezaubert
von der Macht der Töne: „Schmalz, Schmalz, Schmalz."
Und seine harmlos verliebten Äuglein freuteil sich aller
ihm zulachenden Blicke der Damenwelt.

erhärt Hauptmmm.
Die Berliner haben seinem neuen Drama
Kaiser Karls Geisel eine Ablehnung bereitet,
die gegen den Dichter eine Ungezogenheit, bei dem Stück
aber berechtigt war. Dieses Legendenspiel muß denjenigen
enttäuschen, der eS in einer hciinlichen Hoffnung zur
Hand nimmt, eS möchte nun gerade etwas daran sein.
ES ist nicht nur kein Bühnenstück, sondern auch kaum
eine Dichtung. Gerhart Hauptmann hat kein Glück mit
Versen; sie haben ihm sein „Märchendrama" von der
versunkenen Glocke zu einem schwächlichen Ding gemacht,
und man möchte fast glauben: sie hätten ihm auch hier
die Hand frühzeitig lahm gemacht. Wenn er die Prosa
verläßt, verläßt er die Mutter Erde, wird blutarm, dünn
und schwächlich. Seine Freunde haben ihm diesmal
tröstend in der Presse vorgerechnet, daß er eine Skizze
oder mehr noch: Fragmente einer großen Dichtung zu
früh ans Licht gebracht habe. Freilich steht er mit seinen
18 Dramen gegen seine Kollegen Kleist und Hebbel sehr
fruchtbar da: aber ob gerade diesem Legendenspiel mehr
Unfertigkeit anhaftet als den anderen Stücken? Jeden-
falls liegt seine Schwäche in andern Dingen. Haupt-
mann ist aus dem Naturalismus heraus gewachsen,
seine schönste Wirkung ist die, wenn er aus dem sorg-

fältig geschilderten Alltag unmerklich und leise in die
Höhe weist; er hat nichts Eindringlicheres geschrieben,
als den Schluß von Michael Kramer, wo aus einem
kleinlichen Menschen auf einmal die Ehrfurcht vor dem
Größeren ergreifend ausbricht: „Wo sollen wir landen,
wo treiben wir hin? Warum jauchzen wir manchmal
ins Ungewisse. Wir Kleinen, im Ungeheuren verlassen?"
Diese Apotheose des Kleinmuts ist die höchste Grenze
seines Könnens nach dem Pathos und der Größe hin.
Nur im Kontrast zur Kleinwelt vermag er die Größe
anzudeuten; geht er von Anfang an mit großen Schritten
hinein, so werden ihm die Beine lahm, wie man an
dieser Kaiser Karls Geisel sehen muß, wo ein großer
Kaiser sich zum Schluß vom „Pöbel" zu einer Theater-
pose drängen läßt, so daß man das Buch mit einer
wahrhaften Schamröte aus der Hand legt.
Denn der es schrieb, ist nicht der oder jener, sondern
trotz allem Hetzgeschrei der dramatischen Konkurrenz
einer der Wenigen, die Bühnenstücke geschrieben haben
und Dichter dabei blieben. Und nichts ist heilsamer,
als nach diesem Legendenspiel seine „Gesammelten Werke"
aufzuschlagen, die seit Anfang 1907 in sechs Bänden
vorliegen, durch E. R. Weiß vielleicht ein wenig breit-
spuriger auSgestattet, als es ihre Natur erlaubt. Da
muß man nun freilich eine Vorrede in sechs Sätzen
lesen, die vor diesen Werken nicht stehen dürfte, und
die gegen seine geistige Verfassung bedenklich einnimmt.
Wie dieser Dichter überhaupt ein Rätsel ist, wenn er
wie in seiner neulich publizierten griechischen Reise (Neue
Rundschau) aus der Umhüllung seiner Werke heraus-
tritt. Man darf nicht daran denken, wie sich Kleist,
„Uber das Marionettentheater" etwa, und Hebbel in der
Vorrede zur Maria Magdalena aussprachen, sonst muß
man an den gedanklichen Fähigkeiten dieses Dichters
durchaus zweifeln. Auch an seiner Kraft, persönliche
Eindrücke wiederzugeben. Er erscheint dann wie ein
wahrhafter Theaterspezialist, eine Art Wundermann, der
erst auf der Bühne zu seinem rätselhaften Leben erwacht.
Denn daß unter seinen 18 Dramen einige sind, die
sich vorläufig neben den Schätzen unserer Literatur vor-
trefflich halten: das kann nur der böse Wille leugnen.
Sonderbar ist nun allerdings, daß sich darunter eigent-
lich keins der sogenannten sozialen Dramen befindet;
auch die einst vielbcwundertcn „Weber" kaum. Sie sind
zu viel für ihre Zeit, statt aus ihrer Zeit geschrieben, und
muten — zum wenigsten beim Lesen — heute schon alt-
fränkisch an. Viel gewaltiger als soziale Dichtung spricht
der historische Florian Geyer zu uns, in dem wirklich
das Volk zum Helden geworden ist, was an den „Webern"
in ihrer Zeit so leidenschaftlich gerühmt wurde. Der
Dichter hat im Naturalismus begonnen; aber seine Natur
war niemals robust genug dazu; er ist in den Schatten
Ibsens geraten, aber dazu ist seine Problemstellung zu
zart und auch wohl zu schlaff; seltsam und ergreifend
aber ist er, wenn irgendwo im Alltag gleichsam sein
trauriges Menschenauge uns anblickt, wenn auf einmal
— wie eben im Michael Kramer — ein lyrischer Strom
in seiner naturalistischen Schilderung aufbricht, so daß
wir unvermutet an ewige Dinge geführt werden. Man
hat ihn oft lind gern einen Novellisten genannt, der
seine Gebilde fälschlich aufs Theater brächte. Er ist es


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