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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 2
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Pahncke, Max [Hrsg.]: Beiträge zur Charakteristik Kinkels und seiner Bonner Freunde, [2]
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Müller-Freienfels, Richard: Alfred Mombert
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0079

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Beiträge zur Charakteristik Kinkels und seiner Bonner Freunde.

mehr verflachte? — da müßte er von jeher flach gewesen
sein, wenn er jetzt schon seine Tiefe erschöpft, seine Indi-
vidualität erfüllt hätte. . .
Jos. Kinkel an W. Beyschlag. IZ. Sept. I84D
. . . Ihre Antwort.... hat den letzten Rest von
Bitterkeit aus meiner Seele weggcnommen. Ich für
meine Person verzeihe Ihnen vollkommen jede Über-
treibung Ihres vorigen Briefs, vorausgesetzt, daß Sie
ebenso die übertriebene Heftigkeit verschmerzen, mit der
wir denselben ausgenommen. Für Gottfrieds Stimmung
indes kann ich einstweilen noch nicht gut sagen. Er
hat von uns allen mit der meisten Kälte und Ruhe
Ihre Angriffe ausgenommen....
Sagt man dem Freunde das erste allzuherbe Wort,
so sieht man an seiner Miene, ob er genug hat, oder
mehr vertragen kann und soll. Schriftlich ists schlimm;
man kann nicht einlcnken. So ein Brief geht wie eine
Pflugschar über das zuckende Herz; da ist kein Jnne-
halten noch Zurückziehen....
In Einem Punkt bin ich vollkommen mit Ihnen
einverstanden. Ich wünsche nichts sehnlicher und arbeite
mit Bitten und Gründen darauf loS, daß Gottfried
den Äußerungen des Hasses gegen seine Fakultät end-
lich ein Ziel setze. An seinem Geburtstage habe ich ihm
daö Versprechen abgenommen, nie mehr dieses Thema
freiwillig auszurühren .... Ihren Einwurs: „diese
Männer haben aus Überzeugung gehandelt", kann ich
nicht wohl annchmcn. Aus Überzeugung handelt die
Inquisition auch . . .
Am 4. September habe ich auf dem Berg mit
inniger Liebe und großem Schmerz an Sie gedacht und
im stillen einmal aus Ihr Wohl den gelben Becher ge-
leert. Die andern merkten cs, und G. fragte mich, ob
es so sei. Ich mahnte daran, wie traurig Sie gewiß
zu der Stunde seien, und daß ich sicher wüßte, daß
Sie lins alle doch noch lieb hätten. Ich hoffe es wird
noch alles gut, wenn schon G. noch nicht daran glauben
will....
W. Beyschlag an A. Wolters. Bonn, 9. Nov. I84Z.
.... Kinkel ist nicht zum Theologen gemacht. Er
hat weder spekulative Tiefe und Schärfe noch eine ge-
waltige religiöse Glut des Herzens; er ist eine klare,
verständig-praktische Natur, deren Befähigung ganz
anders wohin weist, als auf die Lebensfragen der Kirche
des 19. Jahrhunderts. Kinkel hat ein schönes, seltenes
Talent, das Leben und die Menschen auszubeuten,
darauf beruht seine immer verständige und daher nur
in gewissen Schranken vorzügliche Poesie, darauf vor
allem sein sichrer und klarer Blick in die Geschichte und
sein beneidenswertes Lehrtalent. Die Geschichte ist sein
eigentliches Gebiet, und zwar keineswegs in besonderem
Grade die Kirchcngeschichtc (von der er immer nur
Eine Seite fassen wird, die Neandern abgeht, zu der
aber Neander die andere virtuos zu entwickeln versteht),
sondern Staaten-, Kultur- und Kunstgeschichte, und in
diesen: Gebiete ist wiederum weit weniger die strenge
Forschung seine Sache, als die Gestaltung und Dar-
stellung, in der er, wie ich auch jetzt noch anerkennen
muß, Meister ist* ....
* Diese Charakteristik und Wertung Ks. ist meines Erachtens
die klarste und treffendste, die bisher geschrieben worden ist.

Jac. Burckhardt an W. Beyschlag.
Basel, den 14. Januar >844.
.... Nun scheint es Dir zu mißfallen, daß Kinkel
von einer ganz passabeln Orthodoxie aus, gleichzeitig
mit seinen Fakultätsleiden, zur Negation übergeht; Du
denkst, äußere Umstände hätten mitgewirkt. — Lieber
Junge, betrachte einmal den Bildungsgang Luthers!
Erst wenn die Autoritäten vor unseren Augen sich
sonnenklar blamieren, schwindet das prsstixium, womit
sie unsere Jugend umgaben, und dann steigt plötzlich
unsere kritische Tätigkeit und zwar reißend schnell. In
diesen: Punkte sind wir alle am Anfang Kinder und
ausö Erleben angewiesen. — Daß K. als Mensch ver-
loren habe, ist eine melancholische Grille von Dir; —
ich habe mich im vergangenen Herbst von neuem von
seiner Urgesundheit und ewigen Jugendlichkeit über-
zeugt . (Schluß i»c nächste» Heft.)
lfred Mombert.
Immer wieder in: Laufe der Jahrhunderte steht
plötzlich einer aus und gemahnt daran, daß
unser Denken ein allzu enges Gefäß sei, die ganze Fülle
des Seienden damit zu erschöpfen, daß inan niemals mit
Begriffen und Syllogismen ins Innere der Welt ein-
dringen werde, daß aber der Kern der Natur den Menschen
im Herzen sei. Wohl mag man für den Alltagö-
gebrauch auskommen mit einer rein intellektuellen Welt-
anschauung; ein Geist, der in die Tiefen strebt, wird
niemals damit zufrieden sein. Wohl hat die Wissen-
schaft, solange sie Wissenschaft bleiben will, recht, wenn
sie sich mit den: Positiven begnügt und alle Metaphysik
abzuweisen strebt, aber sie sollte sich auch immer klar
halten, daß die Grenzen des Erkennens und die Grenzen
des Existierenden nicht zusammenzufallen brauchen, daß
es sehr wohl Dinge in voller Realität geben kann, die
sich begrifflich nicht beschreiben lassen. Gerade eine
strenge Erkenntniskritik muß ja daraus führen, daß die
Welt nicht nur quantitativ, das heißt räumlich und
zeitlich, sondern auch qualitativ unendlich ist, daß es
außerhalb unserer sieben Sinne (die neuere Psychologie
nimmt bekanntlich außer den fünf gewöhnlichen Sinnes-
gebieten noch gesonderte Temperatur- und Organempfin-
dungen an) sehr wohl noch unendlich viele andere Be-
ziehungen zwischen den Dingen der Welt geben kann,
für die wir nur kein Organ haben, die aber dennoch
real sind und deren Wirkungen wir wohl zuweilen ver-
spüren. Maeterlinck hat in seiner Blindenszene symbolisch
ein solches Fühlen von Dingen dargestellt, für die kein
Organ vorhanden ist, die nur dem Gefühle dumpf und
ungeheuer sich bemerklich machen. Wie der Blinde von
Licht und Farben umgeben ist, ohne sic zu merken, ja
ohne einen Begriff davon zu haben, so geht es uns
mit allem Außersinnlichen. Man braucht nicht Spiritist
zu sein, um daS zu glauben. Wird unser Verstand das
vielleicht niemals ganz begreifen, zuweilen taucht in
unfern: Gefühle dennoch eine Ahnung solcher Dinge auf
und, wenn der Wissenschaft das ewig versagt bleiben
wird, versagt bleiben muß, in jene Gebiete des Un-
erkennbaren vorzudringen: der Kunst, die nicht durch
den Verstand, sondern gerade durchs Gefühl aus uns


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