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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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[Heft 6]
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rath, Willy: Von der Ausstellung München 1908
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Schur, Ernst: Die Berliner Sezession
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0211

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Offenbarung wirksamer Kunst erscheinen, die in ihrer Einfachheit
an die Geschichte vom Ci des Kolumbus erinnert.
Doch wir dürfen uns heute ja mit Einzelheiten nicht weiter
befassen. Die unendlich verschiedenartigen Ausstellungsgegenstände
zu würdigen, vom Unterrichts- bis zum Brauereiwcsen, vom
reformierten „Münchncr-Andenken":Zauber bis zu den echten
alten Holzheiligen, das bleibe abgesprochenermaßen dem „spätem
Kollegen" überlassen. Nur dies: daß im ganzen wirklich nicht
zu viel versprochen wurde, wenn es zuvor hieß, durch die Art des
Darbietens solle alles Dargebotene, selbst das Trockenste, unter-
haltend anmuten. Die bildmäßige Gruppierung, die stilbewußte
und ansprechende Innenarchitektur all der Räume zeigt einen
höchst wesentlichen Teil der Ausstellungsaufgaben liebevoll und
glücklich gelöst.
Durch das Zusammenwirken so vieler rüstiger Künstler wurde
eine bei solchem Umfang wohl noch nie erlebte Einheitlichkeit
erreicht, eine starke innere Strenge und eine entzückende äußere
Buntfröhlichkeit. Ich glaube, dies „München ISO8" ist in der
Tat ein einziges Dokument gut angewandter Kunst geworden,
ein münchnerisches Fest schöner Sachlichkeit. Willy Rath.

ie Berliner Sezession.
Das Große, Bedeutende ist auch diesmal ausgeblicben.
Dafür entschädigt die Vielseitigkeit des Gebotenen, die es ge-
stattet, die mannigfachen Bestrebungen in der modernen Malerei
an den verschiedenen Objekten kennen zu lernen. Bis in die ge-
heimsten Tendenzen der Entwicklung wird hincingeleuchtet; wer
ein feines, achtsames Auge besitzt, wird viel Interessantes wahr-
nehmen. Cs ist der Leitung gelungen, einen Durchschnitt zu
geben,,, der in seiner Übersichtlichkeit sehr lehrreich ist.
Über drei Generationen schweift der Blick. Leibl, Liebermann
und die alten Stützen der Sezession, die Jungen. Den festen
Mittelpunkt bildet das Lcibl-Kabinett. Man kann nicht sagen,
daß diese Sammlung viel Neues bringt, noch daß die Auswahl
eine vorzügliche ist. Aber doch hat man genug Anlaß, dankbar
zu sein für die Genüsse, und man hört, vertieft man sich erst in
diese Werke, auf zu fragen, warum jetzt gerade eine Leibl-Aus-
stellnng, die doch nur Teile und Fragmente geben kann?
Hier steht man einem Künstler gegenüber, dessen Art den
alten Meistern nahekommt. Schönheit des Malerischen und
Charakter der Erscheinung ist in dem Werk zu einer so stark in
sich ruhenden Einheit verbunden, daß aus dem ganz Persönlichen
der Gestaltung das Allgemein-Wertvolle sich bedeutungsreich heraus-
hebt. Hier hat ein Schaffender unserer Zeit die Linie erreicht,
bei der große Kunst, Kunst aller Zeiten beginnt.
Eine Atelierszene (Unterhaltung zweier Freunde) und das
Porträt einer Dame in Schwarz sind unbestreitbar die Perlen der
Ausstellung, und die Stadt Reichenberg, die sie hcrgeliehen hat,
kann stolz auf diesen Besitz sein. Die Arbeiten stammen aus
der Zeit 70/7 Z und sind in jener flüssigen, breiten und lockeren
Malerei gehalten, die Leibl in seiner besten Zeit so wundervoll
handhabte. Das Grau und Schwarz und Braun ist auf beiden
Bildern unerhört fein zueinander gestimmt. Selbst die Über-
zieher und Hüte auf dem Hintergrund des Atclierbildes haben
eine staunenswerte Schönheit weich ineinander übergehender Töne,
die Dame in Schwarz hat in der Stellung etwas, das an Belasquez
erinnert. Auch hier ist aus dem flüssig gemalten Schwarz etwas
herausgcholt, das sich als künstlerische Qualität unweigerlich ein-
prägt. sind vor allem ist hier, wie auf dem erstgenannten Bilde,
auf die Hände zu achten, die so lebendig und ausdrucksvoll sind,
die mit zartester Feinheit in den Fleischtönen gemalt und dabei
zugleich so vollendet modelliert sind.
Neben diesen beiden Meisterwerken verblassen die anderen
Werke; doch sind auch unter ihnen noch hervorragende Schöpfungen.
Wenn man Nummer für Nummer chronologisch durchgeht, spürt
man unwillkürlich dem Entwicklungsgang des Künstlers nach.
Vier Perioden kann man mit Leichtigkeit unterscheiden. Einmal
die genannte weiche malerische Art, in der er solche Tonschönheit
erreicht, daß wir dieser Etappe den Preis geben. Dann kommen
die Bilder, in denen Leibl der realistischen Erscheinung mehr Be-
rechtigung zukommcn läßt, in denen er genauer in der Form wird.
Das sind meistens Köpfe, deren feine Beleuchtung auffällt. Man
denkt an Holbein. Dann braunsaucige Bilder, gemalt, wie es
damals in München üblich war. Und schließlich die Werke der

späteren Jahre, in denen er in engen Bauernstuben malte und
dadurch zur Nahbetrachtung angchalten wurde. Alle diese Perioden
aber unterscheiden sich so stark, daß nur der Katalog diese Ver-
schiedenheiten zusammenhält. Ein Beweis für das energische
Suchen und Lernen dieses Künstlers, dessen Sonderlingswesen —
eine typisch deutsche Erscheinung — ihn schließlich von der reichen
Schönheit seiner Jugendschöpfungcn zu der unleugbaren Enge
seiner Alterswerke führte. Man kann diese Art der Entwicklung
ebenfalls bei Böcklin und bei Menzel feststellen. Eine Auswahl
von Zeichnungen zeigt gleicherweise ein mannigfaltiges Versuchen.
Malerische wie zeichnerische Art wechseln ab.
Leibl vermeidet das Pathos. Er vermeidet jede Gewalt-
samkeit im Stoff und in der Technik. Er will nicht auffallen.
Und erreicht dadurch, daß er in unserer Zeit doppelt auffällt.
Die alten Stützen der Sezession sind sehr zurückhaltend ge-
wesen. Nur mit ein paar Werken sind sie vertreten, und diese
geben keine neuen Überzeugungen. Als bestes Werk wird man
Slevogts Kleopatra, ein Porträt der Schauspielerin Durieux,
ansehen müssen. Cs ist mit erstaunlichem Temperament gemalt,
man spürt die künstlerische Erregung. Cs schimmert in den
erlesensten Farben. Wie fein spielt das Licht hin über diese
Pracht der Farben. Mit welchem Geschmack sind die Vorhänge
des Hintergrunds gemalt. Lieb er mann ist mit Bildnissen ver-
treten; das rassige Temperament, der zuchtvollc Wille kommen
in ihnen zum Ausdruck; nervös und unerbittlich ist hier um eine
Form gerungen, die manchmal vielleicht zu markant geprägt ist.
Cs stören vielleicht die etwas zu weißlichen, kalkigen Töne im
Gesicht. Corinth stellt unter anderm einen sehr fein gemalten
liegenden weiblichen Akt aus, bei dem die Leichtigkeit und Grazie
des Farbigen zu bewundern ist. Das hellrosigc Fleisch und die
graurosige Decke, auf der der Akt liegt, sind mit seltener Delikatesse
kontrastiert und miteinander ausgeglichen. Leistikow versucht in
seinen Landschaften aus dem Dekorativen herauszukommcn, er
will leichter, lockerer malen.
Dies die alte Garde.
Die Jugend ist wohl noch niemals so zahlreich in der Sezession
aufgetreten, wie diesmal. Ihre Werke geben der Ausstellung das
Gepräge. Man merkt deutlich das Herannahen einer neuen
Generation mit neuen Idealen. Die Kritik hat ihr kein Will-
kommen zugerufen. Im Gegenteil, selbst diejenigen, die sonst der
Sezession unbedingt freund sind, rücken ab. Und tun das mit
einer so auffälligen Miene des Abscheus und der Mißbilligung, daß
ein Teil davon wieder auf sie zurückfällt. Ja selbst das moralische
Register wird gezogen, und Kritiker wie Rosenhagen und Muscher
werfen den jünger, Künstlern vor, daß sie Akte nicht anständig
genug malen. Nun — seit wann kündigte sich eine neue Gene-
ration nicht in Übertreibungen an? Die allgemeine Note dieser
Jugend ist: das Hinstreben zum Dekorativen. Man strebt weg
von dem bloß naturalistischen Abbild der Natur und strebt hin
zu einem markanten geprägten Bilde. Cs spricht sich ein neues
Formgefühl, ein neues Kompositionsstrebcn darin aus. Wenn
sich diese jungen Leute nun Cszanne und van Gogh zum Muster
nehmen, soll man sie darum schelten? Haben nicht die Lieber-
mann usw. auch ihre Vorbilder gehabt? Und wer sie damals
schalt, galt als rückständig, und die jetzt entsetzten Kritiker waren
ihre Lobredner. Jedenfalls klingen die Vorwürfe etwas abgeschmackt
und ähneln stark der Tonart der damaligen Rückschrittler, gegen
die eine der Zukunft vertrauende Kritik anging. Weshalb soll
man jungen Leuten nicht gestatten, daß sie sich ein wenig aus-
toben. Wie konsequent diese Entwicklung vor sich geht, das er-
mißt man, wenn man sich klar macht, daß diese Tendenz genau
übereinstimmt mit dem Bestreben unserer Zeit zum Kunstgewerbe,
zum Dekorativen, zur Architektur, mit dem Streben, herauszukommen
aus der bloßen Bildermalerei. Das Raumgefühl ist in dieser
Generation lebendig. Eine Disziplinierung des Talents spürt
man bei ihnen. Wenn man bei den einen merkt, daß sie vom
Kunstgcwerbe sich haben beeinflussen lassen und im Geist die
Räume sehen, für die sie schaffen — ist das ein Fehler? Wenn
man bei anderen das Nachwirken der modernen dekorativen
Graphik merkt — kann sich daraus nicht etwas Neues entwickeln?
Die Weiß, Hofer, Freyhold, Orlik, Hettner, Hermann,
Baum, Tuch, Brockhuiscn, Beckmann sind doch nicht nur
alberne Trottel, die ihre Impotenz verstecken unter einer Groß-
mannspose- Es sind doch Menschen unserer Zeit; Künstler, die
um eine neue Form ringen. Wenn jetzt die altgewordenen
Kritiker, die einst die Liebermann usw. hochgebracht haben, vor


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