Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Pahncke, Max [Hrsg.]: Beiträge zur Charakteristik Kinkels und seiner Bonner Freunde, [1]
DOI Artikel:
Geiger, Albert: Chopin
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0044

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Beiträge zur Charakteristik Kinkels und seiner Bonner Freunde,

mit der man keinen Staat schaffen kann. Und so dünkt
mich, daß man Paulo ein äsiaont! geben darf, wenn
er alle Erkenntnis in Christo vereinigt glaubt: es wird
ein großer Überschuß weltbewegender Ideen, notwendiger
Ideen, für unsere Gegenwart unentbehrlicher Ideen in
das erweiterte Christentum ausgenommen werden müssen,
von denen der Menschensohn entweder nichts gewußt
oder nichts gesagt hat. Exegetisch nähere ich mich der
Überzeugung, daß JacobuS am reinsten das anfängliche
Christentum, wie sein Bruder dasselbe gelehrt, aufbe-
wahrt hat, daß daraus die Reden in den Synoptikern
uns das richtige Bild geben, Johannes aber schon den
Heiden nachgibt und den höchsten menschlichen Genius
apotheosiert hat. Auf gleichem Wege ist Paulus. Eben
darum haben sie die Welt bekehrt — sie gaben ihr, was
sie wollte und bedurfte zum Übergang aus dem Poly-
theismus — einen sinnlich vorstellbaren Gott. Darum
wurde Paulus von den Judenchristen, die offenbar die
echteste Tradition von Christo und seiner Lehre aus un-
mittelbarer Anschauung haben mußten, so grenzenlos
gehaßt: sie sahen in ihn: den Rückschritt vom strengen,
reinen Monotheismus, den endlich das Judenvolk nach
langen, Kamps mit der Naturkrast in Baal usw. geistig
erobert hatte, zu einem nur anders gefärbten Heidentum:
zur Anbetung des Menschengcistcs! Aber in der Kirche
übcrwog die heidnische Anschauung, je mehr sie sich dem
Westen zuneigte. Hier liegt das Geheimnis ausgesprochen,
warum diesen, neuen Heidentum dcö Abendlandes gegen-
über der orientalische, streng monotheistische Isla», sich
noch einmal durchsetzen konnte. Die Kirche hatte die
Ebjoniten ausgcstoßen, hatte die Monarchiancr (die sich
allesamt aus die bisherige Kirchenlehre stützten, lesen
Sie nur Lobegott Lange „die Unitaricr") als Ketzer
verurteilt, und endlich sogar sich polytheistisch zur Trini-
tätölehre ausgebildet — sie konnte nicht inehr zurück.
Da war es denn natürlich, daß man zuletzt seinen Gott
zu essen und sein Blut zu trinken wünschte. Die Refor-
mation hat nur die argen Konsequenzen weggcschnitten,
das Prinzip, die Sozinianer machten Ernst in, Dogmati-
schen wie die Bauern in, Praktischen, wie Zwingli in,
Sakramentlichen; Luther und Calvin dachten: msäio
tutissimus Ibis, und die Zeit war zu sinnlich, UN, Trini-
tät und alten Sakramentöbegriff fallen zu lassen. Ich
fürchte, eine Folgezeit wird jene erstgenannten kräftigen
Naturen, obwohl sie suo towxoro unterlagen, dem
Luther und Calvin vorziehen, so gut wir jetzt schon an-
fangen, den Jakobuö vor dem Paulus, das Mariuö-
evangeliun, vor den, vierten zu bevorzugen. Sollte
nun endlich die Zeit gekommen sein, den llsL;
wieder als Einen zu fasten, das Wort
Jesu: „Niemand ist gut, denn Gott allein" in seinem
einzig möglichen Sinne zu fassen, daß er sich näm-
lich Gott gegenüber auch nicht gut, d. h. nicht zur
Idee der Güte entwickelt, nennen mag, und so endlich
den Punkt zu finden, wo Platon, Christus, Apollonius
von Tyana, am Ende auch MoseS und Mohamed,
harmonieren? Wohl zu merken: diese Männer nicht
zu fassen, wie Simon von Tournay mit seinem
Spruch üs tribus imposioribuZ, sondern wie Severus
Alexander getan hat: Gott bildete er nicht ab, son-
dern nur, zur Anschauung der höchsten Ideale, welche

die religiöse Menschheit erzeugte, eben jene Religions-
stister?
Ich habe diese verwegenen Gedanken, die, wenn sie
wahr sind, den Punkt deutlich zeigen, aus welchem die
Menschheit, ohne Missionare, durch dieselbe Kraft, mit
der in, Heidentum Sokrates, im Judentum Moses,
Samuel, Elias aufstanden, einst den Spruch realisieren
wird, daß sie Eine Herde unter Einen, Hirten bilden
soll — ich habe diese Gedanken noch niemals so voll-
ständig ausgesprochen noch hingeschricben wie in diesem
Briefe.
... O ja, es ist nicht mit gotischen Schnörkeln
ausgezackt wie Nitzschs System, es ist eine Wahrheit
so schlicht und einfach, wie Luthers Predigten den
(juasstionss des Ouus Lootus gegenüber. . .
Mir kehrt sich die Geschichte nun schon geraume Zeit
auf merkwürdige Weise um: die Erscheinungen, welche eö
Mode ist zu verwerfen, heben sich mir als Glanzpunkte der
Menschheit hervor, und wenn ich bedenke, daß Christus
gekreuzigt worden ist, so hat die Verdammung von
seiten der Welt kein bestimmendes Gewicht über mich ...
(Fortsetzung im nächsten Heft.)
M)opin
Drei Sonette von Albert Geiger.
I.
Grau ist die Dämmerung i»S Gemach gesunken.
Du spielst. Chopin. In Träumen lausch ich dir.
Dein zarter weißer Nacken leuchtet mir,
als Hab er alles Licht des Tags getrunken.
Aus deinen Fingern sprüht es wie von Funken
geheimer Sehnsucht. Doch sie gilt nicht mir.
Ünd dennoch sitz ich wie verzaubert hier,
am Mund den Pelz, der dir herabgesunken.
Warm duftig weich kost er an meinem Munde
Er hat auf deiner zarten Haut geruht.
Auf deines Nackens lieblich weichen, Runde.
In ihn veratn,' ich meine stille Glut.
Verzaubern soll ihn diese Dämmerstunde.
Mein zehrend Feuer ström' er dir ins Blut.
II.
In blauem Samt die zärtliche Gestalt.
Das Köpfchen schmachtend in kokettem Neigen.
In tiefen Augen ein beredtes Schweigen.
So übst du, Süße, heimliche Gewalt.
Du spielst. Die zarte Seele Chopins hallt
verführerisch aus den, bizarren Reigen.
Da brichst du ab. Die bangen Töne schweigen.
Nicht die Melodik deiner Lichtgestalt.
O spiele nicht mehr. Lasse sie nur klingen,
des zarten Leibes leichte Harmonie,
der feinen Linien heimlich zitternd Schwingen.
Du weißt es: meiner Seele Melodie
ist nur gestimmt auf dieses leise Klingen
und seine lieblich zwingende Magie.

28
 
Annotationen