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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 2
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Eck, Miriam: Dem Abend zu
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0083

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ein Abend zu.
Skizze von Miriam Eck. (Karte Scbaldt.)
Die beiden Alten gingen über den Nonnenberg und
dann durch den Wald nach der Anncnhöhe. Der Mann
trug einen Rock von schäbig brauner Farbe wie die
Herbstblätter, in die sein Knotcnstock eintauchte. Aber
der Träger hielt sich gerade wie ein alter Soldat, ob-
schon der Oberkörper zu stark war für die Beine, die
ibn trugen. Die Frau hatte einen langen, seltsamen Mantel
um die Schultern mit einem Überwurf darüber, und dieser
Mantel, der den Ton alter grüner graubcmoostcr Bäume
zeigte, schien ehrwürdig durch die Vornehmheit seiner
Farbe und der Form. Und so sahen die beiden Leute,
die langsam den sonnendurchleuchteten Waldweg hin-
scbritten, aus wie Gestalten ganz aus dieser herbstlichen
Gcbirgs- und Harzlandschaft herausgeboren.
Es war Frost gewesen in der Nacht, und die Ahorn-
blätter hatten sich auf dem steilen Weg zur Anhöhe in
die Rauhreiskruste eingcprägt; wenn der Wind oder ein
Fuß sie sortwchtcn, sah man die feine Zeichnung wie
ein gepreßtes Muster.
Bei dem alten Drudenstein, der eine Tischplatte
bildete und auf der Anhöhe stand, zeigte der Mann
der Frau die duftigen Berge und unten Goslar, die
alte Kaiserstadt. Und als er eben mit dem Stock ihr
zum wievieltesten Mal die Kirchen und Türme zu er-
klären begann, läuteten die Glocken.
Die Frau, deren Gesicht verarbeitet und älter war
als das des Mannes mit dem festen Bcrgmannskopf,
verstand kaum was er sagte. Sie fühlte nur, daß das
nur ihr Gefährte war in Leid und Arbeit, den der Tod
schon einige Male beim Genick gepackt hatte in schwerer
Gichtkrankheit, den sie schon lange wie einen halbtoten
Klumpen gepflegt und der trotzdem fast rüstig mit der alten
fröhlichen Frische in den Augen neben ihr dahinschritt.
So kamen sie ein wenig erst herab und dann ein
wenig wieder herauf zu den schönen Waldpfaden, die
ihren armen hartgewohnten Füßen schmeichelten. Der
Boden schien fast nachzugeben, und sie atmeten den
Tannenduft. Sie gingen nicht mehr rasch; der Mann
am Stock ein Endchen voraus; und sic, vom Leben zu
größerer Beladenheit geschaffen, kroch hinterher in ihren,
wackelnden Gang und freute sich, wie tapfer er schon
wieder auSschreiten konnte. Da schoß es auö den Tannen
behend und braun, fast wie ciA Hase und wie die
braunen Raschelblätter. Und als es näher kam, er-
kannten sie den kleinen Teckelhund.
„Schniefte!" tadelte die Frau. Aber ein Pfiff von
weit her rief den Hund zurück, stutzend erst, um dann
pfeilschnellen Laufes zu verschwinden.
„Das ist der Hund vom jungen Herrn," bestätigte
der Alte bedächtig, und konnte bald, der immer noch
die guten scharfen Augen hatte, von weither eine rote
Primaner-Mütze schimmern sehen und zwei bewegliche
Gestalten, die sich in raschem Jugendgange näherten.
Sie schlenkerten im Takt mit den verschlungenen
Händen, und lösten sie im Ruck beim Anblick der alten
Leute, und ihre Wangen wurden röter, und um den
Mund des Mädchens zeigte sich die lieblichste Ver-
legenheit.

Der Alte aber freute sich des jungen Lebens und
stellte das Pärchen scherzhaft mit seinem Knotcnstock,
und ließ ihm gar nicht Zeit, seinen Gruß zu erwidern,
und knüpfte schon behaglich eine Belehrung daran: wie
es nun komme, daß der Waldteich oben trockengelegt
und daß der Schlamm entfernt werden müsse, und daß
es seit hundertfünfzig Jahren zum erstenmal in solchen,
Umfange geschehe; und sprach von Lokomobilen und
Wasserkraft, von Turbinen, Eiscnmäntcln und Drossel-
klappen, und der Jüngling nickte und half sich hin und
wieder mit einer geschickten Antwort durch. Daö Mädchen
aber sah den Alten an und war erstaunt, daß er den
schmalen Mund nur halbwegs öffnete, um seine klugen
und einfachen Worte gleichsam entschlüpfen zu lassen,
und sah die Hellen unschuldigen Augen leuchten in der
freien Luft.
Der kleine Braune war schon mahnend hin und
her gelaufen. Nun schlug die Jugend wieder ihr stür-
misches Zeitmaß ein. Und der Alte sah ihnen nach
und staunte: cs war doch sonderbar; sie hatten so viel
Zeit und waren doch so eilig; und ihre, der Alten Zeit
war knapp und mußten sie doch laufen lassen.
Und mit den Blättern wirbelnd sauste das Mäd-
chen fort, daß ihr das weinrote Kleidchen flog, und der
Jüngling eilte hinterdrein, daß seine rote Mütze vor
ihnen tanzte wie ein Ball, und Schniefte lief dazwischen
mit seinem braunen Fell.
Nach diesen, Aufenthalt gingen die beiden Alten weiter
und kamen an dem HauS des Bergrats vorbei und
sahen die Erzgruben und davor das Ziel, dahin sie heute
wollten wie an so manchem Tag: zum Teich im Walde,
de» sic nun ausgcbaggert hatten.
Aber ehe sie den Platz erreichten, wo die kräftigen
Männer noch bei der Arbeit waren, und wo der klare
Gebirgsbach staute und plätscherte, da hörten sie ein
Trommeln und Pfeifen und Kommandieren von Hellen
Knabenstimmen, und sahen drüben auf der Wiese einen
Trupp von Knirpsen, die ein regelrechtes Exerzieren
vollführten mit Meldungen und Verweisen und Be-
ratungen, mit „Stillgestanden!" und „Vorwärts marsch!"
und wildem Trommelwirbel, daß die kleinen Beine in
stolzem Takte dah,„flogen, die Wangen in der frischen
Luft sich röteten und die Augen jeden Zukunftsfeind
niederblitzten.
Und da vergaß der alte Wandersmann den Teich
und seine Baggerung, Turbinen und die ganze Industrie
und freute sich von Herzen und tat den luftigen
Parademarsch fast mit, mit seinen steifen Füßen. Er
hätte seine Jahre schier vergessen mitsamt der Gicht,
aber da war daö alte Mütterchen auö all den langen
Wanderjahren. Und es war auch ganz behaglich, so ins
Vergangene zurückzuschaucn. Zurückzusehn, wie die
Jugend so ahnungslos und hoffend und frech herauf-
zog. Und so wichtig! Acb! So wichtig!
Da lächelte der alte Mann und sah fast wie ein
Weiser die letzten Sonnenstrahlen ihr Gold an all die
Kiefernzweige hängen und auf den Weg hingießen,
bevor die Nacht ihn nahm mit ihrer stillen Dunkel-
heit. Und nahm sein altes Weibchen bei der Hand
und trat den Rückweg an, bergab inö Tal, darin
nun schon die Abendkühle den Rauch in dünnen
Säulen zog.
 
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