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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 4
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Westermann, Charlotte: Knabenbriefe, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0133

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nabenbriefe.
Der fünfzehnjährige Astorre Mansredi an den
siebzehnjährigen Francesco Gonzaga.
Von Charlotte Wcstermann. (Schluß.)
Don Aftorre Manfredi,
Signor von Faenza und Grafen von Jmola.
Dem Loredan Hab ich Euer Exzellenz Kette und
Münze nach Euerm Wunsche gegeben, und eitel wie
alle zu Venedig hat er sie sogleich auf sein grünes
Sammetwams gehängt. Wenn es Euch genehm, wird
er Euch, da sich Eure Abreise doch verschoben, zu
Ravenna erwarten und Ihr könntet die Reise in seinem
Geleite sortsetzen. Er hat sich bereits vor vier Tagen
von dem erlauchtesten Herzog verabschiedet und wartet
augenscheinlich aus den Befehl, der ihn nach Hause
ruft. Da er vermutlich beauftragt. Euch zu geleiten,
wird er warten müssen, bis Ihr die Fahrt antretet.
Es ist Euch, geliebter Vetter, vielleicht gar nicht
wider den Strich gegangen, daß Eure Ungeduld statt
Tagen Wochen aus die Erfüllung Eurer Wünsche warten
mußte. Es freut mich im Herzen, daß Ihr, statt nach
Navarin in See zu stechen, die Zumutung der Republik,
an den Küsten Süditalienö zu kreuzen und im Bereiche
Eures Staates dann an Land zu gehen, abgcwiesen
habt. Als Soldat hättet Ihr allerdings gehorchen
müssen; doch hattet Ihr Euch gegen eine Einmischung
in die inneren Verhältnisse unseres .Landes gut ver-
klausuliert. Daß Venedig sofort von seinem Vorhaben
abstand und Euch Zeit läßt, dürfte Euch mit hohen
Träumen von der Wertschätzung Eurer Persönlichkeit
erfüllen. In der Tat pflegt der Senat von San
Marco einem jungen Kriegsmann seiner Armada selten
entgcgcnzukommen und noch seltener nachzugeben. Vene-
dig wartet nur ab. Täuscht Euch nicht. Erlauchter und
Vielgeliebter, und verwechselt nicht den Drang des Innern
mit der Rolle, die Euch zugeteilt. Man macht mit
Euer Exzellenz Politik und Ihr seid der Signorie ein
willkommener Anlaß, langgehegte Pläne auszuführen.
Verzeiht meiner Freundschaft meine Offenheit. Spiel
ist alles, waö wir auf dieser Erde treiben müssen, und
ein trotzig Hintenüberstemmen wirft uns desto wuchtiger
vorn in den Sand. Ich sehe die Verhältnisse da oben
im Norden, wo jetzt der Schwerpunkt Italiens ruht —
wie ich Euer Exzellenz nur wiederhole — mit Augen
an, die vor dem blinden Urteil durch meine Stellung
als Fürst der Kirche und vor allem durch meine poli-
tische Gleichgültigkeit bewahrt sind. Herr Gismondo
Malatesta ist jetzt Venedigs Freund, um den Papst zu
reizen. Ihr werdet ihn in seiner Stadt Ravenna sehen
und deshalb wird Herr Loredan bei Euch sein, der hier
überflüssig geworden, da seine Geschäfte gelungen sind.
Venedig hält sich keinen Gesandten mehr, wenn seine
Sache getan ist. Die ganze Lage hat sich durch die
Annäherung der Republik Florenz an Venedig zum
Nachteil des Papstes verschoben.
Seine Heiligkeit berauscht sich, wie meine Brüder
aus Mantua berichten, an dem Gedanken eines Kreuz-
zuges gegen die Türken, und darum will er nichts

unternehmen, weil er Venedigs bedarf. Zugleich aber
befindet sich der Papst in den Klauen der neapolitanischen
Agenten, hinter denen noch die Briefe des Kardinals
Scarampo aus dem unruhig gewordenen Rom her-
fliegen. Ihr seid jetzt gebunden, mit Venedig zu stehen
und zu fallen. Mein erlauchter Vater, Herr Lodovico,
sowie der Herzog von Mailand, der erlauchte Sforza,
und Herzog Borso sind fast wider ihren Willen zur
Einigkeit gezwungen, denn je deutlicher sich deö Papstes
Abhängigkeit von Don Ferrante zeigt, desto gefahrloser
erscheint ihnen die Allerheiligste Person desselben und
desto mehr besorgen sie von einer Liga der Republiken.
Dies soll das Letzte sein, das ich Euer Exzellenz Mit-
teilen kann. Ich billige Euer Verhalten in der An-
gelegenheit mit Donna Leonora in jeder Beziehung,
und noch mehr entzückt mich Eure Zurückhaltung waö
Venedig betrifft. Laßt Euch dreimal holen als einmal
befehlen. Denn niemals hätte die erlauchte Republik
Euer Angebot so schnell gewürdigt, wenn Ihr nicht
der Herr von Faenza und Imola wäret, dessen großer
Anhang im Kirchenstaate dem Papste auf jede Bewegung
seiner Finger sieht und sie zu korrigieren imstande scheint.
Genug. Verhaßt ist mir alles, waS nach Partei
und Anteil riecht; doch wer mir so teuer wie Ihr, ge-
ehrtester Vetter, hat Anspruch aus meine Wissenschaft
zu erheben, soweit sie mir geläufig. Nur ein Fädlein
bin ich, daö am äußersten Rand deö Netzes sich spannt,
daö über Italien liegt. Wer wird die große Spinne
sein, die als Herrscherin darin sitzen soll?
Eine andre Herrin ist mir beschieden. Zerstochen von
Mücken, gepeinigt von den Knochen eines mir viel zu
schweren Gaules, dem unvermeidlichen Ehrengeschenk des
sehr erlauchten Herzogs von Modena, kam ich hier an.
Und kaum, daß ich mich notdürftig gereinigt, befahl
Madonna Jsotta meine Aufwartung. Ich traf sie in
der Loggia gegen den Garten mit zweien ihrer Frauen.
Sie hatte sich eben den Kops gewaschen, und ihr braun-
rotes Haar fiel offen über den Rücken in die sanften
Kehlen ihrer Knie. Es roch nach zwanzig Essenzen und
ich weiß nicht mehr, ob sie ein weißes Sammetkleid
mit Überwurf von bräunlichem Brokat trug oder ob ihr
die Haare den blanken Leib umhüllten. Doch da ich
nicht Herr Federigo bin, wird dies wohl eine Täuschung
meiner Sinne gewesen sein. „Ich empfang Euch wider
Sitt und Art, Vetter —" meinte sie und winkte den
Frauen, sich ins Zimmer zurückzuziehen. Wir plauderten
eine Zeit und mir ward immer seltsamer, weil sie so
reizend aussah und so harmlos sich benahm. Sie hat
sich die Oden des Horaz schenken lassen und las mir
einige vor in einem Latein, das süßer klang als das
Rieseln deö Wassers, welches sich auö einem Löwenmaul
in ein Marmorbccken ergoß. Sie begann dann von
Euch zu sprechen, und wenn ich nicht Euch mit inniger
Seele liebte, hätte ich ihr den roten Mund zuhalten
mögen. Um Euch, Astorre, nahmen ihre Augen einen
Schimmer an, der zarter glänzt denn der Tau aus
Rosenblättern. Um Euch ward jede Kleinigkeit vom
Hose zu Navarra und den Tagen in Rom hervor-
gezaubert. Sie wünschte Euch im Panzer zu sehen,
wenn Ihr in Venedig einhergeht, und ihre Hände spielten
mit den seinen Spitzen ihrer Ärmel, als seien es Lieb-
 
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