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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 15.1908

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Heft 3
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Schäfer, Wilhelm: Emanuel von Bodman
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https://doi.org/10.11588/diglit.26458#0104

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Manuel von Bodman
hat in den letzten Tagen des alten Jahres einen
Band „Der Wanderer und der Weg" (Verlag
Julius Bard, Berlin) erscheinen lassen, darin — so will
mir scheinen — die moderne deutsche Dichtung endlich
wieder einen Band voll Lieder und in diesem Sinn
das schönste Gedichtbuch aus unserer Zeit erhalten hat.
Ich weiß sehr wohl, wa§ dies zu Zeiten Liliencrons
und Dehmels, Momberts und Hofmannsthals, auch
Stefan Georges bedeuten muß, und glaube doch keinen
von diesen zu unterschätzen, wenn ich so hohe Worte
wähle. Es gibt Bücher von wilder Leidenschaft und Glanz
und Kraft und Tiefe, auch andere von erlesenem Ge-
schmack der Wortkunst, die ihm im einzelnen überlegen
sind; doch keinS von denen, die ich kenne, vereinigt
das, was wir vom Lied im höchsten Sinn verlangen:
Einfachheit der Form mit einschlagender Bedeutung
des Inhalts, also auch der Worte, so durchweg wie dieses
Buch, darin gleichsam die leidenschaftlichen Bemühungen
unserer Zeit um eine moderne Lyrik in Liedern geerntet
werden, die aus dem Herzen des Volkes selber ge-
sungen scheinen.
Nicht, daß es Lieder im Sinn des nachgemachten
Volksliedes wären, dafür wird heutzutage von anderen
gesorgt; vielmehr ist dieses Buch vom Anfang bis zum
Ende persönliches Bekenntnis, im Ganzen wie ein Epos
und in seinen: Hauptstück, den „Gärten der Liebe", wie
eine wahrhafte Liebesgeschichte in Versen zu lesen. Nur
daß es Bodman wie vormals Eichendorff gelingt.
Persönliches so wohlklingend einfach zu sagen, daß wir
eS unwillkürlich in: Lesen oder Sprechen als einen Teil
von uns, die Wandlungen, Sehnsüchte, Enttäuschungen
und Erfüllungen seines Gefühls ahnungsvoll als eigenes
Schicksal empfinden, wodurch eben das Persönliche zum
Allgemeingut, das Künstlerische volkstümlich wird. Volks-
tümlich nicht im Sinn von populär, das werden solche
Lieder erst — und meist zu ihrem Schaden — wenn
ihnen eine Melodie dazu verhilft, volkstümlich im edlen
Sinn des Wortes, von ihren: Volkstun: zeugend. Und
so wie sich die dumpfe Zeit vom Anfang des Jahr-
hunderts in Eichendorffs Gedichten verklärt und lauter
spiegelt, wie diese Zeit den Zeitgenossen niemals war,
so ist mein Glaube, daß auch in Bodmans Liedern für
unsere Kinder und Enkel ein Spiegel bleibt, darin
aus dieser viel zerrissenen Zeit unser Volkstum sein
Auge treu und klar aufschlagen wird.
. Dies könnte mißverstanden werden: die Kunst darf
nur zum Künstlerischen streben, und alle absichtlichen
Versuche zum Volkstümlichen müssen zur Unnatur und
Nachahmung führen. Die Lieder und Gedichte Bod-
mans sind mit allem rhythmischen Feingefühl, frei vom
Zwang des Metrums gemacht, wodurch die moderne
Lyrik 'ihre Bedeutung gewonnen bat, man wird eine
Zeile von ihn: im Klang nicht mit einer von Eichendorff
verwechseln können; ganz abgesehen von der veränderten
Form der Gedanken und Gefühle. Bodman ist, wie
Eichendorff, durchaus ein Kind seiner Zeit; wie jener
Romantiker war, ist er Moderner, um dieses Wort als
vorläufige Bezeichnung einer Bewegung zu gebrauchen,
die aus ihrem Wesen wohl noch einen bezeichnenden
Namen erhalten wird. Daß seine modernen Lieder sich

dem tiefen Grund deö Volkstümlichen so genähert haben,
verdanken wir — wie wiederum bei Eichendorff, denn
was hatten die von ihren mystischen Sehnsüchten un-
ruhig hin und her gerissenen Romantiker mit dessen
Klarheit zu tun — den: Wunder einer Persönlichkeit, die
mitten in unserer Überhitze und im Drang schlimmer
persönlichen Erlebnisse eine knabenhafte Keuschheit und
unbeirrbare Sicherheit des einfachen Gefühls sich be-
wahren konnte.
Man darf die I8O eng bedruckten Seiten seines
Buches getrost nach einem häßlichen, kleinlichen, eitlen
oder phrasenhaften Wort durchsuchen: man wird nichts
anderes finden als das Bild eines wahrhaftigen Menschen
im Goetheschen Sinn, von einer treuen aufrechten Seele,
die sich nichts verheimlicht, die allem, was aus ihren
Wünschen, Gedanken und Taten kommt, klar und
vertrauend ins Auge sieht. Ich wüßte keinen unter den
lebenden Dichtern zu nennen, der ihm in dieser unbe-
rührten Lauterkeit, in dieser Selbstsicherheit einer klar in
sich ruhenden Seele zu vergleichen wäre. Wohl hat
er wilde Wünsche und romantische Sehnsüchte, aber
wie er sie — gleich einem Knaben, der einen Schmetterling
betrachtet — in seine Hände nimmt und ohne Erröten
uns hinzeigt: das unterscheidet ihn von uns allen.
Nun sehe ich nicht, wie eö zu machen ist, daß Viele
sein Buch auch wirklich in die Hände nehmen; ich weiß
genau, man liebt die Dichter mehr, wenn sie durch
dunkle Stätten gegangen sind: die Reinheit braucht
man nicht, weil sie langweilt statt aufzuregen. (Ich
schätze z. B. zwei Drittel der Leser Dehmels aus „hoch-
moderne" Jünglinge und Frauen und höchstens ein
Drittel aus Genießer seiner großen Kunst.) Soll ich
nun sagen, daß „Der Wanderer und der Weg" trotz
seiner Lauterkeit fast eine Beichte ist und nun die Sach-
lichkeiten dieser Beichte reizend andeuten? Wie traurig,
daß wir in: Volk der Denker und der Dichter gar kein
Vertrauen zu jener Herzens- und Geistesbildung haben,
in der das Gute und Klare von selber Herzen findet!
Oder soll ich sagen: wer dieses Buch gelesen hat, der
geht noch lange mit seinen schönen Versen auf den
Lippen, er ist im Herzen besser und in einer Schönheit
reich geworden, von der er gar nicht fühlte, daß sie nicht
aus ihm selber kan:.
Nein, ich will sagen: wer jemals etwas bestätigt fand,
was ich in diesen Blättern empfahl, der glaube)! mir
dies eine Mal: ich bin gewiß, es wird nicht einer sein,
der mirs nicht dankt. Wilhelm Schäfer.

rühgang.
Weit komm ich her mit staubigen Schuhn,!
noch schläft mein Haus in den Bäumen.
Die hohen Bäume und Büsche ruhn,
nur die funkelnden Wellen schäumen.
Ein Fenster steht offen; mein Weib kämmt ihr Haar
und staunt ins erwachende Land.
Wie glänzt ihr Gesicht so morgenklar!
Wie fließt ihr Haar durch die Hand!
Ich stürme hinauf, ihre Knie, ihre Knie
mit heißem Dank zu umschlingen,
und da sieht sie mich schon und lächelt wie nie,
und unsere Herzen klingen.
Cmanuel von Bodman.



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