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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 12
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Blaß, Curt: Das Märchen von Käthen im Winde
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Hasenclever, Walter: Die Abenteurer
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0226
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Das Märchen von Käthen im Winde.

Dann sagte sie zu dem Könige, der daneben stand
und ihre Schönheit sah: „Nein. Das ist es noch
nicht." —

So ging das Spiel von neuem an. Endlich sagte
die Königin, vielleicht wünsche sie sich einen Gürtel,
silbern wie der Mond, sest wie Stahl, aber Icicht und
weich wie feinstes Linnen. Der König ließ die weisesten
und klügsten Leute k'ommcn, und aus ihr Geheiß wurde
ein Gürtel hergestellt, der bestand auö den Fäden einer
besondcren Spinnenart, kunstvoll verknüpft. Dieser
Gürtel war auch wirklich so fcst, so leicht und so weich,
wie Käthe eS gewünscht hatte, aber er war nicht so
ganz silbern wie der Mond. Ein altcr Goldschmied
wußte Rat. Desbalb sandte der König aus und ließ
den Tau aus den Kelchen einer seltenen Blume sammeln,
die nur alle hundert Jahre blüht. Da mußten die
Boten sast durch ganz Opunt suchen, bis sie genug bei-
sammen hatten, daß der Gürtel damit benetzt wcrden
konnte. Sofort entschwanden die letztcn Flecken, und
das Gewebe wurde lichtsilbern wie der Mond. Als die
Königin den Gürtel zu dem schwarzen Gewand angetan
hatte, stand sie lange auf ihrem Altan und ließ sich
den Wind durchs Haar spielen. Dann sprach sie zu
dcm König, der nebcn ihr stand und schon hoffte, diesen
Gürtel lösen zu dürfen: „Nein, auch das ist es noch
nicht. Aber jetzt weiß ich, waö es ist. Jch wünsche
mir einen Schmuck aus roten Edelsteinen, die wie
warme wciche Tropfen sind; denn mich sriert."

Der König sreute sich sehr, daß sie nun bestimmt
wußte, was sie wolle, und er zog allerorts Erkundigungen
ein, wo es etwa einen Schmuck dieser Art gäbe, aber
er fand keine Spur. Schließlich ersuhr er, daß in
einem fernen Königreich am andern Ende Opunts, in
einem uralten Königsschloß, solch ein Schmuck sich be-
finde. Er schickte seine Gesandtcn hin, ihn zu kaufen.
Sie boten ungeheure Summen, aber der sremde alte
König antwortete, der Schmuck sei nicht feil. Da be-
fahl der König, daß sein Heer von der Grenze ab-
marschiere, den Schmuck zu erobern. Es zog durch
viele immer fremdere Länder; wo es nicht sreien Durch-
gang erhielt, erzwang es ihn mit vielen Schlachten
und kam schließlich vor die uralte Burg. Aber die
Jnsassen waren tapfer, sie machten einen Ausfall und
schlugen das Heer und erschlugen die Soldaten bis auf
den letzten Mann.

Da lag auch einer todwund auf dem Blachfeld und
fühlte, wie der Wind über ihn strich. Er sprach: „O Wind,
es verlangt mein Blut, noch einmal die schöne Käthe,
die Königin, zu küsscn. Hilf mir dazu."

Der Wind vernahm es wohl und er fing die Bluts-
tropfen auf, die langsam von der Stirn des Sterbenden
tropften, und trug sie über alle Länder Opuntö weg,
hin wo die Königin auf ihrcm Altane saß und fröstelnd
weit hinaus schaute. Als nun der Wind die roten
dampsenden Tropfen auf ihr Haar und ihre Stirn, ihre
Schultern und Arme ausgoß, da ward ihr warm und
weh zu Sinn, daß sie weinte zum erstenmal, solange
sie denken konnte.

Der König kam hinzu, und wie er sie sah, rief er
voll Staunen und Freude: „O Käthe, du im Winde,
jetzt ist dein Wunsch dir erfüllt!"

„Ja," sprach sie und wehrte ihn ab, traurig unter
Tränen. „Doch warst du es, der ihn mir erfüllte?"

Sie zog das goldene Herzchen auö ihrem Busen
hervor, und nahm herauö den Zahn mit der Schlangen-
haut; sie hielt ihn auf schwebenden Händen. Der
Wind umschmeichelre sie, sanft erst, dann ungestümer.
Zu tanzen begann sie auf dem Altane, wie einst drüben
unter dem Birnbaum auf dem Berge; das schwarze
Kleid schmiegte sich um ihre Glieder, der mondsilberne
Gürtel schimmcrte unter ihrer Brust, und der rote
Tropfenschmuck glänzte ihr auf Haar und Stirn,
Schultern und Armen. Der Wind drang immer wilder
zu ihr hin, hestig und heftiger ward ihr Tanz, schneller
und schneller wirbelte sie mit ausgebreiteten Armen.
Dem Könige schien jede ihrer Bewegungen von fremdem
Reiz und wilder Anmut; dennoch rief er in Bangigkeit
und Furcht: „Halt ein, Käthe; ich bitte dich, halt ein!"

Schon stand sie und preßte die Hände ans Herz.
Der Zahn der Schlange drang durch seine Hülle, drang
durch Gürtel und Kleid, bis er die Haut ihres Leibes
berührte. Da sank sie und war tot.

Als der Wind erkannte, wie dieser Tanz ausgegangen,
stürmte er stöhnend davon, hinweg zu dem alten Birn-
baum, und erfüllte rings den Raum der Luft mit seinen
Klagen. So vernahm das Schlänglein droben auf dem
Berg, was geschehen. Es wand sich hinab ins tiefste
Geklüft, blickte mit seinen klug-traurigen Augen in sich
und sann schwer und lange, wann wohl die Menschen
lernen würden, einfache Weisheit von lockendem Jrrtum
zu scheiden.

Der König aber weinte sehr über des Mädchens
Leiche, beklagte und betrauerte sie ein Jahr und war
fast nicht zu tröstcn. Dann doch freite er eine Prin-
zessin, hatte Kinder mit ihr und dachte nur selten
mehr — wenn etwa der Wind brauste oder die Mutter
betteln kam - und nur mit Kopfschütteln an die
Käthe im Winde.

ie Abenteurer.

Von Walter Hasenclever.

Das war kein Werden und kein Weiterschaffen
mit dumpfen Menschen, die vom Leben nur
sich und ihr tägliches Geschäft verstehn,
die, wie gewohnt, am Pendelschlag der Uhr
ftumpfsinnig Jahre messen, Jahre verschlafen,
nicht wachsen wollen, nicht nach draußen greifen
und durch die großen Dinge atmend gehn,

Sterne verglühen, Welten sich bilden sehn,
mit Millionen durch rollende Ieiten strcifen. —

So zogen wir. Die Fenster im Zuge beschlagen
vom Nebel, und alles so feucht, so kühl —
was ein ungemütliches Gefühl,
halb Erwartung, halb Angft, halb Adieusagen —
dann das Schiff. Schwarz und ungeheuer.

Ein paar Menschen singen traurig ein Lied,
das wird langsam vom Winde hingetragen,
wo der rote Herbst aus die Wege fiel,
und wir ziehen mu.

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