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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 12
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Hasenclever, Walter: Die Abenteurer
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Hesse, Hermann: Gute Erzählungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0227

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Und daö Meer wird ünmer fremder und neuer,
cin grauwcißer Schaum fcgt um den Kiel,
und unten, da ballt manch einer die Händc:
Entweder gehts gut oder alleö zu Ende.

Nun kommt daö letzte Kartenspiel!

Wir zogcn mit zum Leeren, Ungewissen,
daö erst durch unsern Willen ward,
in einer tollen, namenlosen Fahrt.

Gejagt von Wolken und vom Sturm geschüttelt,
auf Wcllenbergcn hin und her gerisscn,
gepackt von derben Fäusten und gerüttclt
und hart gehämmert von Notwendigkeit.

Wir fällten Bäume, gruben Gold und schafften -
daö alles war für uns. Für uns allein.

Andre Erkenntnisse, andre Leidcnschaftcn
flogen rauschend mit in unö herein.

Dcnn jeder Tag, voll Sonne, Raum und Zeit,
machte unö stark, selbständig, weit -
im Schmutz der großen Städte, in Spelunken,
Diebshöhlen, bei heißen Weibern, beim Wein,
verspielt, vertrunken und danach versunken
in den Glanz einer großen Wirklichkeit.

Und weiter, wie Verirrte in den Ländcrn,

Urwäldern, Bergen, Flüssen und Palästen
sahen wir Menschen mit seltsamen Gewändern
und seltsamen Seelen angetan.

Wir blieben, lebten mit in ihren Festen
und wurden einö mit allem, was wir sahn.

Nur manchmal aus den roten Rosengärten
strich die Erinnerung. Ein Duft, ein Wind —
Geliebte, Freunde, Sehnsüchte, daran wir zchrten;
aber die unö sern und sremd geworden sind.

Und manchmal auch blieb einer von uns liegen
am Wege. Jrgendwo. Den sraß der Tod.

Da wußten wir: was uns auf jenen Fährten
noch hielt und vorwärts wandte, war kein Singen,
kein Glaube, keine Hoffnung: das war Not. —

So aber streiften wir im Tatenreich
von Sturm zu Sturm, von Meer zu Meer getrieben,
wir kreisten mit — planetengleich —
und auf jedem Ding, das wir im Wandern trafen,
groß die Erkenntnis einer Welt geschrieben:

Kein Schicksal tragen, sich sein Schicksal schasfen,
frei und allein versuchen, ob es geht. —

Denn wir Menschen sind größer alö wir ahncn,
größer alS irgend jemand versteht.

Mitten aus Jllusionen und Traum,
wo sollen wir hin mit unscrn Bahnen?

Bauen wir sie nur in den Raum!
abcr wcit — weit —

und hoch. Und hinüber, noch über den Sternen,
mit denen wir rollen, glühen, lernen,
auf Flügeln einer uferlosen Zeit.

ute Erzählungen.

Gegen daS Weihnachtsfest erlebcn die Herren
Verlcger wieder mit Lust und Bangen das
übliche Emporschnellcn des Bücherbedürsnisses, und jeder
hofft, er habe diesmal den Schlager im Katalog. Die

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Gute Crzählungen.

Käufer sragen ihrcn Buchhändler nach dem Autor deS
Jahres, den man lesen und schenken muß, und mancher,
der noch keinen Gottfried Keller besitzt, kauft cincn von
unscren Romanen und trägt ihn froh alö tcureö Gut
nach Hause.

Ehe ich nun ein paar neue Bücher empfehle, be
sinne ich mich aus die Namen unserer neueren Berühmt-
heiten und finde, daß manche von ihnen doch noch eineS
aufmunternden Hinweises bedürfen. Nämlich die Be-
rühmtheit heftct sich meistenö an ein einzelncs Buch;
wer das kennt, glaubt den ganzen Autor zu kennen.
Wer hat die „Buddenbrooks" nicht gelesen? Niemand.
Jhr Autor Thomas Mann ist unbestrütcn ein Berühmter.
Aber wer kennt seine kleineren Erzählungen, den „kleinen
Herrn Friedcmann" und den „Tristan"? Mir sind sie
reichlich so lieb wie die Buddenbrooks, und manche von
ihnen mußte ich mehrmals lesen. Thomas Mann ist
vielleicht der einzige unter unseren „Zntellektuellen" in
der schönen Literatur, bei dem ein großes Darstellungs-
vermögen dem geübten skeptischen Verstand die Wage
hält. Seine Novellen sind weniger Erzählungen als
Charakterstudien, aber sie sind alle bis in das einzelne
Wort hinein eigentümlich, scharfgeprägt und unendlich
überlegt, eine rechte Feinschmeckerkunst ohne alle Falsch-
heiten.

Auch Emil Strauß ist eigentlich nur mit einem
einzigen Werk bekannt geworden, mit dem „Freund
Hein". Es gibt von ihm aber noch den „Engelwirt",
die „Kreuzungen" und den Novellenband „Menschen-
wege". Strauß geht in allen seinen Erzählungen von
irgend einem ethischen Probleme aus, das ihn reizt, es
durchzusühren und unerbittlich zu seinen Konsequenzen
zu bringen. Dabei ist er aber mehr Dichter als etwa
Thomas Mann, und während er seinen Charakteren
nachgeht und scheinbar Psychologie treibt, spielen seine
Geschichten sich ganz wunderbar ins Runde und geben
sast ungewollt klare, reiche Lebenöbilder von eincr solchen
Reinheit und Haltung, daß der willige Leser in ihnen
nicht nur interessante Sonderschicksale miterlebt, sondern
etwas wie einen MikrokoömuS zu sehen bekommt. Das
ist das Geheimnis der Künstlerschast, einerlei nach
welcher Asthetik man es definieren will, und eben das
bringt der unjchöpserische, bloß analytische Jntellekt mit
aller Energie und Sauberkeit nie zuwege.

Alö Erzähler noch nicht gebührend geschätzt ist ein
anderer Berühmter, Karl Spitteler. Seine drei Er-
zählungöbüchcr heißen „Konrad der Leutnant", „Jmago"
und „Die Mädchenseinde". Alle drei sind bei E. Diederichs
in Jena erschienen. Vor allcm „Konrad dcr Lcutnant"
mit seiner sast spröden, unerbittlich klaren, gedrängten
Darstellungsweise ist ein bedeutendes Buch, daS weit
mehr gekannt sein sollte. Namcntlich wer Spittelcr
nur als den Verfasser des olympischen Frühlingö kcnnt,
wird erstaunt diese herb hingesetzte Bauerngeschichte lesen
und sein Urteil über den umstrittenen Mann einiger-
maßen ändern.

Ähnlich wie in der Malerei, wenn auch nicht so
stark, hat sich scit einigen Jahrcn die junge Schwciz
in der Dichtung bemerklich gemacht. Auch Spitteler
ist ja Schweizer, und andere wie Ernst Zahn sind
längst bckannt, aber diese jüngsten Schwcizcr haben
eine gemeinsame, besondere Art von Modernität, auch

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