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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 9
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Schwerdtfeger, Robert: Kirmes
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0109

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Von Robcrt Schwerdtfeger.

I. Die Kammern.

Wißt ihr, was die Nacht sah, als sie durch die
Fenfter der Bauernhciuser guckte? Jn die Kammern
dcr Mädchen; in die Kammern der Burschen? Wißt
ihr, was sie da hörte? —

Die Mädchcnkammern.

„Morgen ift Kirmes" flüsterten die Lippen. Da
schlief das Mädchen ein.

Aber leise krachte das Bett. Die Kommode knackte,
der Schrank knarrte und der Waschtisch klirrte.

„Was gibt eS?" fragte der Stuhl. „Sie hat frische
Wäsche auf meinen Binsensitz gelegt: ein weißes Hemd
mit selbstgemachten Spitzen und weiße Strümpse und —"

„Still" mahnte das Bett. „Sprecht nicht so laut.
Noch schläft sie nicht seft."

Da rief die Nacht aus den Wolken ihre Träume
herab. „Die Festtagsträume" sagte sie dem Wind, der
sie holen sollte. Und der Wind schwang sich hinauf
gegen den Sternenhimmel.

„Waö gibt es?" fragte der Schrank, dessen Tür
weit offcn ftand. „Sie hat die Festkleider hervor-
geholt. Seht ihr die rote Seide, den glänzenden
Samt?"

Die Kommode knackte. „WaS gibt eS?" fragte sie.
„Sie hat die Korallenkette aus dem Fach gcnommen;
die blasse Kette mit den vielen hellen Kügelchen."

Die Nacht gab den Träumen lautlos Befehle und
schickte sie sort.

„Was gibt es?" sragte der Waschtisch. „Ich habe
ihren nackten Hals mit Wasser benetzt. Das Hemd
hat sie herniedergelassen und die weißen Brüste ge-
waschen und die sesten runden Arme."

Leise knarrte das Bett. „Morgen ist Kirmeö. Sie
flüsterte es in die Kiffen, als sie sich schlasen legte." —

Die Träume schritten in die Kammer, wie auf den
Pfoten junger Katzen. „Pst!" rief das Bett, „die
Träume kommen."

Die Träume glitten durch das Zimmer. Der eine
setzte sich anö Bett und sang ein Schlummerlied. Der
anderc tanzte. Der dritte stieg aus das Kopfkisscn und
beugte sich über das Ohr deö Mädchens.

Gedämpft klang der Gesang, sanst kreiste der Tanz,
wie Blätter im Wind war das Geslüfter am Ohr.

Der vierte setzte sich aus den Tisch und schlug den
Takt. „Lautcr!" ries cr, „schneller!" — Hellcr klang
da der Gesang; wirbelnde Kreise zog der Tanz; daS
Flüstcrn deö Sprcchers am Ohr war wie das Rauschen
von Wäldern.

Daö Mädchen drehte sich im Schlaf um. Der aus
dem Tisch lachte und fuchtelte mit Armcn und Beinen-
„Lauter, schneller! Lauter, schneller!" — Hui, daö war
ein Singen, cin Kreisen und ein Geschrei. Das Bett
krachte, die Kommode knackte, der Schrank knarrte und
der Waschtisch klirrte.

„Lauter! Schncller!" — Und plötzlich sprang der
aus dem Tisch mit schallendem Gelächter ins Bett,
gerade aus die Brust der Schlasenden.

Mit einem Schrei fuhr daö Mädchen aus und sah
erschrocken um sich. —

Leise schlich die Nacht sich sort. Ein seineS Licht
kroch durch die Vorhänge, särbte die Gardincn rosarot
und machte aus der bauschigen weißen Federdecke einen
riesigen Himbecrpudding.

Das Mädchen schwang sich bchend auö dem Bett
und lachte.

„Ei, heute ist ja Kirmes!"-

Die Burschenkammern.

Als die Nacht nach ihren Träumen sah, hatten die
schon den Burschen auf ihren Rücken genommen und
trabten als ein seuriges Pserd mit ihm durch daS Dors.

Plötzlich aber ließ das nächtliche Reitpserd den lang-
weiligen Erdboden los und stieg in die Lust, mit
mächtigem Schnaubcn und kräftigem Schwung.

„Holla!" ries der Bursche, „das gibts nicht." Er
schlug dem Fliegenden die Hacken in die Seiten und
zerrte an den Iügeln. Da stürzte das Tier kopsüber
in die Tiefe.

Mit einem Ruck wachte dcr Bursche auf. „Solch
ein Unsinn" sagte er. „Waö träume ich dcnn heute
dummes Zeug? Jch träumc doch jonft nie. Träumen
kostet Schlas." Er legte sich auf die andere Seite.

Aber die Träume nahmen ihn wieder aus den
Rücken, und wieder flogen sie mit ihm in die Luft.
DieSmal ging es besser. Sie eiltcn binaus, immer
höher, innner höher, den Sterncn zu. Die wurden
immer klarer, je näher sie kamen. Erstaunt sah der
Bursche, daß die Sterne lauter Mädchen waren, die
ihn mit lachenden Augen ansahn. An einer Wolke
endlich hielt sein Pserd. Er stieg ab.

Da war ein tolles Treiben. Aus einem Regen-
bogen geigte einer mit einer Heugabel, und daS gab
den wildeften Walzer.

„Machs Maul zu!" ries der liebe Gott. Der liebe
Gott aber war der Dorsschuster. Der klatschte mit
zwei Bratpfannen den Takt. Denn um ihn herum
tanzten alle die Sterne miteinander. Und es waren
alles Mädchen.

„I da soll doch" dachte der Bursche. „Nur Mäd-
chen, das geht nicht." Er nahm sich eine und tanzte
mit ihr. Und die war so schön, so schön! Als er sie
einmal angesaßt hatte, konnte er sie gar nicht wieder
loslassen. „Klebft du?" fragte er. „Nein" lachte der
Stern, „ich ziehe an. Nun kommst du nicht wieder
weg von hier."

„Allein nicht" sagte der Bursche. „Aber ich nehme
dich mit." Er hob mittcn im Tanz seincn Engel in
die Arme und lief und lies, bis er an den Rand der
Wolke kam. Er suchte sein Pferd; doch daö war weg.
Der Stern in seinen Armen lachte. Aber alle die
andcrn Sterne kamen schrciend hinter ihm hergelausen,
und der liebe Gott voran, und der schrie sortwährend:
„Du Sternedieb, wart du Sternedieb!"

„Was ist da zu machen?" dachte der Bursche; und
ehe er zu Ende gedacht hatte, drückte er seinen Stern
feft in die Arme und sprang hinunter.

Hui, daS sauste. Jmmer rascher ging eS, immer
rascher. DaS Sternenmädchen in seincn Armen wurde


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