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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 7
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Gaehde, Christian: Fritz Stavenhagen
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Loosli, Carl Albert: Vom Auf- und Niedergang der Volkstrachten
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0044

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Fritz Stavcnhagen.

dem letzten seiner Werke, der Bauernkomödie „De
ruge Hoff", die man eine Tragikomödie ersten Ranges
nennen kann. In diesem 1906 vom Karl-Schultze-Theater
in Hamburg aufgeführtcn Bauernstück offenbart sich
vor allem der reiche, tiefe Humor des Dichterö, der
schon etwaS von der ausgleichendcn, gcrechtcn, bei aller
Resignation daS Gleichgewicht nicht verlierenden Art
unserer Größten an sich hat. Der Baucr Kummerow
hat seine Frau Dürten um ihres Hofes willen geheiratet.
Jhr verwahrlostes Anwesen bringt er binnen kurzem in
die Höhe, aber zu ihr selbst vermag er sich nicht zu
finden. Er hintergeht sie mit einer der Mägde, Annliesch,
und Dürtcn rächt sich dafür, indem sie ihn vor dein
ganzen Dorfe zu blamieren trachtet und, als er das
zu parieren weiß, sich ihrem Jugendfreund Fritz Biernd
hingibt. Da Kummcrow ehrgeizig ist, Schulze und
Kirchenpatron wcrden will, muß er den Skandal auf
jeden Fall vermeiden. Es gelingt ihm auch diese Ehren-
stellen zu erhalten, aber bei der Taufe seines aus dem
Verhältnis zwischen Biernd und Dürten entsprossencn
Sohneö wird er, der Schulze, zum Gespött der ganzen
Dorfgemcinde. Die vom Hof gejagte Annlisch schreit
ihr Unglück hinauö, und außer dem Pastor, dcr sich für
die Sittlichkeit des Kummerowschen Hauses verbürgt,
weiß alle Welt nun, wie es um das neugebackene
Gemeindeoberhaupt steht. Daß er trotz alledem die
Angelegenheit deö Dorfcs ganz gut verwalten wird,
ist außer Zweifel, da eö ja dabei erfahrungögemäß nichts
auömacht, ob einer inncrlich angefault ist, oder nicht.

Jm Anstieg zu selten crklommenen Höhen mußte
Stavenhagen den Weg aufgebcn. Seine dramatische
Begabung, sein ciscrncr Fleiß hätten ihn zweifelloö an
Anzengruber hcran oder gar über ihn hinauökommen
lassen. Was wir jetzt von ihm besitzen, ist verheißungs-
und wertvoll genug, um dcr nicderdeutschcn Bühne
dauernd gewonnen zu werden. Jn Hamburg hat sich
eine Stavenhagen-Gesellschaft gebildet, die sein Werk
in dcn Spielplan ciner Wanderbühne aufnehmen will.
Möchte es dieser Bühne gelingen, in Ost und Wcst
unsereS Vaterlandeö, überall wo ein Interesse für nieder-
deutsche Art vorhanden ist oder geweckt werden kann,
die urgesunde, urdeutsche Dichtung des Mecklenburgers
zur Anerkennung zu bringen. Wir haben zu wenig
echte Dramatiker, als daß wir seiner vergessen dürften.

Chriftian Gaehde.

om Auf- und

Niedergang der Volkstrachten.

Man bedauert heute faft allgemcin den Niedergang
unserer früher so malerischen Volkstrachten und es fehlt
nicht an Anstrengungen, noch zu erhalten, waS sich er-
halten läßt. Allein, man sollte sich einmal fragen, ob
diese, zweifelsohne einem idealen Geifte entspringenden
Bemühungen Aussicht auf dauernden Erfolg haben und
vor allen Dingen, ob die Beibehaltung der Volkstrachten,
nur um ihrer cinstigen Schönheit willcn eine an sich
erstrebenswerte Sache ist.

Jch verneine beide Fragen unbedingt und darum
bin ich genötigt, auf einige Gesichtspunkte aufmerksam

zu machcn, welche, wie mir scheint, nicht nur in der
Angelegenheit der „malerischen Volkstrachten" zu wenig
gewürdigt werden.

Vorerst scheint man zu vergeffen, daß daS, was
wir heute „Volkstrachten" nennen, mit der eigentlichen
Volkskunft crst in zweiter Linie etwaö Gemeinsames
hat. Die Schweiz z. B., welche wohl das trachten-
reichste Land der Welt gewesen sein mag, war eS
nämlich nur während einer verhältnismäßig kurzen Frist-
BiS zum Beginne des XVIII. Jahrhunderts findet man
dort keine Volkstracht, welche nicht jeweilen die Kopie
der gerade herrschenden Kleidermode der Städte gewesen
wäre. Später freilich stabilisiercn sich einige Trachten
städtischen Ursprunges, bleiben in der Entwicklung zurück,
indem sie sich den ländlichen Bedürsniffen anschmiegen
und daraus ergaben sich die zum Teil wunderschönen
und duftigen, andernteils aber auch geradezu abge-
schmackten „malerischen Bauerntrachten".

Ausnahme machen hier nur einige wenige Kleidungs-
stücke viel älteren Ursprunges, welche jedoch, genau
genommen, bezeichnenderweise nie zu den eigentlichen
VolkStrachten gerechnet wurdcn. Jch erwähne beispiels-
weise den noch jetzt in der Urschweiz gebräuchlichen
„Burdisack", — das Hirtenhemd mit dcr groben Kapuze,
welches nur zum Heueintragen angezogen wird. Dieses
Klcidungsstück hat in den letzten zwölf Jahrhunderten
keine Nnderung erlitten und wird sich solange gleich
bleiben, als die Aelpler ihr Heu auf dem Rücken ein-
tragen müffen. So auch der knappe Wams der
Sennen und der Melker, welcher den Oberkörper bis
zu den Hüftcn eng umschließt und deffen kurze Nrmel
die Armc ungefähr von der Mitte des Oberarmes an
frcilaffen. Man wird sich seiner bedienen, solange man
noch Kühe von Hand melken wird, also nur noch auf
absehbare Zeit hinaus.

DarauS läßt sich ableiten, daß daö, was einem
Kleidungsstück oder einer Tracht einzig Daucr verleiht,
die bloße praktische Zwcckmäßigkcit ist, und daß der
Niedergang unserer VolkStrachtcn eng mit ihrem vcr-
minderten praktischen Nutzcn verbunden bleibt.

Jndem man die Volkstrachten faft gewaltsam er-
halten möchte, scheint man zu vergessen, daß sie nicht
für alle Ieiten mustergültig sein können und sollen.
Zhre Verflachung und ihr endliches Aussterben ist
darum weniger das Ergebnis einer Geschmacksverirrung,
als daö neuer Lebensverhältniffe und ErwerbSbedingungen.
Man kann kein Kunfterzeugnis und kein Produkt des
mehr odcr weniger künstlerischen Gewerbes richtig werten,
ohne gleichzeitig die wirtschaftliche, kulturelle und politische
Umgebung, aus welcher eö hervorging, zu berücksichtigen.

Man möge sich nur die Wandlungen eines einzigen
Kleidungsstückcs vergegenwärtigen, um zur Einsicht zu
komme», daß sogar ein Gehrock mit seinen höheren
Iwecken wächst. Der Gehrock von heute ift ein un-
sinniges Kleidungsstück, weil er weder Fisch noch Vogcl
ist und keinem vernünstigen Zweck mehr entspricht.
Sein Ahne aber war der Wams, welcher nur den
Oberkörper straff umhüllte und ihm volle Bewegungs-
freiheit ließ. Um auch dem Halse einigen Schutz zu
bieten, bereicherte man ihn später mit einem Kragen,
welcher sich, je nach Bedarf, aufschlagen oder 'herunter-

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