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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 7
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Schäfer, Wilhelm: Der Pflegling
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0033

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er Pflegling.

Von Wilhelm Schäfer

Vor einigen Jahren kam die Tochter emes Generals
merkwürdig ins Gerede. Sie war biö dahin cins von
jenen Mädchen gewesen, die man um der Stellung
ihrcs Vaters willen höflich begrüßt; nicht häßlich, doch
auch nicht schön in dcr korrekten Schlankheit ihreS
Körpers; ein wenig übcrjährig und darum den Dingen
der Bildung mehr zugewandt als übermütigen Scherzen.
Doch galt sie nicht einmal für klug, weil ihr das
Wort nicht sehr geläufig war; wer sie bei Tisch als
Dame hatte, war meist verlegen um ein Gespräch, das
sich vor ihrem braunen Blick behauptcn kvnnte, der
immer ein wenig verwundert nach andercn Dingen zu
suchen schien.

AlS sie im zweiten Teil der zwanziger Jahre sich
bedenklich umgesehen und kaum noch ctwas von den
Erlebnissen zu hoffen hatte, davon die Mädchen mit den
Jähren nicht weniger träumen, entsernte sie sich eineö
Tages, um einen Kursuö der Krank'enpslege mitzumachen.
Nicht, daß sie Schwester werden wolltc; sie war nicht
selbstbewußt genug, sich die Entsagung zuzutraucn, und
auch nicht mehr so jung, die Tracht kokett zu finden.
Halb aus Jdeen ihres Vaters, der sich als Militär leb-
haft im Roten Kreuz betätigte, halb aus Verlegenheit
mit ihren unausgefüllten Tagen kam sie ins Kranken-
haus; ganz ohne Vorbedacht, daß ihr hier eine Tür
zum Leben geöffnet werden sollte, davor sie soviel Jahre
tadellos gekleidet und in korrekter Haltung auf den
Einlaß gewartet hatte.

Sie war schon einige Monate darin, als sie — den
Wöchnerinnen zugeteilt — ein Mädchcn tagöüber anzu-
weisen hatte, das seine Niederkunst erwartete. Es war
bisher Verkäuferin in einem Schuhgeschäst gewesen, ein
kleines Geschöps mit schwarzen schwärmerischen Augen,
das alle Handreichung gelassen und mit stiller Freude
tat. Obwohl sie kcinen Vater hatte zu ihrcm Kind
und ernst abwehrte, wenn einer danach forschen wollte,
sah sie der Niederkunft mit einer Ungeduld entgegen,
wie wenn es statt in Schmerzcn zu einer Kirmes ginge.
Es sand sich, daß sie der schlanken Generalstochter im
Alter gleich war, und weil sich beide abseits von dcn
andern hielten — der eincn paßten die resoluten
Schwestern mit den rotgewaschenen Händen und der
andern die Neugier der Leidensgenossinnen nicht — so
machte es sich ganz von selber, daß sie auch sonst ins
Sprechen kamen. Doch berührten sich die Lebenskreise
nicht, sodaß sie beide von dem Alltäglichen schweigen
mußten und so von selber ins Menschliche gerieten,
darin die beiden alten Mädchen, die Schuhverkäuserin
und die Generalötochter, sich vicl näher fanden.

Da kam denn bald herauö, daß sie den Vater ihres
Kindes sehr wohl kannte und auch noch liebte auf ihre
Art; daß sie ihn nicht verraten wollte, weil seine Stellung
es nicht vertragen hätte. Alö sie mit achtundzwanzig
Jahren trotz aller Sonntagsvergnügen noch keinen ge-
funden hatte, der sie heiraten wollte, gab sie sich einem
hin, der sie sonst mochte; weil sie doch nicht, wie sie
sagte, „zum Schuhverkaufen auf die Welt gekommen

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wäre". Sie hatte allcs, was ein Mädchen in seinem
Umstand erfahrcn kann, mit Gleichmut hinter sich ge-
bracht trotz mancher Tränen und sühlte sich nun hier
im Hafen; was später kommen würde, war ihr gleich,
wcnn sie ihr Kind behalten könnte; und dasür müsse
„er" schon sorgen.

Das waren Dinge und Gedanken, die der andern im
Salon von ihrem Vater nicht vorgekommen waren. Sie
hatte immer nur von Haltung, höchstenö von Tugend
oder Schande reden gehört und staunte die Verkäuserin
mit einer Wehmut an, die ihr allmählich erst den
tauben Zustand ihrer Tage deutlich machte. Denn daß
sie selber neben den Gebräuchen der Gesellschaft sich die
Erfüllung ihres Lebens suchen könnte, nach dcr sie doch
dcr andern gleicb verlangen durfte: das hielt nicht ein-
mal stand vor ihrcm eigencn Ordnungssinn. Sie hörte
nur mit Neid die andere täglich neue Dinge sprechen,
die sie von ihrcm Kind erwartete: wie sie es nähren
wollte an ihrer eigenen Brust und dann erst an die
Flasche gewöhnen, wie sie zwar eine Wiege schon zu
Hause hätte, doch alle Nächte läge es bei ihr im Arm
und wecke sie am Morgen ohne Weckuhr auf. Und
wcnn es laufen könnte mit eigenen Beinchen und richtig
Mutter sagen mit dem eigcnen Mund: daö sei schöner
als am Sonntag-Nachmittag durch Staub und Sonne
nach einem Wirtshauö draußen zum Tanz zu laufen.

So kam es zwischen den ungleichen Mädchen fast
zu ciner Freundschaft um ein Kind, das doch erst
kommen sollte, und schließlich war cs die Generalötochter,
die eine Stillung ihrer verhcimlichtcn Sehnsucht darin
sand, davon zu sprechen:

Wie es denn heißen solle?

Wenn cs ein Mädchen wäre: Berta, wie sie.

Und wenn eö einen Jungen gäbe?

Dann wic der Vater; den Namen aber sage sie
noch nicht.

Manchmal geschah eö dann, daß sie der Verkäuferin
die matten Hände streichelte vor Iärtlichkeit, die andern
Dingen galt, und daß sie ihre eigene Hand, die schlank
und fest vom Tennisspielen war, mit Zor» betrachtete.
Und cinmal fing sie an zu weinen, waö ihr zu Hause
nicht erlaubt gewesen wäre; nicht heftig zwar, mit
Tränen, die sie crschrocken aus ihre Hände tropfen fühlte

Und als so cndlich die schwcrcn Stunden kamcn
die der einen den Leib zerriffen, saß die andere blaß
vor Schrecken dabei und fühlte mit ihr das Bibelwort
der Mutterschaft, womil die Mutter Eva aus dem
Garten Eden und seinen Mädchenträumen entlassen
wird. Und daß der Tod mit tückischem Schwert den
Augenblick bcwacht, wo sich cin neucs Leben ihm zum
Trotz losringen will. Und diesmal tras er richtig, ob-
wohl die Arzte mit gewandten Händen abwehren wollten.
Am Morgen nach einer langen wilden Nacht, die wie
cin Schlachtfeld war: lag wohl in einem Bettchen
reinlich und zart ein junges Leben da und schlief; doch
nebenan, da war das schwarze rciche Haar der Mädchen-
srau zwar wohlgekämmt, wie es die Ordnung wollte,
doch schlasen tat sie nicht. Sie hatte ihre Hoffnung
mit Blut und Schmerzen abgezahlt und durste nichts
davon behalten. „Er soll Paul heißen," sagte sie, als
sich der Tag mit der nahen Nacht zur Dämmerung

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