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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 12
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Schäfer, Wilhelm: Die Trommel: eine Weihnachtsgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0219

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ie Trommel.

Eine WeihnachtSgeschichte von W- Schäfer.

Jch bin kein kriegerischer Mann geworden; doch gab
es eine Weihnacht, wo eine Trommel meine Seligkeit
ausmachte. Sie war nicht groß, weil meine Eltern
den Weihnachtsmann mit Groschen bezahlcn mußten;
doch war sie bunt, wie heute die Bilderbücher sind, und
hatte Reifen von breitem Messingblech und Klammern
dran, das Fell zu spannen. Und wenn es auch kein
Kalbfell war, wie sich nachher traurig erweisen sollte,
es brummte doch kriegerisch, wenn ich mit hohen Ell-
bogen trommelnd durchs Haus marschierte.

Es war ein altcs Haus dicht an der Straße, darauf
die Kinder mich mit Steinen warfen, weil ich calvinisch
war. Nur nicht um Weihnachten; denn weil mein
Vater — er halte damals noch einen schwarzen Voll-
bart, der vor dem Mund geschoren war, und konnte
singen, so tief im Baß, daß alle Deckel an den Töpfen
milsummcn mußten — weil der sich mit dem Christ-
kind gut verstand: so brannten an unserm Weihnachts-
baum die Lichter lcuchtender als heutzutage die schlechten
Kerzen brennen, und drunter sprangen aus dem grünen
Moos die Wasserkünste. Auf bunten Schlackenfelsen
prablte an der Wand die Burg Herodeö und in grünen
Tanncn lagen die Wiesen von Bethlehem um einen
runden Teich auö Blech, darin die bleiernen Goldfische
zwischen Enten schwammen und sich den Rücken wackelnd
von einem Strahl begießen ließen, der dünn und stark
bis in die höchstcn Iweige sprang. Wcil die andern
Kinder aber nur einen katholischen Niklas hatten, der
in der Nacht vorbcigeritten kam, um jedem rasch sein
bißchen in den Teller zu legen: so bettelten sie an
unsern Fenstern stets so lange herum, bis der Vater
das Gedränge in die Stube ließ, das Christkind der
Calvinischen zu sehen.

So saß ich denn an jenem ersten WeihnachtSabend
mit meiner Trommel auf einem Stollenschrank, wcil
sonst kein Platz für mich im heißen Aimmer war, und
bunimte mir den Takt der Weihnachtsliedcr, die mein
Vater den erstaunten Kindern sang: als irgend eins
der kleinsten Händchen in die Perlenketten griff und
von seiner größeren Schwester fortgezogcn so heftig
daran riß, daß die Schlackenfelsen übereinanderstürzten
in den Teich — der dadurch überlicf — und der Baum
zur Seite schlug. Zwar wurde er vom Vater noch
aufgefangen, der gerade mit feierlichen Baßtönen „vom
Himmel hoch" herunter kam; doch eine von den Papier-
ketten geriet inö Kerzenlicht und fing mit hoher Flamme
an zu brennen, sodaß die Kinder kreischend der Tür
zudrängten. Jch sclber saß dicht vor dem Brand und
wurde so mit einem Griff heruntergeholt, daß meine
Trommel da oben liegen blieb. Weil ich gleich danach
brüllte, warf sie mein Vater, der aufgcregt nach nassen
Tüchern rief, zwar noch herunler, aber viel zu weit bis
in die offene Tür, wo sich die Kinder drängten.

Jch sah sie schon zertreten, doch kam sie garnicht
auf die Erde, blieb irgendwo an Haaren oder Händen
hängen, und als die letzten Kinder draußen waren, war
meine Trommel mit hinauö. Zch schrie gleich mörderlich.

wie kleine Menschen schreien, wenn sie ihr Eigentum
gefährdet sehen; doch weil mein Vater, der unterdessen
den Weihnachtsbaum soweit gelöscht hatte, daß es im
Zimmer dünstete, nicht anders glauben konnte, als daß
ich nur auö dummer Angst so schrie, und weil er selber
durch den Schrecken aufgeregt und überhaupt ein wenig
hitzig war: bekam ich eins in mcinen Nacken, daß mir
die Stimme von selber brach. Die Mutter riß mich
drohend und tuschelnd zugleich hinaus zur Küche, wo
mir die Schluchzer wie Wasserblasen dick aufquollen.
Als aber hinterher der Vater mit seinem dampfenden
Lumpen kam, mit bösen Augen auf die Kinder sich
vcrschwörend, daß er sie nicht mehr in die Stube
lassen würde, und als die Mutter mich noch einmal
rasch zusammenrütteln wollte: da konnte ich es doch
nicht zwingen:

„Die Trommel!" brach ich auö und floß recht mit
dcm Wort in neue Träncn, sodaß ich endlich ver-
standen wurde. Da half eö nichts, daß meine Mutter
noch rasch hinaus lief und auf der Straße suchte: die
Kinder waren längst verlaufen und meine Trommel
mit. Der Vater zweifelte zwar nicht, daß ich sie wieder-
kriegen würde; es half mir aber nicht mehr an dem
Abend. Jch mußte ohne sie zu Bett, vertröstet erst,
danach ermabnt, zuletzt zurechtgeschüttelt und fast ver-
prügclt, sodaß mir dieser Weihnachtötag der schlimmste
meincs jungen Lebens wurde. Mit einer wortlosen
Bitterkeit, daS Herz so dick, daß eö den Atem bedrängte,
mit Tränen, die endlos über meine Backen in die
Kissen rannen, schlief ich cin.

Und hatte allen Schmerz doch schon verschlafen, als
ich wach wurde mitten in der Nacht, von den Nüssen,
dem Pfefferkuchen und dem Spekulatius bedrängt, und
mir rasch etwas unterm Bett vorholcn mußte. Man
ist so wenig Jahre erst aus dem Schlaf der Ewigkeit
herausgekommen und kann sich noch m'cht so ans
Wachsein gewöhncn wie die Alten, darum hält unS der
Schlaf so töricht alle Sinne fest.

Doch wurde ich viel früher wach als sonst und lag
trotz meiner Trommel noch eine Zeitlang so im tiefen
Glück erwacht, wie nur die Liebe später eö noch ein-
mal mit unö vermag. Jch hörte meinem Atem zu,
der langsam auf und nieder ging, indessen mein Herz
anfing zu drängen, und war mit dem Gedanken noch
immer tief am Schlafen. Bis ich auf einmal wußte:
Weihnachten war gewesen und meine Trommcl nicht
mehr da — und mich vom Elend hingenommen schluch-
zend auf das Kissen warf.

Eö war stockdunkel in der Kammer, weil meine
Eltern noch altmodisch die Läden schloffen. So tastete
ich in einer schwachen Hoffnung die Decken und das
Kiffen ab, auch vor dem Bett den Stuhl mit meinen
Klcidern, und fand die Trommcl nicht. Und lag dann
lange an meinem bittern Elend grübelnd, bis ich die
Mutter leise, dann lauter und so lange rief, daß sie in
ihrer Kammer nebcnan crwachte und mit der Lampe
kam.

Die Lampe hatte ein blankes Messingschild und ließ
von mütterlicher Hand gehalten den grellen Schein
ins Zimmer, doch nicht in mcine Augen fallen. So
saß ich denn im Bett und suchte mit den Augen die

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