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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 12
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[Notizen und Besprechungen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0233

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eligiöse Malerei.

Aus dem Bcrliner Kunstlcben.

Schulte hat eine gioße Ausstcllung von Arbeiten Cduard
von Gebhardts veranstaltet. die das Lebenswerk dieses verehrungs-
würdigen und gedi genen Künstlers umfastend und wirkungsvoll
veranschaulicht. Der Zufall will, daß zu gleicher Aeit noch zwei
andere religidse Gemalde, eines von eincm ganz alten Meister,
eincs von einem ganz Modernen, zur Stelle sind, und ich
kann dcr Versuchung nicht widerstchcn, diese Arbeiten zusammen-
zuhalten und daran einige Grundfragen der religivsen Malerei
überhaupt zu erortern. Von Corinth findct sich in eincr Aus-
stellung sciner ncuestcn Arbeiten bei Casstrer eine Kreuztragung;
und cbenda ist einc Kopie des Hauptbildes dcs großen Col-
marer Altarwerkes von Mathias Grünewald zu sehen, die
der Maler Steiner angefertigt hat. Jch kann diese Kopie nicht
beurteilen, da ich leider das Original noch nie gesehen habe,
aber gewisse Anzcichen und Cigenschaften lassen darauf schließen,
daß sic eine sehr gute Arbeit ist. Diese drei Maler von religiosen
Gegenständcn gehdren zwci ganz verschiedenen Familien an, dcrcn
cinc Corinth vertritt, während Grünewald und Gebbardt zur
anderen zu zählen sind. Man kann nämlich die Maler, die
rcligiöse Stoffe behandelt haben, ganz allgemein in zwei Gruppen
einteilen: in solche, dcnen das religiöse Motiv nur cin Stoff,
und in solche, denen es ein Erlebnis ist. Abcr beruht diese Ein-
teilung auf mchr, als — bestenfalls! — eincr recht vagen Emp-
findung? Jch meine doch. Der Malcr, dem der religiöse Vor-

wurf nur ein Stoff, ein Malmotiv ist, kann ihm gewiß allerlei

gute Wirkungen abgcwinncn, ja er kann ihn sogar zu höchster
künstlcrischer Lebenskraft steigern — nur wird diese Lebenskraft
durchaus nicbt religiöser Art sein. Wir haben dafür ein großes
Beispiel in Tizian, dessen Madonnen fast sämtlich, deffen andere
religiöse Bilder zum Teile eine erhöhte Cxistenz zur Darstellung
bringen, deren Sphäre jedoch keine geistige und also auch kcine
rcligiöse ist. Cs ist eine Cxistenz von erhöhter Vornchmheit,

erhöhter Feinheit, erhöhtcm Gcschmacke; Giorgione hat dcn
venezianischen Gcist im Ticfsten begriffen, als er die Schilderung
dieses erhöhten Seins resolut auf den Bodcn weltlicher Stoffe
übertrug. Mit Tizian tcilt Corinth so viel, daß auch er den
religiösen Stoff nicht religiös erfaßt hat. Die Menschen auf
seiner Kreuztragung zeigen die Gebärden großer Erregung und
lebhaftcn Schmcrzes — aber auch nur die Gebärden; es ist

Grimaffe, Maske, Theater. Keinerlei geistige Kraft wird crkenn-
bar, durch die dic Darstellung inneren Halt, organisches Dasein,
lebendige Cinheit gewänne; warum smd diese Menschen hier
vereinigt? wcil der Maler die Modelle gehabt bat. Und leider
besteht diese Marklosigkeit in Eorimhs Bilde nicht allein in dem
Mangel an religiösem Gehalte, sondern es ist eine allgemcine
und vollständige künstlerische Marklosigkeit. Trocken, hart und
unfein in der Farbe, ungeschicki in der Raumbchandlung, flüchtig
und unzuverlässig in der Formgebung, kann das Bild um so mehr
als cin typisches Beispiel der künstlerischen Begriffsverwirrung
von heute gelten, als es dem Maler, wie bekannt, keineswegs
an Talcnt gebricht. Ich würdc nicht der Pharisäer sein, ihn zu
schelten, behandcltc er dcn Stoff in irgcnd cinem kühnen und
sreien Geiste, der nicht rcligiöser Natur wärc; aber cin Bild ohne
allcn Geist ist freilich gcrade bci diesem Stoffe besondcrs un-
erträglich. — Cin Maler, dem der religiöse Gegenstand ein pel-
sönlichcs Erlebnis g-avorden ist, gibt in seinem Bilde allemal,
als dcn Niederschlag seines Crlebens, auch seine religiöse Stellung
bestimmt kund. Man kann das Glaubensbekenntnis der Lionardo,
Michelangelo, Dürcr, Rubens, Ncmbrandt von ihren Wcrken
ablesen. Das gilt auch für Gcbhardt. Sein Glaube ist der
cines fcsten und cntschiedenen Bekenntniffes zu den keiligen Be-
gebenheiten, wie sie uns überliefert worden sind. Sie sind für
ihn unmittelbare und unantastbare Wirklichkcit, und als solche
strebt er sie darzustellen. Darum verschmäht cr das diese Wirklichkeit
mildcrnde und zurllckschiebende romanische Schönheitsideal, crfllllt
seine Schilderungen mit dem Blute eines kräftigen Nealismus
und sucht ihnen auf alle Weise eine lebendigc und nachdrückliche
Gegenwärtigkcit zu sichern. Hierin bcrllhrt er sich nun mit Meister
Grünewald, der den Tod Christi mit einer furchtbaren und er-
schütternden Wirklichkeit dargestellt hat, dic ohne Scitenstllck in
der Geschichte ist. Dcs weiteren aber geht das Dcrfahren der
beiden Künstler auseinander, und zwar in einer Wcise, die für
beider Persönlichkeit sehr charaktcristisch ist. Aunächst in der Farbe.

Griincwald nämlich stellt in vicl intensivcrcm Maße als Gebhardt
dies mächtigste aller Kunstmittel der Malcrei in den Dienst des
Ausdrucks. Unheimlich schwarzgrün ist der weite Himmel,
fahlgrün dcr Fluß, der am Fuße des Hllgcls Golgatha dahin-
strömt, düster die Crde, und von diesen dunklen Maffen hebt
sich die grünlichgelbe Gestalt des Gemarterten am Kreuze wie
cine schreckliche Dision, höchst wirklich und dennoch gespcnsterhaft,
ab. In dcn Gestalten, die zu bciden Seiten dem Dorgange bei-
wohnen, dominieren große Flächen von tiefem Not und von
leuchtendem Weiß, und wie dicse Akkorde einander aufnehmen,
scheinen sie leidenschaftlichen Schmerz und banges Flchen auszu-
strömen. Die ungeheure Gcwalt der Charakteristik der Lcidens-
szenc ist auf diesem Bilde, deffen Schöpfer Bock mit Recht als
den größten deutschen Koloristen rllhmt, in Farbe und Form
gleichermaßen wirksam. Jn Gebhardts Bildern hingegen (wcnig-
stens gilt das fllr die große Mehrzakl) finden sich wohl gute
koloristische Particcn, aber die Farbe ist nicht ats geistigcs Aus-
drucksmittcl verwandt. Sie legitimicrt sich nicht, wie bei Grüne-
wald, als nolwendiges Organ des Bildgedankens, sondern cs ist
Farbe an Farbe gesetzt, ohnc daß sie zur Einheit zusammen-
wachsen. Sodann ein Aweites. Auf Grünewalds Bilde sind
die beiden Gruppen links und rechts vom Kreuze ganz verschieden-
artig charakterisiert. Links die höchste Crregung des Schmerzes
und der Verzweiflung: Magdalcna, die cntseht die Hände ringt,
Maria, die in Iohannis Armcn zusammenbricht. Rechts monu-
mcntale Nuhc: der Täufer, der mit ausgerecktem Zeigcfinger
auf den leidenden Heiland wcist, das unschuldige Lamm, das
sein Blut in den Kelch vcrgießt. Links der rein mcnschliche Gehalt
des Vorgangs; rechts der Hinweis auf die höhere Nolwcndigkeit
und den dauerndcn Wert dcs Opfertodcs. Links Tod und Ver-
zweiflung, rechts Crfüllung und Crlösung. Diese Gedanken hat
Grünewald allerdings nur durch die naive Derwendung dogma-
tischer Motive und Gestalten und mithin nicht durch rein und
restlos künstlerische Mittcl auszudrücken vermocht', dennoch ist diese
Seite seiner Darstellung ungemein wichtig, weil sie die Ver-
tiefung und Vcrgeistigung des Vorganges im religiöscn Sinne
bcdeutet, weil sie vom Tode auf die Auferstehung hinweist.
Eben dicse Vergeistigung aber vermiffe ich in Gebhardts Bildern.
Wenn er die Heilung des Gichtbrüchigen oder die Austieibung
aus dem Tempel schildert, so zeigt er die physische Wundertat
und einen Christus, der crgrimmt die Peitsche über dcm Krämer-
volke schwingt; und sein Moses haut mit einem Knüppel dcrb
auf den Stein, um ihm Waffer zu entlocken. Aber das Wunder-
bare am ,Wunder ist nicht der physische Dorgang, sondern das
Geistige, Ubersinnliche, und der ewige religiöse Gehalt der cr-
wähnten Begebcnkeiten liegt in ihrcm geistigen, ihrem symbolischen
Sinne: in dem Gedanken der Reinigung des religiöscn Denkens
vom Gewinn- und Crdengeiste, in der Crhebung des krüppel-
haftcn Menschenwesens zum Leben im Geiste durch die göttliche
Wuhrheit. Die Aufgabe, dem ewigen geistigen Gehalte der
heiligen Legenden die künstlerische Darstellbarkeit abzugewinncn,
sie in der Kunst und durch die Kunst fortgesctzt iu immer höherer
Geistigkeit zu cntwickeln, bildet den Inhalt und das Problem
ciner wahrhaft modernen religiösen Kunst. Albert Dresdner.

rachtwerke.

Cin richtiges Prachtwerk mußte frühcr auf Dcckel und
Nücken schrccklich viel Ornamente in geprägtem Gold haben,
möglichst in Renaiffance-Formen; denn das war die Zeit seiner
Erfindung. D. h., die richtige Ncnaiffance machte im Prachtstil
ihrer Gesinnung auch Prachibüchcr: Prachtwerkc wurden aber erst
daraus, als des alten Deutschen Neiches Herrlichkeit auch in den
ncudeutschen Verlegcrn der siebziger Iahre erwachte und die Be-
geisterung des deutschen Volkes in Nibelungen- und Gudrunliedern,
in „illustrierten" Klassikcrn und Anthologien „von Künstlerhand
geschmückt" zu einträglichen Weihnachtsgeschäften führte.

Das ist nun alles glücklich vorüber; wir bemerken, daß wir
statt der alten Herrlichkeit die strenge Gegenwart des neuen Reiches
haben, mit neuen Kämpfen auf Tod und Lebcn, neucn Sehn-
süchten und Enttäuschungen, und aoch mit neuen Prachlwerkcn.
Die aber eigentlich das Gegenteil sind, weniger prächtig als
gedicgen sein wollen und selbst den Lupus — der den der vergan-
genen Iahrzehnte umsoviel übersteigt, als der nationale Neichtum
seitdcm gewachsen ist — eher in asketische als prächtige Einbändc
stecken. Was im Kunstgewcrbc dic neue Gesinnung anzeigt:
Kostbarkeit des Materials und Gediegenhcit der Arbeit, das

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