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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 7
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Schäfer, Wilhelm: Der Pflegling
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Ammann, Karl Heinz: Technik und Anschauung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0038

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Der Pflegling.

und alleö schien ihr so einö und zueinander gehörig
und die Augen deS Knaben — der niemalö der ihrige
gewesen war - so fremd, obwohl die Sehnsucht in ihr
erbärmlich danach schrie: daß sie mit einer Zuckung —
wie wenn die Feder in einem Uhrwerk springt — sich
wandte und den Obftgarten verließ. So sliehend, daß
ihr der Doktor, den Hut noch in dcr Hand — mit
seinen kurzen Sprüngen nicht zu solgen vermochte und
rufend erst, kurzatmig dann und schreiend ihren Namen
nach dem Wald hinunter rief, in dessen herbstlichen
Hängen sie längst verschwunden war.

Sie kam erst mit der Dunkelheit nach Hauö, als
er schon dcn Verlust verzweifelt bei der Polizei ge-
meldet hatte. Er wollte liebrcich und zärtlich zu ihr
sein; sie aber, die noch immer in der korrekten Haltung
der Generalötochter vor ihm stand, nur daß ein schwerer
Regen deö Nachmittags ihre Kleidung durcbweicht hatte,
sodaß die schwarzen Falten dick vor Nässe und mit
schmutzigen Rändern auf die Schuhe hingen: sie lächelte
ihn wehmütig an und gab ihm ihre Hand und bat
ihm alles ab mit Blicken, den sie doch auch betrogen
hatte mit ihrer Frauenschaft.

Jhm aber, der ihr Auge so lange verlorcn hatte,
schien sie zu leuchten in einem Glück, dem sie sich
cndlich mit ihrem Stolz ergeben hatte. Er sührte
sie mit sanster Vorsicht an daö Bett der eigenen Tochter
und fand sich nun gerührt und siegreich mit ihrer
Traurigkeit zurecht. Und ließ sie gern allcin in ihrem
Iimmer; und pries sich um den Einfall seiner ärztlichen
Klugheit, ihr so mit einem Messcrschnitt gleichsain den
Pflegling abzulösen; und freute sich, mit welcher Ge-
messenheit sie auch den letzten Schmerz in ihrer bittren
Sache ertragen hätte.

Die Haltung der Generalstochter freilich war auch
noch bei ihr, als der Doktor sie andern Morgens in
ihrem Iimmer fand, durch cin sehr scharfes Gifr be-
sreit von cinem Frauenleben, damit sie nicht zurecht
gekommen war, weil es durch Blut und Schmerzen
nur aus sich selber blühen und Früchte tragen kann.

echnik und Anschauung.

Wenn nur der Eindruck, die Jmpression wieder-
gegeben, die Lichtwirkung der Natur im male-
rischen Kunstwerk erreicht werde — sei die Technik be-
langlos, sagt der Jmpressionist. Einverstanden. Es
greife aber ein Maler nur zur Tempera oder zu spitzen
Pinseln, oder er untermale gar und lasiere um gewisser
Wirkungen willen, so kommt der Jmpressionist sosort
mit dem Einwand, die Technik sei zeichnerisch, model-
lierend, rückftändig, akademisch, reaktionär. Eö soll eben
für den JmpressioniSmus in Wirklichkeit nur die Ol-
technik tauglich und alleinseligmachend sein; der pastose
Farbenauftrag, die breite Pinselführung; ihr Höchstes
jedoch heißt Bravour!

Vielleicht bleibt es sür immer im Wesen des Deutschen
begründet (die Ursachcn liegcn tief: im Klima, das unö
anö Haus bindet), daß er zu der einen Älnschauung
innerlich mehr hinneigt, während es seinem AnpassungS-
trieb, seinem Anempfindungsvermögen entspricht, auch

einmal sich aus dem andern Gebiete zu betätigen. Es
läßt sich aber auch aufzeigen, daß jeder dieser An-
schauungen eine bestimmte Technik besonders eignet,
und so im Wesen des Motivs selber wurzelnd, daß der
naive Geschmack mit Sicherheit ein Kunstwerk ablehnen
wird, deffen Technik nicht dem Sujet selber entspränge.
Man sagt dann wohl, das Volk sei für ein fort-
geschritteneres Kunftverständnis nicht reif. Aber auch
der Gebildete, selbst der Künftler hat da noch seinen
besondern Geschmack. Die Ursache scheint also anderswo
zu liegen als in der Unreife des Urteils.

Vom Handwerk herkommend, sahen die alten
Maler im Gegenftand das Primäre, vielleicht sogar
das Einzige und das Ziel des Kunstwerks. Seine
plastische Wiedergabe, mochte sie nun skulptural oder
mit graphischen Mitteln erzielt werden, blieb immer im
Vordergrund deö Jnteresses und erweckte allmählich
Vertrautheit und Liebe zu ihm, die sich mit jedem dar-
ftellenden Striche ins Kunftwerk übertrugen. Die Farbe
war Bekleidung, Zugabe, Schmuck und erschien nicht
wie heute mit ihm unlöslich in der Technik verquickt.
Es handelte sich deshalb um ein Auslegen der Farbe
aus das graphische Gerüst (sozusagen); um ein Anmalen
bloß. Daß die Farbe später unmittelbar in zeichnerischer
Technik alö Mittel benutzt wurde, war nur, gemäß dem
Gesetz des geringsten Krastmaßeö, das bei ,eder Arbeit
wirkt, ein abkürzendeö Verfahren. Das Wesen der
Technik blieb graphisch, weil der Gegenstand
immer als eine übertragen nachgebildete Rund-
plaftik galt. So wurde auch daö Licht als etwas
Selbftändiges, als etwas am Gegenstande nur von
außenher Tätiges behandelt und erschien gemäß dem
Grad seiner Leuchtkraft entweder in lasierendem oder
in pastosem Farbenauftrag wiedergegeben. Jn diesem
Nacheinander der gestaltenden Technik, das mit dem
nackten Gegenstand beginnend zur Farbe, zur Luft und
zur Jlluminierung sortschritt, zcigt sich ein Nachsühlen
des Künftlers nach der Schaffensart, der „Handlungö-
weise" der Natur. Der Gegenstand war eigentlich
das Ein und Alles im Kunftwerk: das Herrschende;
die Farbe und das Licht wurden alS Begleitumstände
nur relativ gewertet. So entzückt unS denn im Kunst-
werk der Alten überwiegend der Gegenstand, dem alle
Liebe der Darstellung zugewandt ist, während wir an
seine Farbigkeit und an seine Lichtspendung nicht die
gleich strengen Forderungen ftellen oder sogar gleich-
gültig dabei bleiben können.

Es mußte nun sür diese Art malerischer Anschauung
eine Technik geschaffen werden, die ihr innerlich ent-
sprach und ihren Ausdruck ermöglichte, und zwar so
nachfühlend wie schnell und einsach ermöglichte. Kein
geringer Teil unseres Entzückens an den alten Kunst-
werken, ja vielleicht dcr größte entspringt dieser Einfachheit
und Vollkommenheit in allen technischen Qualitäten bis
herab zur Haltbarkeit deö Bildes. Daö Bindemittel
mußte lichtdurchlässig sein, wo es galt, in Abstufungen
die TranSparenz des Mediums wiederzugeben; licht-
reflektierend aber in zurückstrahlendcn Partien. Es
wäre keinem Alten eingefallen, Schleier oder Luft oder
Wasser pastos zu malen, sofern sie eben nicht den
hinter ihnen liegenden Gegenstand völlig verdeckten; die
 
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