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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 8
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Fries, Friedrich: Die Hellmalerei in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts
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Spitteler, Carl: Die glückliche Jugendzeit
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Lissauer, Ernst: Über Agnes Miegel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0081

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Die glückliche Jugcndzeit.

Man sieht, der Gang der Entwicklung in der Licht-
malerei war ein sehr ähnlicher im 17. wie im 19. Jahr-
hundert. Eö waren die Landschaftsmaler, die, angeregt
durch daö Studium der sreien Natur, neue Wege suchten
und fanden und die den Kampf führten der hellen Mal-
weise gegen die „braune Sauce".

Eö wäre von Jnteresse, nachzusorschen, warum sich
die Hellmalcrei nicht weiter entwickelte und ihre konse-
guente Auöbildung erst mehr alö 200 Jahre später
ersolgte. Schon Jacob von Ruisdael, dessen Bilder
heute so ruhig, harmonisch und groß zwischen dcnen
van der Veldes, Potterö, Karel du Iardinö usw. ftehen,
bedeulet eine Abkchr vom Helligkeitöprinzip. Ob hier
wohl der Geschmack der Besteller eine entscheidende
Rolle spieltc oder ob die Ursache in der Schwierigkeit
der Ausgabe mit dem hellen Bilde eine ruhige ge-
schlosiene Wirkung zu erzielcn, zu suchen ist? F. Fries.

ie glückliche Zugendzeit.*

Jst sie wirklich so glücklich? Jch glaube, wir
verwechseln dcn poetischen Schimmcr, den unser
Heimweh über die Jugendzeit zurückwirft, mit dem
wirklichen Gesühlszustand der Jugend. Unwillkürlich
betrachten wir das Kind für einen halben Menschen,
Kinderleiden für kleine Leiden, Kinderschicksale für Di-
minutivschicksale.

Jn Wirklichkeit ist das Kind, was sein Gemüt be-
trifft, ein Vollmensch wie wir, mit eben so großem
Ichgefühl, mit der nämlichen Leidenöfähigkeit. Seine
Schicksale sind keineswegs kleiner als die unsrigen;
das Kind wird von dcn Naturnotwendigkeiten und von
den Härten der Natur nicht durch Schonung privilegiert,
vermag auch durch keine clterliche Fürsorge vor dcn
fchlimmsten Erlebnissen der Erwachsenen geschützt zu
werdcn: vor Krankheit, vor Schmerzen, vor chirurgischcn
Eingriffen, vor Unfällen, Katastrophen und Tod. Ein
vierzehnjährigeö Kind niit Zabnschmerzen lcidet darunter
nicht weniger alö ein Vierzigjähriger; bei einem Eisen-
bahnzusammenstoß werden die Kinder nicht gelinder
zerquetscht und verspüren dabei nicht geringere Qual
als die Erwachsenen.

Im Gegenteil, die Grausamkeiten des Naturwelt-
laufes treten an das Kind häufiger heran als an den
Erwachsenen; es ist öfter krank, fiebert häufiger, er-
leidct ungleich mehr Unfälle, liefert dem Tode massen-
haftere Opfer. Der Natur gegenüber ist das Kind
ein Mensch, dcr sich noch ungenügend angcpaßt hat,
der sich noch nicht an die Welt zu gewöhnen verstanden
hat und ibr daher webrloser gegcnübcrsteht. Daö ist
ein sehr ernster, keineSwcgs zu belächclnder Zustand.
Auch scin Gemüt bestcht die Proben dcr Natur und
des Schicksals schlechter alS der Erwachsene, weil es
noch nicht mit langen Zcitläufen zu rechnen versteht,
weil eö darum den Trost: eö wird später wieder besser,
nicht versteht, weil es ferner die moralischen und geisti-

" Aus der „Festgabe schweizerischer Dichter, die von H. K.
Maurer für den Bazar zu Gunsten der Jugendfllrsorgc" zu Basel
(vom 28. April bis I. Mai I?0S) zusammengebracht wurde,
mit gütiger Crlaubnis des Herausgebers abgedruckt. Die Ned.

gen Trost- und Stärkemittel noch nicht besitzt. Wie
oft und wie bitter weint ein Kind! waö für eine Ver-
zweiflung beschleicht eö bei einem grauen Regcntag;
wie endlos und hoffnungslos erscheinen ihm die Schul-
sorgen und Schulplagcn! Es hat zwar vernommen,
aber es vermag eö noch nicht mit dcm Herzen zu
glauben, daß es jemals aufhörcn werde; deshalb, weil
eS das Ieitmaß nicht hat; und es kann das Zeitmaß
nicht haben, weil für das Kind der Lebcnsanfang in
mythischer Vorvergangenheit, in einer Art privatcr
Ewigkeit zurückliegt. Und nicht zu vcrgeffen, das Kind
erleidet niederschlagende Seelenzustände, von denen der
Erwachsene garnichts mehr weiß. I. B. die Lange-
weile, der tägliche Plagegeist des Kindes, das noch
nichts aus sich sclber herauszuschöpfen hat, alles von
außen beziehen muß. Und dann die Furcht! die Angst!
Furcht vor Tiercn, in dcn crsten Lebenöjahren sogar
vor jedem unbekannten Menschengcsicht, Angst vor Ge-
spenstern, Angst vor Einsamkeit oder Fremde, kurz
Weltangst, Angst in den Träumen und leider sehr bald
und fortan immer Angst vor den Strafen. Ja die
Strafen! Wäre es auch nur darum, daß ein Kind,
ein Bub oder ein Mädchen dem ewigen Ermahnen,
dem Schelten, dcn drohenden Strafen im Elternhaus
oder in der Schule unterworfen ist, daß es zittern
muß, wenn es „seine Aufgabe nicht kann", so würde
ich das Glück der Jugend bestreiten. Eö ist denn doch
in der Tat vom Schlimmsten, waö einem Menschen
widerfahren kann, daß er in die Lage versetzt wird, vor
eincm andern Menschen zittcrn zu müsscn oder sich
von ibm schelten zu lasscn, ohne daö Recht zu haben,
ihm zu erwidern.

Kurz, ich bin der Ansicht, die Jugendzeit und vor
allem das Kindesalter ist alles andere eher als ein
beneidenswerter und glücklich zu preiscnder Zustand.

Und die Moral davon? Ja muß denn jede Wahr-
heit einen Moralschweif haben? Jst denn die Wahr-
heit ein Angestellter des ErziehungsdepartementeS?
Ubrigenö wenn man durchaus will, so wüßtc ich schon
cinen Moralschluß zu dem Gesagten: die Kinder öfterö
trösten, ihnen täglich zeigen und ihnen auch offen ge-
stehcn, daß man sic lieb hat, und sie weniger unauf-
hörlich erziehen, ermahnen, verbessern, tadeln, maßregeln
und schelten.

Wir werden in der Zugend viel zu viel gescholten.

Carl Spitteler.

ber Agnes Miegel.

AgneS Miegel gehört nicht zu den Talenten,
die nach neuen Tiefen und Zielen streben, die
um einen neuen Rhythmus, eine neue Konzentration,
um neue Möglichkeiten deö Auödrucks ringen; sie wurzelt
durchaus in der Tradition, sie ist eine Erbin und Ord-
nerin überkommencn Guteö. Sie hat kcin cinziges
Gedicht geschrieben, an dem nicht Tradition und Kon-
vention wesentlichen Anteil haben, aber eS gibt wenige
Gedichte, die nicht in irgend einem Zug, einer Wendung,
einem Farbton, einem Bilde ihr Werkzeichen tragen.
Es ist nicht leicht, über die Art Agneö Miegels zu

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