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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 10
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Christiansen, Broder: Ein Problem der Porträtkunst
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Naumann, Friedrich: Der Nachwuchs
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0158

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Cin Problem der Porträtkunst.

heben könnte. Aber nun entsteht die Frage: wie ist
damit vereinbar die eigentliche Absicht des PorträtS,
einen indwiduellen Menschen in seiner tatsächlichen
Sonderart zu schildcrn und nichts zu geben, was nicht
deffen eigen wäre? Das Porträt soll ähnlich sein und
darf nichtö Frcmdeö unterschieben. Bedeutet eS nicht
eine Fälschung, wenn durch Formgehalt etwaö dem
Seelenleben eingefügt wird, waS übcr desscn Faktizität
hinausliegt?

Denn es wird nur selten geschehen, daß die zu
schildernde Persönlichkeit im Leben alS eine Verkörperung
des Metaphysischen sichtbar wird. Van Eyck soll die
biedern Stister eineö Altars malen, Dürer die Honora-
tioren der Stadt oder ein paar Kaiser, Velasquez
die Leute des Hoses. Was ist an diesen Heroisches
zu finden? Es sind Alltagsmenschen mit Alltags-
gesichtern.

So ist die Frage: wie daS Postulat der Por-
trät-Ahnlichkeit mit dem Postulat dcS Meta-
physischen vereinbar ist. Wie kann ein Werk
seinem Gehalte nach auf der Stufe Beethovenscher
Musik stehen und dabei nichtö weiter sein als die simple,
naturtreue Schilderung eineS Alltagömenschen, da doch
beim Porträt unvermeidlich der ganze Gehalt, den etwa
die Formen bringen, vergegenständlicht und in die
Psyche des Dargestellten hineingelegt, also ihm zu-
geeignet wird? — Die Vereinigung dieser scheinbar
unvereinbaren Postulate gelingt dadurch, daß wir im
Menschen, gegeben durch die sittlich-heroische Tricbanlage,
die Möglichkeit eincr metaphysischen Erhebung finden;
die sich vielleicht selten, vielleicht nie realisiert hat,
die also vielleicht garnicht bcigetragcn hat zum merk-
baren Habitus deS Jndividuums, die abcr doch ihm
auch nicht widerstreiten kann: die Möglichkeit, einzu-
tauchen m eine andere Wirklichkeit. Es kommt Einigen
ganz plötzlich, mitten in der Arbeit der gewohnten Dinge,
daß ihre Gedanken an das Metaphysische rühren, und
sie sehen ihr alltagsgewohnteö Leben wie ctwaö in der
Ferne liegen. Oder es kommt ihnen für einen Moment
die Wandlung, wenn sie einem Freund ins Auge blicken,
oder wenn sie Zeugen einer guten Tat werden. Dieser
Möglichkeit haben sich die Meister dcS Porträts zu
allcn Zeiten mit der Treffsicherheit ihrcS künstlerischen
Jnstinkteö bcmächtigt. Sie begnügen sich nicht, cin
Stück seelischer Wirklichkeit in seincr charakteristischen
Sonderart abzukonterfeien, sondern sie haben zur Auf-
gabe genommen, die individuelle Psyche zu schildern in
dem Moment, wo das Metaphysische sie überkommt:
wie gestaltet sich in diesem Jndividuum solches Er-
lebniö? Es handelt sich vielleicht um einen Menschen,
der nur den Älltag kennt, oder der Künstler findet ihn
nur in solchen Stimmungen: da muß er imstande sein,
ihn von innen heraus zu gestalten. Er muß in seiner
Phantasie schöpferisch jenc Möglichkcit sich vollenden
lassen, er muß die Vision haben dieses besondern
Jndividuums, wie es sein würde in seiner
metaphysischen Stnnde. Konkret gesprochen: der
Porträtkünstler muß, unbeschadet aller individuellen
Eigentümlichkeiten seines Vorbildes, diesem den physio-
gnomischen Ausdruck der Wirklichkeitsserne, der Ent-
rücktheit, des Sichverlierens auö dem Empirischen

geben. Es ist ein ganz bestimmter Ausdruck, der bei
jedem auftreten könnte; nur würde er bei jedem sich
anders einpaffen. So bleibt der Künstler innerhalb
der vorgeschricbenen Ahnlichkeitsgrenze, denn er über-
schreitet nicht die Möglichkeiten der gegebenen Jndivi-
dualität; und anderseitö bringt doch jener physiognomische
Iug die Motivierung für die Einlegung eineö höheren
Gehaltes; der Künstler darf nun durch die Sprache
seiner Formen ein Metaphysisches hinzufügen, denn es
ist motiviert alö der überempirische Wirklichkeits-
gedanke, an welchen das Jndividuum sich ver-
liert. Der höhere Gehalt wird ein inneres
Schauen. Jst dir nicht aufgefallen, daß die Bildnis-
werke unserer größten Meister, von Dürer, Eyck und
Tizian an zu Runge, Leibl, Feuerbach und Thoma,
daß alle, wie sehr sie auch jede individuelle Sonderheit
betonen, doch ein Gemeinsames haben, als seien die
Dargcstellten miteinander verwandt und anderer Art
alö Menschen sonst? Achtest du abcr darauf genaucr,
so bemerkst du, daß eö ihr Blick ist, von dem sie eine
Ahnlichkeit empfangen: die gleiche Selbstvergessenheit
des Blickes und wie er auf eine Ferne steht oder ins
Znnere sich zurückwendet. Bei einigen ift es wohl, als
ob der Blick gerade dich suchte; doch tritt du vor sie
hin, so bleibt er nicht bei dir, und du fühlst, daß du,
in deiner empirischen Eriftenz, ihm nicht Widerftand
bift und Grenze: und wie er über dich hinaus weiter-
geht, als reichte er hinaus in eine Gegenwart jenseit
des Lebens, die uns andern verborgen ist.

Broder Christianscn.

er Nachwuchs.*

Etwa 1400 Gcmälde bicten sich zum Kaufe
an: Wer will mich haben? Etwa 500 Maler und
Malerinncn warten ihres SchicksalS. Einige von ihnen
können warten, andere brauchen nicht zu warten, sehr
viele warten mit Begier. Hier ist kein Syndikat, das
den Umfang der Produktion regelt. Für den, der sehen
kann, schaut der Kampf ums Dasein aus hundert Rahmen
herauö. Man sieht ihn an der Stoffauswahl, am
Spezialistentum, an dem ganzen Bildungsniveau der
Bilder. Hier, wo neben wenigen Aristokraten der Kunst
zahllose Kleinmeister ihren Fleiß zur Schau stellen, kann
man gerade den Typus dicser Sorte von Kunftbctrieb
verstehen lernen. Soll man sagen, daß man viel
SchlechteS sieht? Das wäre falsch! Man sieht, daß
ein gewisses tüchtiges Maß von Können weit verbreitet
ist. Aber es fehlt dabei an Menschen, die aus dem
Vollen schöpfcn. Wo sollen sie auch in so großer Zahl
hcrkommen? An sich schon ist wi'rklichcs Gcftaltungs-
vermögen nicht allzureichlich ausgeftreut. Man kann
recht nett beobachten und wiedergeben und doch keine
hinreichend markante Persönlichkeit sein, die ganz von
selber aus dem Beobachteten Lchöpfungen macht- Aber
selbst da, wo mehr vorhanden ist als die Eigenschaften
eines guten Schülers, sehlt in zahlloscn Fällen die Größe
der eigenen Lebensführung. Ein Künstler ohne Geld

* Aus „Form und Farbe" (Buchvcrlag der „Hilfe").
 
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