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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 9
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Lissauer, Ernst: Über Detlev von Liliencron
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0118

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H H ber Detlev von Liliencron.

„Licht, wie bist du mir lieblich zu sehn,

Leben, wie bin ich dir gut!" Agnes Miegel.

Detlev von Liliencron, der im Juli, Ernst von
Wildenbruch, der im Beginn dieses Jahres ftarb, waren,
ob sie auch zeitlebens in verschiedenen literarischen Lagern
gcstanden haben, im Grunde verwandtc Naturen: beide
dem Adel entsprossen, beide srühere Osfiziere, bcide vi-
brierend von starker Vitalität, beide erst spät vom Alter
berübrt, zugreisende, rasche, hestige Talente, balladische
Naturen, Reiter der Dichtung.

Zu gleicher Zeit, Ansang der achtziger Jahre, traten
sie auf und brachten init ihren durchaus deutschen
Dichtungen eine Rcaktion gegen die literarische Fran-
zosenherrschast deS abgelausencn Jahrzehnts.

Aber Wildcnbruch war der Sprache, den Problemen,
vor allcm der ganzen dichterischen „Methode" nach ein
Nachsahre; Liliencron setzte die Entwicklung als ein
selbftändiges Glied fort. Er war nicht, wie man vor
dreißig Jahren behauptet hat und noch heute behauptet,
ein Schöpfer ganz neuer Töne, — das sind wirkliche
Dichter niemals, und daraus kommt eö auch gar nicht
an: — zwar hat er, dem damaligen stürmenden und
drängenden Wescn gemäß, sich auch biöweilen „neu-
tönerisch" gcbärdet, allein die Dichtungen, die von ihm
bleiben werden, reihen sich dem Blickc des Geschichts-
kundigen mit Notwendigkeit in die Folge der deutschen,
insondcrheit der norddeutschen, Lyrik ein.

Wenn man den gewaltigen Jubel bcgreisen will,
mit dem die damalige Jugend Liliencronö erstes Lyrik-
buch empfing, — die Nachgeborenen verftehen diesen
Uberschwang nicht mehr in seiner ganzen Fülle und Ur-
sprünglichkeit, und die nachkommenden Leser werden ihn
von Geschlecht zu Geschlecht minder vcrstehn —, so
muß man sich die literarische Situation jener Tage
vergegcnwärtigen. Es herrschtcn auf der Bühnc die
Sardau und Dumas samt ihren deutschen Nachahmcrn,
Lubliner, Lindau, Blumcnthal, in Lyrik und Epik
Grisebach, Bodenstedt, Träger, Baumbach, Wolff, Ebers:
die herrschende deutsche Literatur war im wesentlichen
prosaischeS oder versifizicrtes Feuilleton geworden. Sie
war erfüllt entweder mit der dumpsen, stockigen Luft
langwciliger Kleinbürgerstuben oder mit dem Patschouli-
und Moschusduft von Boudoirs und SalonS: diesem
Augiasstall wurden nun die Wände mit ein paar raschen,
massiven Griffen eingerissen und, wie damals in der
griechischen Sage, ein Schwall klaren Wassers, —
Niederclbe- und Nordseewassers — hineingeflutet; wie
einst der Teufel des Lesage, so dccktc auch hier eine
mächtige Krast die Dächer ab, doch nicht, um Menschen
zu beobachtcn, sondern um in brcitcn Fudern Licht und
Luft — Heidesonnenlicht, Marschen- und Salzluft —
hineinzuladen. Das Lesen dieser neucn Gedichte war
eine lcibhastige Streife in Holftein und den Vierlandcn,
i» Marsch und Geest, zwischen Roggen und Weizcn,
lcibcigen ward dem Enipfangenden Wald, Moor und
Heide, man ritt mit diesem Dichter im Trabe, Trabe,
Trabe, lehnte mit ihm an den Knicktorcn, rastcte mit
ihm unter Goldregen und Syringen, man patrouillicrte,
pürschte, flanierte, liebelte und liebtc, aß, trank mit

diesem Mann. Man war sein Gaft, man war sein
Duzfreund, man war sein Schatten. Sich und all
sein Leben tat er auf; sich und all sein Leben ver-
schwendete er.

Dies war der Eindruck. Dic mannigfaltigsten Um-
stände waren zusammengetroffen, um ihn zu erzeugen,
und dies obendrein zu einer Ieit, da er besonders stark
sein mußte.

Kunst und Kultur sollten, wie immer in verkünstelten
Ieiten, „wieder Natur werden": Liliencron kam vom
Lande, war mit Raps und Runkelrübe, Admiral und
Pfauenauge, Schnepfe und Wachtel aufgewachsen, und
kannte jedeS Graö und Kraut, Blume, Baum, Kafer,
Vogel bei Namen.

Die Vervollkommnung der naturwissenschaftlichen
Beobachtungen hatte eine ungemeine Fülle ncuer Wahr-
nehmungen erschlossen, die in daö Unterbewußtsein der
Allgemeinheit übergegangen waren: er hatte als Offizicr
in drei Kriegen und als Jäger seine Sinne aufs schärfste
verfeincrt und aufS vollkommenste nützen gelernt.
Obendrein war er als Niederdeutscher Angehöriger eines
Stammes, der schon seit langem eine ungemeine Fähig-
keit im Beobachten realistischer Details gezeigt und in
den Künsten versichtbart, der im siebzehnten Jahr-
hundert die holländischen Kleinmalereien, im achtzehnten
die Brockesschen Naturbetrachtungen und die Vossischen
Jdyllen, im neunzehnten die Drostische Lyrik und
Stormsche Gedichte wie „Waldweg" und „Abseits"
hervorgebracht hatte. An diese beiden, insonderheit an
die Droste, deren Naturbilder teilweis eine verwandte
Hellhörigkeit und Scharfsichtigkeit erweisen, knüpfte
Liliencron unmittelbar an. Man lechzte nach Erneuerung
dcr Eindrücke, er trat auf und schüttete eine Fülle von
subtilstcn Eindrücken hin. Er wußte Laute aufzufangen
wie das Schlüpfen eineö Marders, daö Atmen schlafendcr
Schlangen, das Rupfen deö Gaules auf der Wiesc
vor dcm offencn Fcnstcr; er zeichnete das Ohrenspiel
Abdallahs, scincs Pferdes, die ftatternden Schnurrbärte
dcr Tänzer: „mit Blitzlicht und Büchse" beschlich er
die Natur, seinc Sinne rezipierten mit der Akkuratesse
eines Kodak.

* *

*

Wenn ein Zeichner die Umrisse eines Hauptes auf
das Papier zeichnet, so ist eö, als ob er Grenzen ab-
steckt: mit dieser wesentlichsten Eigenschaft Liliencrons
ist auch seine Beschränkung dargestellt. Er ist Zm-
pressionift im reichften Sinn, er ist der größte Jm-
pressionist der deutschen Literatur — vielleicht die Drofte
auögenommen —; aber: er ist auch nicht mehr als
Jmpressionist. Die äußeren Eindrücke überwiegen an
Iahl und Gewicht die inneren; er empfängt mehr Ein-
drücke als er seelisch verarbeitet. Seine Kunst ift
sensualistisch und physiologisch; oder, mit anderen Wor-
ten: er sieht, grob gesagt, die Welt als Bild, nicht als
Sinnbild.

Die Forderung seines Meifters Storm, die dieser in
der Einleitung zu seinem „Hausbuch deutscher Dichter"
formuliert hatte, daß das lyrische Gedicht zunächst eine
sinnliche Wirkung habe, aus der sich dann die geistige
von selbst ergebe, erfüllte Liliencron in ihrem ersten

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