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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 11
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Schäfer, Wilhelm: Werkbund und Heimatschutz
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0195

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genaue und liebevolle Kenntnis alter Formen - deren
Gründlichkeir und reine Freude damit nicht verdächtigt
werden soll — das hat sich bei den Eijenbrücken er-
wiesen, die lange allgemein sür häßlich galten, obwohl
sie teilweise - wie etwa die alie zu Koblenz oder die
neue zu Düsscldorf wahre Wunder von konftruktiver
und ornamentaler Schönheit ^sind. Der nun schon fast
berühmte Kampf um die alte Mainbrücke bci Frankfurt
brachte ein alteS überraschendcS Projekt vom Balthasar
Neumann zutage, das nur zufällig damalö nicht zur
AuSführung kam. Wenn cs nun aber heute stände,
dann wäre ihm die alte Brücke schon damals geopfert
und wir liebten und bewunderten die neuen Bögen
vom Würzburger Neumann heute alö altvertraut.

Um aus das Beispiel vom Landsturm zurückzu-
kommen: Vor dreißig Jahren, als im Namcn von
unserer Väter Werken der Zerstörungskrieg in Deutsch-
land begann, wäre seine Tätigkeit blutnötig gewesen,
heute kommt er leider um diese dreißig Jahre zu spät,
sodaß er in der Pflege bürgerlicher Altertümer ein
sentimentales Anhängsel der konsequenten Denkmals-
pflege bildet. Solange darin dcr gelehrte Stilgeist
herrschte, schien die Heimatschutzbewegung eine notwendige
Auflehnung des Gefühls, dem der Stil gleichgültig, die
schöne Erscheinung alles ist. Unterdessen hat sich aber
auch in der Denkmalspslege der moderne Gedanke durch-
gesetzt, sodaß der Heimatschutz gewissermaßen am Wege
liegen bleibt; wie es in Trier tatsächlich geschah, wo
seiner verfahrenen Tagung die glänzenden Verhandlungen
. der Denkmalspflege unter der energischen Leitung von
Oechelhäuser folgten. Hier erkämpfte die moderne Ge-
sinnung gegen den historischcn Stilzwang den endgültigen
Sieg, während dort das altmodische Gefühl allerlei
Klagelieder anstimmte. (Wobei die prak'tischen Leistungen
deö Rheinischen Vereins eine resolute Ausnahme machten.)
Wir können heute sicher sein, daß der Denkmalspflege-
tag z. B. einer Wiederherstellung des Otto-Heinrichbaues
im Schäferschen Sinn nicht mehr zustimmen wird; aber
wir zweifcln, ob der Heimatschutz nicht gegen moderne
Bauten altmodische Gefühle wachzurufen geneigt ist.

Und seien wir ehrlich: wodurch ist in diesen drei Jahr-
zehnten unser deutscheö Land so schrecklich verhäßlicht
worden: durch das, was abgerisien oder daS was neu ge-
baut wurde? Wenn es möglich wäre, alle schlechten Ge-
bäude nnt einem Schlag wieder zu beseitigen, die in dieser
Zeit gebaut wurden, wir würden gern alles in den Kauf
geben können, waö dcr Heimatschutz heute noch am
Alten zu schützen findet. Entscheidend sür die Erscheinung
unseres Landes nach dreißig Jahren wird sein, was wir
in dieser Zeit gebaut, nicht was wir an Altem — von
den monumentalen Schätzen abgesehen — aufbewahrt
haben. Während z. B. der Streit in Frankfurt um
die alte Brücke ging, ist draußen die Fefthalle gebaut
worden und manches peinliche Gebäude in der Umgebung.
Der ungeheure Aufschwung unserer bürgerlichen Welt
hat so unsinnig große Bedürfnisse an gebauten und
möblierten Prachtgebäuden: da bedarf die moderne
Gesinnung der letzten künstlerischen Kraft. Es muß
schon schaden, wenn auch nur einer beim Landsturm
bleibt, der nach seinem Einfluß oder seiner Hand mit-
helfen könnte, dem Neuen „recht eigentlich zu leben".

W. Schäser.

D

aö Weltpostdenkmal.

Jeht. da das Unheil geschehen ist, wird man sich wohl
oder übel damit abfinden müfsen. Das Weltpostdenkmal von
Charlcs-Rens de Samt-Marceau wurde am vierten Weinmonat in
Bern feierlich eingeweiht. Jn seiner ganzen Anlage stellt es den
Triumph der Equilibristik in der Denkmalkunst dar. Jnsofern
dürfen sich die Berner gratulieren, cin Unikum zu besitzen, dessen
Anwesenheit die Aufgabe einer ihrer schonsten Promenaden wohl
lohnt. Würde ich, als ein von der Literatur Unbceinflußter, vor das
Denkmal gestellt mit der Aufgabe, es zu dcutcn und zu beschreiben,
so würde ich aus meinem einfachen Cmpfinden hcraus sagen:

„Aus einem Berge cntspringt einc nach oben drängende
Wafferhose odcr eine vulkanische Eruplion, dercn Strahl eine
unwahrscheinlich schwcre Sphärc in dcr Luft balanciert, etwa wie
das klcine Wasserstrählchen die silbernen Glaskügclchen in den
Jahrmarktsschicßbudcn. Um die Sphäre herum winden sich in
kollcm Reigen fünf Genien, weibliche schicke Gestalten, die eine
Art Fangspiel zu treiben scheinen. Und rechts, cin wenig abseits
in dein Berge, ruht cine große Frauengestalt, scheint zu überlegen,
was die Walpurgisszene da oben zu bedeuten habe, ohne eine
anständige und plausible Lösung zu finden. Sie schaul daher
unglaublich dumm in die Welt hinaus und stüht den Arm auf
einen Schild, auf wclchem wir das Berner Wappen vermutcn
dürftcn, wärc nicht das Wappentier, halb Schwein, halb Hund,
eifrigst bestrebt, über den Qmerbalken und den Schild hinaus in
die Klüfle des Berges zu kriechen."

Und wenn man mich fragcn würdc:

„Cntschuldigen Sie, ist an dem Denkmal ctwas auszusetzcn?"
so würde ich bestimmt erwidern:

„Gewiß, die Sache, so wie sie nun einmal ist, kommt mir
zu ruhig vor; laffcn Sic, bitte, dcn zweifellos vorhandenen aber
versteckten Mechanismus spielen, damit der Nauch oder das
Waffer, das aus dem Berg emporschießt, rascher quelle, die
Sphäre sich von links nach rechts und die Genien von rechts
nach links sich drehen und das arme Wappenvieh davonlaufen,
sich verkriechen und schämen könne."

Was gilt die Wette, ich hätte mit diesem Wunsche den ge-
heimsten Wunsch von de Saint-Marceau annähcrnd richtig gctroffen!

Der Satz von der Nuhe im Dcnkmalstil als Größe hat
mir, insofern er Anspruch auf dogmatischcn Wert erhob, eigentlich
nie zu imponieren vermocht. Weil er mir ein wenig pedantisch
vorkam und in mir, wo ich ihn gelcgentlich verwirklicht sah, pure
Langeweile auslöste. Jch sage und bckenne das hier, um von
vornhercin den Verdachl von mir abzuwälzen, ich sei dem Saint-
Marceauschen Werke mit dem Vorurteil eines ästhetischen Lehr-
satzes cntgegengetreten.

Aber schlicßlich hat alles seine Grenzen. Jn Erz gegoffene
Wolken, wirbelnde Karuffelle, raupenartige Bären . . . daran
muß ich mich erst ein wenig gewöhnen- Mein irrgewordenes
Auge sucht vergeblich nach Anhalts- und Fixierungspunkten, späh
nach Linien, — alles wirbelt und verknäuelt sich in einemt
uncntwirrbaren lrnearcn Chaos. Und das ausgerechnct auf der
kleinen Schanzc in Bern, einem Platzc, deffen schon vorhandene
Baumarchitektur gcrade nach etwas Großcm, Ernstem, Linearem
schrie. Wo es auch cincm mittelmäßigen Talente möglich
gewesen wäre, Crfreuliches zu schaffen.

Nichtsdcstoweniger wurde Saint-Marceau am vierten Wein-
monat in Bern als der geniale Künstlcr gepriesen. Das bedeutete
angesichts der vollenteten und unwiderruflichen Tatsache eigentlich
nichts mehr, als cinen Akt intcrnationaler Höflichkeit, den wir
gern gläubiger angehört hätten, wcnn unsere Bekanntschaft mit
Saint-Marceau nicht weiter zurückreichte.

Jch sah seinen jungen Dante, der mit kokett gekreuzten Beinen
im Lupemburg auf einer Stabelle sitzt, und freute mich dcs cle-
ganten Mantels. der hübschcn Frisur, der wohlbcrechneten linken
Hand, die auf dem Oberschenkel ruht, aber meine Gedanken waren
weit von jenem Dante entfernt, welchen Nietzsche derb, aber nicht
unzutreffend „die Hyäne, die in den Gräbcrn wühlt", nennt.

Und ich entsinne mich des Genius, der das Geheimnis des
Grabes hütet. Ein schickes epotischcs Frauenbild, das mir für die
Hüterin cines ernsten Geheimniffcs verteufclt indiskret und kokett
vorkam. Der Blick über die Schulter, die Arme, die wollüstig
die Urne umschlingen, crinnerten mich zu sehr an Blicke und
Arme, die man alle Abende auf den Grands Boulevards gern
bewundert, weil die Genien dort ein umüsanteres Geheimnis —
auch nicht hüten. C. A. Loosli.
 
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