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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 12
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Schäfer, Wilhelm: Die Trommel: eine Weihnachtsgeschichte
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Blaß, Curt: Das Märchen von Käthen im Winde
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0220

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Die Trommcl.

Decke ab, wo ich getastet hatte, den Boden und das
ganze Iimmer, soviel ich es mit raschen Blicken um-
sassen konnte. Und wollte mich schon wieder weinend
aus das Kissen werfen, als meine Muttcr lächelnd
unters Bett hmdeutete.

Mit einem Sprung war ich hinaus und stand im
Glück ganz übernommen, als ich die Trommel leuchtcn
sah mit ihrem Messingstreisen. Und griff sie hoch und
stockte und wußte nicht, was meine Augen sahen: weil
sonst ein Kalbfell weiß und glatt aussieht, nicht wie
ein alter Schwamm und auch nicht riecht.

Das war dieSmal kein Junge von der Straße,
auch kein Gespenst, wie sie zur Nachtzeit wohl in alten
Häusern hinter den Schränkcn, auch unter Betten sitzen.
Das war ich selber gewesen, der sich in dunkler Nacht
schlaftrunken vergriff, weil er nicht wußte, daß die
Eltern ihm noch abends die wiedergefundene Trommel
vors Bett hingestellt hatten. So kann kcin böser
Traum ein Kinderherz durchschmerzen wie diese Wirk-
lichkeit am zweiten Weihnachtsmorgcn, die ich wohl
zwanzigmal verleugnen wollte, obwohl sie in dem grellen
Licht der Messinglampe bcharrlich stand, daö meine
Mutter, vorgebeugt in Zorn und Überraschung und
danach ganz erstarrt, dicht hinter meinen Schultern hielt.

as Märchen von Käthen im Winde.

Von Curt Blaß.

Es war in Opunt ein Kind und hieß Käthe.
Seine Eltern waren geringe Leute und wohnten weit
ab vom Dorfe in einem schlechten, kleinen Häuschen;
denn sie waren langsame Wirte. Auch waren sie ärm-
lich an Körper und Gcist, da sie harte Arbeit oder
harte Not abwechselnd bei sich zu Gaste hatten, je nach-
dem, welche ihnen gerade erträglicher vorkam. Trotz-
dem hatten sie ein Kind, das so überaus schön und
liebreizend heranwuchs, daß ihm alle Menschen und
Dinge gut waren. Wer nur die Käthe ansah, schenkte ihr
gerne eine Kleinigkeit, nur um ein Lächeln auf dem
feinen Gesichte und einen Blick der hellen Augen. Je
größer aber die Geschenke auöfielen, desto freundlicher
und zutraulicher erzeigte sie sich; und je besser dcr Dank,
desto bereüer die Gabe. So kam es, daß sie bald vo»
allen Seiten mit Spenden vieler Art überhäuft wurde,
wie es ein jeder vermochte.

Als das die Eltern merkten, sprachen sie unter-
einander: „Wir haben unser Lebtag schuften müffen
und sind auf keinen grünen Iweig gekommen; unser
Kind aber braucht nichts zu tun und bringt doch inimer
viele schöne Sachen hcim. So soll es fleißig unter die
Leute gehn und einheimsen! Wir aber wollen nicht
länger werkeln, sondern uns wohl sein lassen."

Sie schärften dem Kinde ein, eS solle zusehn, daß
man ihm recht viel schenke, und gaben ihm Lehre und
Rat, wie es dazutun könne. Kälhe mcrkte wohl auf,
besonders wenn man vom Reichsein oder von ihrer
Schönheit sprach, aber sie liebte es nicht, über die
schmutzige Dorfstraße zu gehen und sich von den rauhen
Fingern der Bäuerinnen überü Haar fahren und von
den schwieligen Händen der Bauern die Wangen klopfen

zu lassen. Viel licbcr saß sie droben aus dem Berge
unterm Birnbaum und schlug alle Bettelkünste in den
Wind; denn die Gabcn kamen auch so.

Der Wmd aber liebte die Käthe vor allen Dingen.
Er ist beweglich und kommt weit herum und kcnnt
sich aus, wo etwas schöner ist als anderwärts. Schon
wenn sie, ein kleines Kindlein, in ihrem Wägelchen vor
der Haustür an der Sonne stand, kam er herbei,
streichelte sie behutsam und setzte Käfer und Falter auf
ihre tastend spielenden Händchcn. Wie sie größer ge-
worden, scherzte er kecker mit ihr und rüttelte ihr die
Bäume, daß die Äpfel und Pflaumen und Nüsse um
sie herum herunterprasselten, nur so zum Bücken. Dpäter
dann, wie ihre Glieder sich schlank zu strecken begannen
und lachende Klugheit in dem sanften Oval ihres Ant-
litzeö auswachte, ward ihr der Wind mit seinen weichen
und heftigen Liebkosungen der trauteste Gefährte.

Deshalb ging sie oft hinauf zum Birnbaum auf dem
Berge, denn dort konnte der Wind sie von weither
erspähen. Von Ost und West, von Nord und Süd,
von allen Seiten zugleich wehte und stürmte der Wind
dann heran und tanzte um sie freudevoll einen wir-
belnden Reigen. Da löste sie wohl ihr langes Haar
und licß es flattcrn. Das Röcklein wehte um sie herum
und haschte nach dem schwebenden Schwall, wenn sie
mit ausgebrciteten Armen aufsprang, sich dehnte und an
den Wind schmiegte. Und so währte es nicht mehr
lang, daß sich ihre Füße zu regen begannen, daß sie
glühend vor Lust und Eiser mit dem Wind einen lustigcn
Tanz tat.

Wenn dann drunten im flachen Tal eine Magd beim
Kartoffelhackcn den schmerzcnden Rücken gerade bog,
das Tuch unterm Kinn fester zog und hinaufschaute,
was für Wetter übern Berg käme, so rief sie wohl
kopfschüttclnd: „Seht doch die Käthe im Winde!" Und
die ganze Reihe hielt inne mit der Arbeit und schaute
hinauf. „Käthe ini Winde" hieß sie fortan unter den
Leuten.

Abcr auch wenn der Wind Wolken und Regen mit-
brachte, oder der Süd ein Gewitter, war sie gerne dort
drobcn und ließ sich die Tropfen die Wangen hinab-
schmeicheln und freute sich nach dem Tanz der süßen
Schwere in Gliedern und Kleidern, die ganz vom
Regen durchtränkt sich an sie legten wie mit einer
müden Zärtlichkeit. Langsam wand sie sich das nasse
Haar aus und überlegte, was sie sich wünsche, und
was ihr zunächst wohl könnte geschenkt werden. Ach,
nur irgend eine Näscherei, vielleicht gar ein Strumpf-
band oder eine Schürze vom Jahrmarkt; aber was
sollte ihr das? Sie wollte etwas haben, etwaS ganz
Besonderes, etwas Großes und Seltenes) das niemand
sonst hatte. So etwas mußte eine stolze Freude sein!
Was aber es jei, das wußte sie noch nicht; darüber
mußte sie nachdenken.

Als sie nun einmal sich matt und satt getanzt,
setzte sie sich auf die Steine unter dem Birnbaum,
denn eö war ein heller, heißer Tag, und entschlief.
Da kam ein Schlänglein untcr dem Gestein vollends
hervor und konnte sich nicht enthalten, sondern ringelte
sich leicht um den runden braunen Arm, der ihr zur
Erde herabhing. Aber noch ehe die Schlange ent-

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