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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 7
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Lissauer, Ernst: Jesus und das Neugeborene: Legende
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[Notizen und Besprechungen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0046

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(^^esus und das Neugeborene.

Legmde von Ernst Lissauer.

Da Jesus mit den Jüngern in der Ebene wanderte,
versammelte er sie um sich nnd befahl ihnen, auszu-
gehen, der eine hierhin, der andere dvrthin, scin Wvrt
zu predigen an mancher Statt und wiederzukehren am
neunten Tage an den gleichen Ort; die Jünger Petrus
und ^ohannes hieß er bei ihm verbleiben und ihn
geleitcn.

Eö nachtete, und kein Dorf noch Hof war nahe,
nur dunkel ringö Wiescnland und Scholle und darüber
dic Finsterniö; Wolken verhüllten die Sterne und den
Mond. Die beiden Jünger stolpertcn, klagtcn, lahmten;
JesuS ging voran und reichte ihnen biöweilen rück-
gewandt ein Wort wie cinen Trunk Güte. Plötzlich ver-
harrte er und wieS mit dem Arm vor sich: „Seht,
dort in dcr Fcrnc glänzt ein Licht; wie cin Stern steht
es, cin irdischer, nahe dem Boden, und leuchtct durch
die Nacht in unsre Wanderung." Es schien, und sie
schritten rüstiger. Bald standen Gehöfte zur Rechten
und zur Linken, erst einzeln, alödann mehrere nahe
einander, bis sie verwuchsen zu einer Gasse auö Holz
und Stein, die sacht einen Hügel anklomm, sich wand
und winkelte.

Da, wie eine klare Quelle schwarzcm Waldgrund,
entsprang ein Singen auö der Dunkelheit, und als es
näher drang, trat auö der Finsternis ein Weib. Jesus
sprach: „Sei gegrüßt! Jener Schein dort war uns
entzündet als ein Wegmal und Herbergzeichen: sage,
werden wir Obdach finden bei dem Licht?" — Sie ant-
wortete: „Ich komme von dort her gegangen. Freude
ift in jenem HauS; darum werdet ihr Obdach finden
als willkommene Gäste. Ein Kind ward dort geboren."
Petruö frug: „Jst es um deö Neugeborenen willen, daß
du singeft?" — Sie sprach: „Jch bin die Wehemutter.
Ich habe das Kind gehoben tief aus der FinsterniS im
Mutterleib empor. Um des Neugeborenen willen singe
ich." — Sie reichten ihr die Hände; sie gingen, die
Frau talab, die Männcr hügela», sie sang dort in die
Nacht, und Petrus summte hier ein paar Schritt lang
ein weniges vor sich hin.

Jesuö sprach: „AlS Gäste treten wir in daS Haus,
darin das neue Leben ausgegangen ist; wir wollen es
grüßen und begabcn." — PetruS lächelte, es cigne
ihnen keinerlei Habe als Rock und Stab und der Ranzen
Doch JesuS nahm aus dem Wandersack den Becher,
süllte, als ein Brunnen an der Straße rauschte, darein
von dem fließenden Wasser und reichte eö dem Petrus,
daß er cS trage. Nach eincr Ieit standen sie vor dem
Hause, darin daö Licht brannte, und daraus ein Scheinen
in die Gasse fiel. Gcscheitet Holz war aufgeschichtet an
der Mauer; Jesuö griff einen Span aus dem Haufen,
hicß den Johannes Stein, Stahl und Iunder aus dem
Ranzen langen und Fcuer schlagen, und bot dem Iünger
alöbald das entzündcte Holz. Sodann grub er Erde
aus, dvrt, wo er stand, und sülltc die cingcticfte Hand
gleich ciner Schaufel. Er sprach: „Ein Gast ist gc-

kommen aus fremdester Fremde, auö letztem Raum,
mit Gastgeschenken begrüßen wir den Ankömmling."

Er pochte an daS Fenster. Es ward geöffnet, und
die Stimme des Vaters srug in die Nacht. Jesus
sprach: „Drei Wandcrer auö scrnem Land baben ver-
nommcn, daß hier ein Kind geborcn ward, und wollen
eö sehen, grüßen und begaben." Schritte kamen durch
daö Gemach in den Flur, und an der Tür ward ein
Riegel gcrückt; die drei, geneigt Nacken und Haupt
unter der Niederkeit, traten in die Stube. Die Frau
lag auf einer Bettstatt, die bemalt war mit dicken
Nelken und Rosen; die Wände starrten leer und an-
geschwärzt; die Lust lastete wie an der Deckc geballt
über der Stube. Sie traten an die Wiege. Johannes
hielt dcn Brand übcr sie, daß Wärme das Kind ftreiste
und Helligkeit sich übcr eö brcitete. Petrus berührte
daö Wasser und netzte dem Kinde den Mund, alS ob
er ihn tränkte, und die Hände, als ob er sie bade.
Jesus streute ein wenig Erde auf die Tücher und
sprach: „DieS ist die Erde deines Wandels"; und streute
abermalö und sprach: „Dies ist die Erde deines Ackers".
Jndem eröffneten sich ihm die Mauern; Raum ward
ihm aufgetan, Zeit ward ihm aufgetan, er sah über
Meilen Ieit Hände werfen Erde und Grust aus-
gegraben unter dem Wurs, und hörte über Meilen Zeit
aushallen den Fall der Schollen drunten. Da spürte
wohl das Kind, daß draußen Raum und Zeit wie eine
Landschast lag, und wehte wohl ein Hauch von dort
an seine Wange, daß es schauerte, und es begann zu
weinen. Jesus nahm es und machte ihm in seinen
Armen eine Wiege, summte ihm einen Trost, schläferte
eS und legte es. Sein Blick lag auf dem Atmenden wie
eine segnende Hand.

b>arlöniher Kunstgewerbe.

Cine kunstgewerbliche Ausstellung, der als einheltlicher
Grundgedanke die Cntwicklung einer kleinen Sommerwohnung
mit anschließendem Garten zugrunde gelegt ist, ist dieser Tage
in den Ausstellungsräumen des Kunstgewerbehauses von C. F. Otto
Miiller eröffnet worden. Das besondere Derdienst dieser Aus-
stellung, deren Arrangement in dcn Händen von Professor Uble
und Hellmut Cichrodt lag, liegt darin, daß in verhältnismüßig
bescheidenen Rahmen etwas unmittelbar Dorbildliches gezeigt
wird l die richtige Mitte echter Wohnkunst ist eingehalten worden,
die sich ebenso fernhält von aufdringlicher künstlerischer Abstcht-
lichkeit wie von unkünstlerischer Kulturlosigkeit. Iedes einzelne
Stück der Cinrichtung entspricht bei aller Cinfachheit (Korbmöbel
von Riemerschmid u. a., Keramiken von Läuger, Scharvogel,
Schmidt-Pecht u. a., Wandschmuck des Karlsruher Kimstler-
bundes usw.) den strengsten Anforderungen an künstlerische Ge-
diegenheit in Form, Farbe »nd Ausführung, und der gleiche
Geschmack für feine, inlime Kultur spricht auch aus der Ausammen-
stellung der Zimmer. Cs ist jenes Selbstverständliche, das vor-
nehm ist ohne Aufwand, und modern ohne gewollte Modernität —
also gerade das, was unsere modcrne Kunst noch vielfach ver-
missen läßt, wozu w!r aber unbedingt kommen müssen. ^n
einem Raume ist auch gezeigt worden, wie sich das eme und
andere Stiick guter alter Handwerkskunst recht wohl mit emer
modernen Cinrichtung verträgt. Es besteht die ckbsicht, diese
Art kleiner Ausstellungen zu einer beständigen Cmrichtung zu
machen; das wäre um so mebr zu begrüßen, als in Karlsruhe
für absehbare Zeiten die Aussichten auf größere, auf staatliche
Unterstübung angewiesene Ausstellungen so ungünstig wie möglich
lieqen Cs ist die Aeit gekommen, wo private Kräfte emsehen
mllffen, um den Mangel an Lffentlicher Kunstförderung auszu-
gleichen. ^ K. Widmer.

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