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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 10
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Steinhausen, Wilhelm: An Hans Thoma
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Lissauer, Ernst: Über Friedrich Naumann als Prosaiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0147

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n Hans Thoma.

An einem Sommerabend saßen zwei Jünglinge
am Abhang eineS Hügels nahe einer großen
Stadt und sahen über die Dächer hinauö in die Ferne.
Die Ferne locktc mit ihren hohcn Bergen und den vor
ihnen ausgebreiteten Wäldern. Und die Freunde sahen
wohl dahin, wie in das Land der Sehnsucht, das zu-
gleich das Land der Vergangenheit und der Zukunft ist.
Und wie nun die Somie sich immer tiefcr scnkte und
die Schatten länger wurden und der Duft farbiger, da
stockte das Gespräch und sie wurden still. Aber dann
sprach dcr eine: Weißt du, wo meine Heimat ist? Und
er erzählte: Berge sind auch dort, dunkle Wälder und
Täler voll Wiesen und Bächen. Da steht ein Haus
mit weit herabhängendem Dach mit Schindeln gedeckt.
Eine Mutter wohnt darin; sie ist es, die mich bei der
Hand nahm und führte mich durch daö weitc Tal
mit seinen Dörfern und Blumen zur großen Stadt am
reißenden Strom. Sie ists, die mich aber auch leitete
zu den geheimnisvollen Quellen ewigen Waffers, die
mir die Sterne zeigte und die Wolken und die Schrist-
zeichen des heiligen Buches. Und nun bin ich nirgend-
wo fremd, ich mag einsam sein und unter der Menge
oder mit den Freunden; du niagst um mich sein oder
fern: dcr, der die Heimat hat, braucht nicmand.

Und der Freund wußte nun, warum die Kunst eine
Heimat hat und warum sie groß und wcit werden
muß und warum es seine Kunft wurde.

Weißt du, wo deine Heimat ift?

Wir können uns nirgends bergen. Da ist eine
Dachkammer, an die im Winter der Wind die Schnce-
flocken treibt und sie dort auftürmt und sie dunkel
macht. Da sind öde Straße» mit Häusern, wie Mauern,
die Fenster haben — man weiß nicht wozu sie dienen,
denn wer wollte hier hinter ihnen wohnen? Und doch
eine Heimat?

O die Welt ist einc große Straße, auö welchem
Ort kommt sie, wohin führt sie? Und wir taumeln
dazwischen und rufen unö zu und eilen aneinander
vorbei.

Und wo ist cure Heimat?

Bist du schon auf einem Schlachtfelde gewesen?
Kennst du das Ehrental? Da liegen sie, die da starben
und kämpflen, auch die Feinde, die Fremdlinge, und auf
ihrem Denkstein steht geschrieben: Mollorsw xg.triaw
aiipstunt. Und nun ists ein Garten, und wenn eö
Frühling ist, istö als wcnn Blumen die dunkle Pforte
verbergen wollen, und die Vögel singen fröhlich ihre
neuen Lieder. Freund, wir standen auch vor solcher
Pforte, und ift sie nicht auch jetzt vor unö?

Komm, gib mir die Hand, sie läßt den Lorbeer
frei — wir schauen noch einmal wie an jenem Abend
über die Stadt und in die Ferne — dorthin, wo
die hohen Berge sind. Wie freundlich doch der Weg
war und wie tröstlich manche Stunde der Ruhe
und des Verborgenseinö. Siehe, dort kommen wieder
die Sterne:

. . . „und us dcr Heimeth chunnt der Schi';

„'s muß lieblig in der Hcimeth sy!"

Wilhelm Steinhausen.

1 Ober Kriedrich Naumann

als Prosaiker?

Iufolge zahlreichen gedruckten und mündlichen Nuße-
rungen ift Friedrich Naumann ein Redner von un-
gemeiner Wucht und Eindringlichkeit. Für alle seine
Arbeit ist daö rednerische Element von großer Be-
deutung. Als Theologe war er Prediger, als Politiker
ift cr Redner in Volksversammlungen und Agitator für
eigene und fremde Wahl, als Abgeordneter hat er selten,
aber mit großcr Bcachtung gesprochen, auch bei andern
Gelegenheiten, etwa auf der Tagung des Deutschen
Werkbundeö, hat er, dem Protokoll zusolge, starken
Eindruck gemacht.

Ein rednerischeö Element ist nun auch in seiner
Prosa zu erkennen: wenn Naumann schreibt, so ist es
ihm unwillkürlich, als rede er zu einer großen Ver-
sammlung. Sein Prediger- und Agitatortum wachen
auch dann in ihm, wenn er scheinbar nicht predigt und
nicht agitiert. In Wahrheit agitiert er immer: er will
nicht nur sich auösprechen, sondern etwaö wirken.
Jmmer hat er seine politischen Jdeen als leitende Lichter
vor sich. Seine Gedankenreihen sind nach seinen poli-
tischen Hauptgedanken beständig ausgerichtet, wie Sol-
datenfronten nach dcn Flügelleuten.

Wenn er nun — vergleichöweise — zu einer großen
Versammlung spricht, so ergeben sich gewisse Bedürfnisse,
aus denen man die eine und andere Eigenheit seineö
Stileö herleiten kann. Subtilität und Minuziosität,
geistige Filigranarbeit ist Aufgabe deö Schreibenden, der
Ieit hat, nicht Aufgabe deö RednerS, der gleich dem
Schauspieler „muß geizen mit der Gegenwart, den
Augenblick, der sein ist, ganz erfüllen": Naumannö
Stil ift — gleichsam — gezwungen, nach Rednerart
mit Schlagworten zu arbeiten.

Naumanns Aufgabe — so könnte man einwenden —
ist indessen nicht, zu einer Menge zu reden, er hat
somit eine fremde Methode auf die Schriftkunst an-
gewandt. Daö ist scheinbar richtig; jedoch ist die
eigentliche Aufgabe Naumannö der des realen Rednerö
innerlich nahe verwandt. Naumann spricht zu einer
Menge von Lesern, die er über eine Fülle subtiler Tat-
sachen, Forschungen, Gedankengänge und Absichten ernst-
lich unterrichten will, und die dennoch, kraft ihrer
ökonomischen Lage, — es sind vornehmlich Arbeiter,
Werkführer, Privatbeamte, Volksschullehrer, Jngenieure
und Akademiker — nicht viel Zeit haben. Er muß
populär - wissenschastlich vorgehn. Nur zwei seiner
Bücher sind große, systematisch angelegte Werke („Demo-
kratie und Kaisertum" und „Neudeutsche Wirtschasts-
politik"), faft alle andern sind aus einzeln in Zeit-
schriften erschienenen Auffätzen zusammengeftellt oder
gedruckte Vorträge und Reden, und dieses quantitative

" Hauptwerke. Politik: Demokratie und Kaisertum; Volks-
wirtschaft: Neudeutsche Wirtschaftspolitik; Theologie: Gotteshilfe;
Moderne Kultur: Ausstellungsbriefe; Rcise: Asia, Sonnenfahrten;
Bildende Kiinste: Form und Farbe; Gesamtübersicht: Naumann-
buch, herausgegeben von Heinrich Meyer-Benfey; Biographie: von
demselben. (Gotteshilfe, Naumannbuch und -biographic bci
Vandcnhoek und Ruprecht, Göttingen; alles andere im Buchverlag
der „Hilfe", Berlin-Schöneberg.)

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