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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 7
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Ammann, Karl Heinz: Technik und Anschauung
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Gaehde, Christian: Fritz Stavenhagen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0040

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Technik und Anschauung.

DieS gleiche Recht des cinzelnen Farbflecks mit jedem
andern erlaubte wiederum oder erforderte sogar den
gleichen unterschiedslosen Farbenauftrag. xrlma

gemalt pflegte er ziemlich pastos zu werden. Ein
hoheS Glanzlicht war der gleiche Farbhaufen wie etwa
die dunkle Falte eines Fracks oder der Lokalton einer
weißen oder einer grüncn Ofenkachel. Um dieö dann
auseinanderhalten zu können, mußte sich das Auge in
einer gewissen Entfernung halten. Damit geriet das
Bild in die Bestimmung, auf der Zimmerwand, auf
der Tapete ein Farbfleck zu sein; im alten Kunstwerk
abcr, wo der Gegenstand prävalierte, dachte man an
solche Wertung nicht; das Bild wollte da nicht ein an-
genehmer Ruhepunkt für das Auge sein, sondern ein
AnregungS-, ein BetrachtungS-, cin Unterhaltungöstück,
daö für jeden einzelnen seiner Teile ein aufmerksameö
Studium und Nachgehen verlangte.

Die Temperatechniken zielen darauf ab, den inneren
Charakter des Farbenmaterials wieder zu nützen und
die Wirkung dcs Bildes durch Differenzierung des Farb-
auftrags zu erzielen. Wie sehr man dabei „Maler"
bleiben kann, beweist Rubenö mit seinem breiten, gewiß
nicht zeichnerischen und doch hervorragend plastischen Vor-
trag, der gleichwohl die Wirkungen der Untermalung,
der reflektierenden und der lasierenden Farben nicht ver-
schmäht, sondern schätzt und nützt. Der Künstler der
alten Technik malte fciner, berechnend und geistrcicher,
als der Olfarbennaturalist, der beim alla xrima-Malen
das fertige Bild immer und einzig vor dem geistigen
Auge hat, während jener das langsame und bedachte
Auf- und Ausbauen pflegt. Man findet ein analogeS
Vorgehen in den feinen Meistern des Stilö gegenüber
den jedes Wort in gleicher Schwere hinsetzenden Natura-
listen der Sprache, die das Wort Mittel und Zweck
sein lassen (wie die „Maler" die Farbe), während es
nur Mittel zu einem sublimen Zweck, dem Rhythmus,
dem Bild und dem Gedanken sein darf.

Ob nun nicht, wie in der Literatur, auch in der
Malerei das Gegenständliche wieder in den Vordergrund
kommt? Die Liebe dazu liegt im deutschen Blut. Tech-
nik und Objekt werden einander suchen; einS sich am
andern steigern; und nicht die Bravour (wie im
Naturalismus), die uns sremd ist, wird das Gute sein,
sondern daö Verstehen deö wechselseitigen Wertes und
dcr gegenseitigen Bedingtheit. Damit kann aber das
Bild nicht ein Farbfleck an der Wand sein für das fern-
stehende Augc, sondern ein Gesellschafter und ein
Erzähler sür das nahetretende. Man muß Schwind,
Spitzweg, Haider, Thoma, Welti und ähnliche Künstler
durchaus von dieser Seite betrachten. Der Gegenstand
ist ihnen Beginn wie Iiel; ihre Umgebung unsere vier
Wände und die Familie. Beide wollen von einander
Genuß haben. Wenn wir uns abgewöhnen, bei unsern
Bildern an Museumswände zu denken, so finden wir
mit ihncn in unser Heim zurück. Dann wird die Technik
wieder individuell und voll feinen Geistes werden; der
Jmpressioniömus, der so viel durch Zufälligkeit wirkt,
wird einem höheren JmpressionismuS weichen, den dic
Alten einft besaßen uud den wir wieder gewinnen
werden, ohne die Nachtreter der Alten in Stoff oder
Mache sein zu müssen. K. Ammann.

ritz Stavenhagen.

Leider treffen wir in Mittel- und Süddeutschland
noch immer viele, die es ablehnen, sich mit der
Literatur in plattdeutscher Sprache zu beschäftigen. Sie
behaupten, die Sprache sei nicht zu verstehen, die nieder-
dcutsche Dichtung sei neben der hochdeutschen minder-
wertig, entspringe mehr dem Bedürsnis nach einer Sonder-
stcllung jener plattdeutschen Landstriche, als einer tiefcren
künstlerischen Notwendigkeit; die großen Dichter, die der
Norden hervorgebracht habe, wie Hebbel, Storm, Lilien-
cron, die kleineren Talcnte, welche sich durchrangen, wie
Otto Ernst, Tim Kröger, Gustav Frenssen, Charlotte
Niese, sie alle hätten auö guten Gründen und der
llberzeugung, dem ganzen Deutschland ihr Wirken
schuldig zu sein, hochdeutsch geschriebcn. Jene Verächter
der plattdeutschen Dichtung vergessen aber, daß die nieder-
deutsche Literatur nicht von heute und geftern ist, daß
sie ihre biö ties in die Ansänge der neucren Zeit hinab-
reichende Gcschichte hat und daß von den Tagen des
wackeren Rostocker Satirikers Johann Lauremberg her
das Derb-Behagliche, Schwerfällig-Gemütliche der nieder-
deutschcn Rasse sich mit Vorliebe in plattdeutscher Sprache
künstlerisch niedergeschlagen hat. Und daß der behäbige
Humor, die stille Gesühlsinnigkeit der Menschen von der
Waterkant nicht nur Stoffe für das kurze Scherzgedicht,
die geschickt gesteigerte Anekdote bieten, das hat das
19. Jahrhundert, längst ehe der Ruf nach der Heimats-
kunst erscholl, mit Erscheinungen wie Fritz Reuter, John
Brinckman, und vor allem Klaus Groth glänzend er-
wiesen. Klaus Groth ist und bleibt biö jetzt der einzige
große Lyriker in niederdeutscher Sprache. Während er
alle seinste Jnnerlichkeit eineö an Rasse dem seudalften
Uradel nicht nachstehenden Bauerntumes in seine klassiscb
schlichten, zarten Lieder bannte, erstanden in der derberen
Mischbevölkerung Mecklenburgs zwei hervorragende Epiker
und Humoristen, von denen John Brinckman mehr die
urgesunde, in Sturm und Gesahren gehärtcte Kraft dcr
Küstenbevölkerung, Fritz Reuter cher die sreundlich satte
Zufriedenheit, die herbe Biederkeit der Landleute seiner
Heimat dichterisch geftaltete. Auö Mecklenburg stammt
nun auch der einzige plattdeutsche Dramatiker, der
vielleicht zu einem niederdeutschen Drama großen Stiles
gekommen wäre, hätte ihn nicht ein schweres Geschick
zu früh zurückberusen, Fritz Stavenhagen.

Er kam auö dem Volke, nicht auö der Kultur, und
das war für seine künstlerische Persönlichkeit ein Vorteil
von vornherein. Jn der Nähe von Stavenhagen, der
Geburtsstadt Fritz Reuters, waren seine Vorfahren kleine
Bauern. Stavenhagens Vater, den die heimatliche
Scholle neben älteren Geschwistern nicht ernähren konnte,
ging als Kutscher nach Hamburg und verheiratete sich
dort mit einer Mecklenburgerin, die dem am 18. September
1876 alö dritteö Kind unter sieben Geschwistern geborcnen
Fritz eine echte Dichtermutter wurde. „Sie erzählte
dem Knaben in der Schummerftunde wunderliche Ge-
schichten aus ihrer Kindheit, von der sernen Heimat,
vom stillcn Dorfe und sang ihm mit halbgeschlossenen
Augen die plattdeutschen Lieder ihres Volkes vor." So
wuchs er in einem derb-einfachen, ganz niederdeukschen
Milieu aus. Die äußeren Umstände seines kurzen Lebens,

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