Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

DOI Heft:
Heft 10
DOI Artikel:
[Notizen und Besprechungen]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0160

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stadt im FesteSschmuck.

Cine Fußwandenmg hatte mich vor wenigen Sonntagen
nach Cleve gcbracht. Die „sagenumwobene" alte deutschc Stadt,
in der einstmals die Nachkommen des Schwanenritters Lohengrin
als Reichsgrafcn von Cleve residierten, ist in der letzten Ieit
von fahrenden Schreibern, wie man das Wort „Journalisten"
ins Altdeutsche ritckübersetzen kann, oft „entdeckt" und gcfeiert
worden. Die Lage des Stadtchens, das über drei Hügeln sich
aufbaut, ist wirklich herrlich. Bon der Höhe der Schwanenburg,
in der einst Clsa von Brabant, Deutschlands Dido, gattenlos
eines Knäbleins genas, und wo jetzt in nach Akten riechcnden
landgerichtlichen Räumen das Recht fabriziert wird, hat man
den besten Blick. Unter einem liegt die alte Stadt mit ihren
roten spitzgiebeligen Dachern und gedrehten Schornsteinen, aus
denen der Rauch sich kräuselt, an den Abhängen des größten
Waldes in den Nheinlanden, des Neichswaldes. Auf der andern
Seite schaut man in die fruchtbare Tiefebene des Nheintales bis
nach Calcar und Tanten, zwei nicht minder als Nürnberg
preisenswerten Städten hinab. Auf den grünen Wiesen liegen
die bunten Kühe. Das Korn auf den Feldern drunten ist schon
geschnitten und steht in braunen Garben auf den Stoppelfeldern
herum oder wird auf knarrenden Leiterwagen eingefahren.

Das Städtchen im Jnnern mit scincn krummen, oft an-
steigenden grau gepflasterten Straßen, seinen manchen alten
Häusern mit ihren Kranengiebeln muß einen echt teutschen schönen
Cindruck machcn. Hin und wieder drängen sich ein paar Patrizicr-
häuser im Empirestil gehalten mit breiter Faffade und Spiegelchen,
„Spiönchen" genannt, an fast allen Fenstern unten wie oben,
schon mit holländischer „Deftigkeit" hervor und die zahlreichen
geteilten Rautenscheiben erinnern daran, daß drei Stunden wciter
bei Nimwegen das Reich Wilhelmintjens beginnt. Cin Gang
durch dieses alte Städtchen bis zum vom kurbrandenburgischen
Statthalter Moritz von Oranien-Siegcn crbauten Prinzenhof, in
dem Marlborough und Prinz Cugen weiland geschlafen haben,
wird jeden deutschen Mann interessieren und ergötzen.

Wie aber sah die Stadt Cleve, „das goldene Herzchen
von Deutschland", wie die Holländer sie gerne nennen, an jenem
Sonntag aus? Zu Chren der 300 jährigen Vereinigung der
Grafschaft Cleve Mlt Brandenburg-Preußen prangte die Stadt
im Festschmuck. Der Kaiser und die Kaiscrin wurden am Mon-
tag darauf zur Feier dieses Ereigniffes erwartet. Wer die Aus-
schmückung der Stadt sah und dann die Augen schloß und sich
vorzustellcn versuchte, wie dagegen die ungeschmückte Stadt aus-
sehen und wirken könnte, der mußte so schnell wie möglich von
dannen eilen. Schon am Bahnhof Cleve-Tiergarten weit vor
der Stadt, wo das Kaiserpaar ankam und nach Nimwegen
wieder absahren sollte, fing der Unfug an:

Man denke sich an einem wunderbaren uralten Buchcn-
abhang, dem vom Großen Kurfürsten zu Chren seines „geliebten
zweiten Potsdams" sogenannten Tiergarten, die herrlichsten Park-
und Waldanlagen, die es wohl in Deutschland gibt. Prächtige
hundertjährige Platanen- und Lindenalleen führen an einer hübschen
altmodischen Trinkhalle aus den vierziger Jahren dcs ottooonto,
an der und an deren Säuerling sich Goethe ergötzt hätte, entlang
zur Stadt. Gibt es wohl etwas Schönercs, Cigentümlicheres für
unser Land als cine Neihe mächtiger alter Bäume, in deren
grünem Schatten die grauschwarze Landstraße im kühlen Morgcn
sich hinzieht? Jst diese unsere Natur im vollsten Sommer-
schmuck für unsere Augen nicht schön genug?

Den Bürgern und der Obrigkcit von Cleve offenbar nicht.
Denn man hatte zwischen die grünen Baumriesen lange, roh-
gcschnittene, weißbcstrichene Stangen aufgestcllt und unter dcr
Blätterpracht dcr Allee Girlanden aus roten Papierrosen auf-
gespannt. So häßlich war dieses schönc Stück Natur aufgeputzt
und verunziert. Mit diesem billigcn papiernen Kram wagte man
alte Alleen, die Friedrich der Große hatte pflanzen laffen, zu
„vcrschönern"! Über eine Mertelstunde lang mußte unser Monarch
unter diesem geschmacklosen Kirmeskram einherfahren, statt seine
Augen an dem lebendigen Grün der Bäume erfreucn zu
können! Nicht einmal den Boden unter ihm hatte man gelaffen,
wic er ist. Gelber Sand war überall auf die Straße gestreut
und so die Landschaft um ihre letzte Farbenwirkung und alle
Valeurs gebracht. Ja, selbst die Nadelhölzer im Park, Selten-
heiten und Sehenswürdigkeiten ihrer Arten, hohe Taxus- und
Aypreffenbäume schienen in ihrem dunklen feierlichen Grün den
maßlosen Patrioten nicht wirksam genug, sondern bekamen

rote Papierblumen gleichsam als Orden zwischen ihre Nadeln
gesteckt.

Durch den üblichen Triumphbogen aus schwarz-weiß-rotem
Schärpentuch, der keine Woche überdauern würde — solche Chrungcn
haben nur Zweck, wenn sie wie cinst in Rom aus Stein möglichst
„für die Cwigkcit" errichtet werden — gcht es in die Stadt
hinein. Alle Häuser sind auf dieser schreiend bunten vi» triumpbalis
mit Fahnen, Fähnchcn und Girlanden geschmückt, und diese
allgcmeine Uniformierung, die jedem Haus seinc Cigenart nimmt,
wirkt auf die Daucr entsehlich langweilig. Überall bis in den
Kern der Stadt ewig das gleiche „farbenprächtige Bild", wie
das Klischcewort dafür lautet. Da im Mittclpunkt an der
Kreuzung der beiden Hauptstraßenzllge der Clou der Ausschmückung,
das Kaiserzelt. Ha! Cin Baldachin aus dem gleichen billigcn
Kattun wie der Chrenbogen, über die Straße gespannt. Verdorrte
Pflanzenwedel wie aus einem alten Makartbukett genommcn
nicken von oben herunter. Das Ganze cine Meneliks unwürdige
Herrichtung, vierhundert Jahre nach Albrccht Dürer in Dcutsch-
land kaum glaublich. Straßauf straßab zeigen die Häuser dic
nämliche mit Fahnen, Wimpeln, Papierschmuck und Kränzen
aufgeklebte Jahrmarktsfratze. Nicht einmal eine einheitliche
Wirkung bei der Ausschmückung eines Straßenzugs ctwa durch
eine gleichmäßige Dekorierung mit Tannengrün ist versucht worden.
Cin Haus sucht nur das andere durch Buntheit und Überladung
mit Fahnen zu überbieten. Nirgends ist die Silhouette eines
Hauses rein zu sehen, zeigt eine Straße ihr im Laufe der Jahr-
hunderte gewordenes echtes Profil. Die ganze alte Stadt
Lohengrins hat ihren schöncn germanischen Charakter verloren und
sieht nun aus wie ein Potemkinsches Dorf.

Glaubt man wirklich dem Kaiser und seincr Frau mit dicsem
ohne Geschmack und ohne Ordnung zusammengehäuften Kirmes-
kram imponieren zu können? Dieser Barbarismus, der für ganze
zwei Stunden — länger weiltc der Kaiser nicht in Cleve — auf-
gctricbcn worden ist, kostet in unscrn armen versteuerten und
vertcuerten Zeitcn immerhin einc große Sumrne Geldes. Wem
zum Wohle? Dem Kaiser sicherlich nicht. Den kann und wird es
nicht freuen, alle Städte in scincm Reiche, die cr bcsucht, in gleichcm
scheußlichem Feiergcwand zu finden, dergestalt, daß Cleve nicht
anders aussieht wie Insterburg oder Gelsenkirchen oder Dortmund
odcr Tangermünde. Jm Intereffe ihrer Stadt, die ein eigenes Ge-
sicht hat, im Lauf der Jahrhunderte bekommen hat wie ein Mcnsch,
sollten die Behörden nicht eine solche Derunzierung dieser ihrer
Stadt zulaffcn. Was muß ein Monarch von Leuten denken, die
das Pflaster ihrer Straßen mit Sand zuschütten, die die Giebel
ihrer Häuser mit bunten Lappen »erhängcn, die den Charakter
der Stadt, in der sie wohnen, verwüsten, wenn er kommt? Ia,
die sogar unserm Herrgott in die Schöpfung hineinpfuschen und
die Allecn, die er wachsen ließ, mit rohem Holz und Papier schöner
machen wollen. Ist das nicht eine schlechte Faschingsgesinnung,
cines großen Volkes ebenso wic seines Kaisers unwert! Unsere
alten Städte brauchen sich des Antlitzes, das sie haben, nicht zu
schämen, und so wohl auch die Enkel, die in ihnen hausen, nicht
des Stolzes auf ihre Stadt und der Freude an ihrer Heimat,
wie sic eben ist und durch sie und ihre Väter gewordcn ist. Nur
mit Schaudern werde ich in Zukunft lesen könnent „Die ganze
Stadt prangte im Festesschmuck". Herbert Eulenberg.

Bahnbrecher des ImpresstonismuS.

Der Impressionismus hat seine Iugend längst hinter
sich; cr blickt bald auf cin halbes Iahrhundert zurück. Cs ist in
unserer schnellebigen Zeit ein einzigartigcs Phänomen, daß eine
künstlerischc Bewegung ein solches Altcr erreicht. Man erinnere
sich, wicvicl Nichlungen in dieser Epoche auftauchten und unlcr-
gingen, wicviel Namcn auf den Schild gehoben wurden, die
längst vergeffen sind. Noch in den achtziger Iahrcn, als die Im-
pressionisten bercits auf dem Wcgc warcn, sich durchzusetzen,
wurde bei uns die Historien- und Anekdotcnmalerei widerspruchs-
los als „die" Kunst hingcnommen. Und selbst vor cincm Iahr-
zehnt noch war es in Dcutschland ein Dorrecht weniger, ein
Kunstwcrk auf Grund seiner künstlerischen Ldualitäten zu ge-
nießen. Das ist inzwischen beffer geworden. Man weiß heute
cin Gemäldc wegen seiner koloristischen Q.ualitäten, wegen seines
„air sinbisnt" zu schätzen. Aber welchc Mühe hat es gekostet,
bis wir so weit waren! Welche Mühe, bis der biedere Bourgeois
einsah, daß alle Würdigkeit des dargestellten Gegenstandes ein
schlecht gemaltes Bild, eine schlecht gcmeißelte Statue nicht zum

Z58
 
Annotationen