Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

DOI Heft:
Heft 8
DOI Artikel:
Reuß, Franz: Vier Prosadichtungen
DOI Artikel:
[Besprechungen und Notizen]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0085

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
den jappenden Iughunden, die dem Wägelchen vor-
gespannt sind.

Das Wägelchen rollt heran zur Kate, wo der
schwarze Prinz mit den feuchten Augen inö fremde
Leben guckt.

Der Mann ist der Schlächter und soll den schwarzen
Prinzen aufs Blutgerüst holen . . .

Der Affe.

Jn friedlicher Kameradschaft hausen die schmutzigen
Rüsselbären im engen Kistenkäfig mit dem schwind-
süchtigen Affen.

Der Wirt des AuöslugSrestaurants hält die Tiere
in trostlosem Verwahr — zur Bclustigung der Kinder.

Ein Bild der Dilettantensehnsucht, preßt der Affe
seinen Leib ans Gitter und hungert aus gelben Augen
auf den Anger, in die grünen Bäume, in die Freiheit
hinaus. — —

Ein übermütiger Junge steht vor dem Käfig und
reicht dem Affen Brennesseln. Stengel um Stengel.

Der Affe nimmt jeden mit beglückter Miene an
und zieht ihn durch die faltige, schwarze Hand. Aber
dann beißt eö ihn. Dann reibt er wütend seine miß-
handelten Finger. — —

Und langt doch glcich wieder mit beglückter Miene
nach dem nächsten Neffelzweig. —

Wie ein Dilettant, der nie begreift, wie man ihn
foppt, nach jedem Anlaß hascht, sein gcschwollcn Poema
vorzutragen. —

ehn lyrische Selbftporträts

wcrden von dem Verlage Dieterich in Lcipzig oeroffentlicht;
und zwar wendet sich diese Sammlung, dem Vorwort zufolge,
„an alle Freunde dcr Poesie, die den Wunsch ernpfindcn, die
markanten Vertreter zeitgenössischer Lyrik authentisch kennen zu
lernen". Um diesen Aweck zu erreichen, entscheidet es sich nicht
ausschließlich für die Nichtung dcr „Alten" oder der „Neuen",
sondern will dartun, „daß auf beidcn Seiten Männer von starker,
persönlicher Eigenart tätig sind, die wohl bestimmte Merkmale
einer cigenen Aeitstimmung untereinander gemcin haben . .. aber
cbenso gewiß ctwas andercs und mehr sind als nur Vertreter
eines alten oder neuen Schemas". Damit aber die Dichter
authentisch vertreten sind, haben sic selbst zehn Gcdichte aus-
gesucht, die sie für wesentlich bezeichnend halten.

Iunächst ist die hicr angeschnittene Frage des GegcnsaHes
zwischca Alten und Neuen durchaus nicht mehr lebendig und
das Buch, insofern es hierzu Stellung nimmt, durchaus „Senf
nach Tisch". Die Programme von 1880 sind vergilbt, die Be-
wegung ist zcrstoben, „unter Philistern umhcr zerstrcut ist der
Ritlerorden, kennt keiner den andern mehr". Und somit ist
auch der Gegensatz zwischcn Alten und Jungen unaktuell, un-
interessant geworden. Moderne, Neutöncrci und dergleichen
beginnen Bonmots von vorgestern zu sein, und die heutigen
„Neuen" sind nicht die Feinde, sondcrn dic Crben und Söhne
der großen Alten und fühlen sie als Schwert- und Schildheilige
zu ihren Häupten, wenn sie ihrerseits darangehn, die verderb-
lichen Irrtümer und Irrlehren der Modernen zu überwindcn.
Abcr weder der als Lyriker durchaus unselbständige Dahn noch
Trojan, der menschlich liebenswert ist, aber als Lyriker auf Tag
und Haus gclegenheitsmäßig bcschränkt blieb, kommen in diesem
Sinn für die Lyrik in Fragc, und selbst Saar, in dem wir cincn
feinen Crzähler ehren, ist die lyrische Bezwingung im wesent-
lichen versagt geblicben. Jn einem durchaus klcinlichen Sinne
ist hier dcr Begriff des „Zeitgcnössischen" gefaßtt sollten markante
Vertrcter der ältesten Gencration unscrer Tage vorgestellt werden,
so hättc man in erster Neihe tote Dichter berücksichtigcn müffen.
Grosse, C. F. Meyer, Fontane, Hopfen sind darum nicht minder
„Zeitgenoffen" als Trojan und Dahn, weil sie zufällig kurz vor

dcm Entstehen dieser Anthologie gestorben sind. Aber sie mußten
übergangen werden, weil ja die einzelnen selbst ihre Gcdichte
auswählcn solltcnt so hat der zweite Grundgedanke des Buchcs
die Ausführung des ersten beeinträchtigt, und außerdem ist er
selbst durchaus verfehlt. Cin tiefcres Jntereffe kann die eigene
Auswahl eines Dichters nur dann erregen, wenn er im epakten
Sinn ein grundbcwußter Künstler und im prägnanten Sinn ein
Woller, eine Persönlichkeit ist: der Zyklus Dchmcls — man mag
ihn ästhctisch bewerten, wie immer — ist ein bedeutsames Doku-
ment »oller Kontur und Geschloffenheit. Doch angesichts etwa
der Bierbaumschen Auswahl muß man den Dichter gegen den
Kritiker Bierbaum in Schutz nehmen und diesen erinnern, daß
Gedichte, wie „Cs ist ein Neihen geschlungen" oder „Nosen,
Mozart, Goethe" immerhin mehr geeignet sind, eine Dorstellung von
dieser Lyrik zu geben, als die törichte Griesgramszene. Wenn
aber gar Dichter, wie Martin Greif oder Detlev von Liliencron,
diese typisch unintellektuellen, unbewußten, ganz naiven Dichter
veranlaßt werden, eine „authentischc" Auslese zu treffen, so ist
das von fast grotesker Sinnlosigkeit: jeder cinsichtige und wohl-
meinende Verehrer diescr Dichtcr muß im Gegenteil wünschen,
daß moglichst bald Auswahlen aus ihren Gedichten erscheinen,
auf die ihnen keincrlci Cinwirkung verstattet ist. — Schlechte
Bilder jedes Dichters — z. B. Saar ist kaum wiederzucrkennen,
geschweige, daß er gestaltet ist, — Cplibris oder Wappen und die
Selbstbiographien in Faksimile sind beigegebcn, und somit auch
im Äußeren die Person allzusehr betont.

Jn dieser Hinsicht ist das Buch durchaus zeitgemäß: allent-
halben werden wir ja von den barocken Wucherungen eines
epidernischen Individualismus belästigt: individualistische Kritiker
plaudern von ihren Etuis und Schnürstiefeln, individualistische
Dichter «eröffentlichen Tagebuchblätter, Jmpressioncn, Briefe und
andere mehr oder mindcr unabgelöste persönliche Äußerungcn, und
hier wcrden die Handschriften und Eplibris dargcboten, — alles
Symptome derselben Zeitkrankheit, dercn Symbol „die Woche"
ist, und alles veranlaßt durch den Mangcl an jenem geistigen
Gemeinschaftsgefühl und -Drang, den zu erzeugen die wichtigste
Aufgabe derer ist, die in den nächsten dreißig Jahren an dem
geistigen Leben unseres Dolkes arbeiten werden.

Ernst Lissauer.

chundliteratur.

Das ist erfreulich: i>un hat der Börsenverein der Deut-
schen Buchhändler zu Leipzig sich an die Seite der „nur" idccll
Jntercssierten gestelll und auf sciner lehten Hauptvcrsammlung
Beschlüffe zur Bekämpfung der „Schundliteratur" gefaßt. Wenn
wir nur wirklich wüßten, was Schundliteratur ist? Wir „Ge-
bildeten" sind uns „selbstverständlich" ganz klar darüber, was
wir unter Schundliteratur verstehn. Iedenfalls fühlen wir uns
troh schwankenden literarischen Ncigungcn konsolidarisch in dem
Bestreben, den „Ungebildeten" die vergiftende Kost zu nehmen
und ihnen dafür bcffcre vorzuschen. Aber können wir da so
objektiv sein, wie es nötig wäre? Und wären wir, falls diese
Objektivität uns eignete, dadurch qualifiziert zu dicser großcn
Arbeil, die doch wiederum ein ganz persönliches Cmpfinden, also
Subjektivität erfordert? Wir stoßen bei Schritt und Tritt auf
Widersprüchc, an denen unser Tun oder unserc bessere Einsichl
scheitern müffen. Was ist nicht schon alles versucht worden, um
das Dolk der Schundliteratur zu entziehn! Wir haben Volks-
bibliotheken, die geradezu mustergültig sind und durch die unsere
„Volksbildung" der aller anderen Länder weit vorausschreitet.
Wir haben Vereine, „zur Bekämpfung" sowie „zur Förderung".
Hindern diesc Vereine, daß die Schundliteratur floriert? Dor
etwas mehr als einem Iahr trat der Scherlsche Vcrlag in
Berlin mit cinem Unternehmen an die Offentlichkeit, das plöhlich
einen ganz andern Standpunkt einnahm, von dcm aus die
Erziehung der lesenden Massen betrieben werden sollte. Darum
gab es einen Heidenlärm, trotzdem tatsächlich cine ganze Anzahl
von vcrnünftigen Menschen namentlich für das Unternchmen cin-
getreten waren. Woran lag das? Weil wir eben alle an dcr
Relativität dcs Begriffs Schundliteratur hängen bleiben. Was
für den einen Schund ist, mag für den andern untcr Umständen
gut sein.

Es scheint mir überdies ein Jrrglaube zu sein, daß gerade
heute die Schundliteratur rcsp. das Begehren nach ihr besonders
groß sei, rclativ groß natürlich. Nur ein Phantast mag glauben,
daß jemals cin Goethe Voiksliteratur gcwcsen sei. Damals

287
 
Annotationen