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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 10
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Schwerdtfeger, Robert: Moderne Technik und alte Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0145

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Modeme Technik und alte Kunst

ir glaubtcn cine Icitlang, unsere Hoffnung
auf eine künstlerische Ncugestaltung der viclcn
großen und klcinen Dinge deö täglichen Ge-
brauchö getrost in die Hände der Technik lcgen zu
können. Der Charakter der Gegcnwart ist cigentlich
nicht durch die Kunst bcstininit; die stärksten Energicn,
die genialsten Kräste unscrer Ieit konzentriercn sich auf
das Leben selbst, nicht wie vor einem Jahrbundcrt aus
die schöne Einkleidung eincs Lebens, das an sich wenig
reich war. Es kannte keine sozialen, kcine technischcn
oder induftriellen Aufgaben und schicn nur zu scin, um
auS der Lebendigkeit ciner rcichen Vcrgangenheit einc
glückhaste Erinncrung zu greiscn und romantisch ein-
zukleiden. Der Zeitgeist ist wiffenschaftlich, konstruktiv
und sozial zuglcich; die letzte Welle künftlerischer Pro-
duktion ift doch nur eine sckundärc Erschcinung und
wird verschluckt von der Woge der auf physischcs Leben
gerichtetcn Encrgien, dic dcr Natnr ihre Gesctze entreißen,
um sie zu menschlichen Gesetzen umzusormcn. EiscrneS
Zcitalter, Zeitalter der Maschincn, Ieitalter der Technik,
Ieitalter der Erfindungen hat man die Gegenwart ge-

nannt. ,Die Wirklichkcit lockt mit Thronen, und die

Unwirklichkeit, dic Kunst muß sich mit Seitcnlogen
begnügen.

Wir glaubten einige Zeit, auS der Maschine, der

Elektrizität, der Eisenkonftruktion würde dcr Kunst
neues Mark cingehen, sodaß sie wic nie bisher eine
angewandtc Kunft wcrdcn würdc, indcm sie sich in

den Dienst der ncuen großen sozialen und industriellcn
Aufgaben stellte. Aber das war eine Täuschung. Die
Kunst odcr vielmckr noch ihre Repräsentanten sind
eigensinnig. Wie die ersten Lokomotiven ihren Dampf
auö korinthischen Säulen qualmtcn, so ließ man die
leuchtende Kraft der Elcktrizität sich in gläscrne Blumcn,
bronzene Ticrrachcn und andere gegossene Kapriolen
kleidcn. Die Konstruktion der eisernen Gcrüste wurdc

in eine unstabil er-
scheinende Linienor-
namentikverzcrrt,mit
gußeiscrncn Iicratcn
bcklebt und kunft-
gewerblich verunstal-
tet. Oder man ver-
schalte ihr gotisch
leichtes Gliederwcrk
mit Holz oder Stci-
ncn oder Wellblcch.
Die Hoffnung, aus
dem Eiscngerüst wür-
de ein neuer Baustil
entstchen, verflachtc
so rasch wie sie aus-
wallte, und der Be-
geisterung für die
großartige Unmittel-
barkeit eiserner Brük-
kcn und Hallen solgtc
Abb. I. Transformatoren-Station. rasch cine Abneigung
Cntwurf ron Heinr. Müller, Thalwil. gegen die Nacktheit

dieser „Skelettbauten", sodaß allmählich die Eisenbrücke
cin Gegcnbeispiel deö Hcimatschutzeö und als schamlos
verschrien ivurdc.

Die von Schultze-Naumburg inaugurierte Ientenar-
feicr der Zopsstile begünstigte außerordcntlich diese Ab-
kehr von baulichem Konstruktiviömus. Vordem daö
Biedermcier mit moderncr Marke aus den Markt ge-
bracht wnrde, war der Vorlicbe sür Renaissance und
Gotik schon die barocke Stilcmpfindung gcsolgt, sodaß
unglaublich rasch die jetzt schon vulgäre Bicdcrmeicrci
(dcr Begriff ist nicht korrekt, doch Schlagwort gc-
worden und daher verständlicher als jede Umschrei-
bung) sich verbreitcn konnte. Die Bicdermeierei wurde
mächtiger alS vordcm Renaissance und Gotik; jene waren
Stilismen gcwesen, diese ist Gesinnung geworden. Der
biedermeierlichen Gesinnung aber widerstrcbt die un-
verhüllte Konstruktion. Man hattc im 18. Jahrhundcrt
schon sreitragende Konstruktionen gehabt, nicht aus
Eisen zwar, doch aus Holz; und um daö Balkenwcrk
wurde cine Brcttervcrschalung gelegt. Auch srüher
baute man schon Krane; aber die Krane tat man in
ein Gehänse und setzte ihnen ein Dach aus. Und hattc
man damalö elcktrische Leitungen gehabt, so wärcn auch
dcrc» Trägcr in schmuckc Häuöchen gesteckt worden.

Wenn »un also dic Technik sich mit der Kunst,
im besondern Fall der Baukunst, vereinigt, so wird
natürlich auch ihren Bautcn das hübsche modisch-alt-
modische Gewand angelegt. Das läßt sich augenblicklich
kaum vermcidcn. Schön ist es ja, wenn übcrhaupt die
technische Jndustrie (oder industrielle Technik) cin Gesühl
für künstlerische Gcstaltung gcwinnt. Vor kurzcm hatte
sie das noch nicht. Jetzt aber ist die Paarung voll-
zogen, und was sie erzeugt, wir-d wohl im crstcn Augen-
blick jedem Freude machen; und auch dann noch wird
die schöne Formcnsprache des entglittcnen Jahrhundcrts
das Gefühl einnehmen, wenn man erkcnnt, wic cs
doch eigentlich
ein wenig ko-
misch ist, das re-
volntionäre Ele-
ment der Tech-
nik deö 20.

JahrhundertS in
anscheincnd bc-
ster und doch
nicht ganz über-
zeugender Gc-
mcinschast mit
eincm bürger-
lichen Konserva-
tiviömus zu
schen.

Diese Wortc
dcutlichcrzuillu-
ftrieren, ist ein
Wettbewerb
recht geeignet,
der kürzlich von
den Elektrizitäls-

Abb. 2. Transformatoren-Statw».
Cntwurf oon Kunkler s- Gyslcr, Zllnch.
 
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