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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 11
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Hopfen, Hans: Zwei Gedichte
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Schäfer, Wilhelm: Werkbund und Heimatschutz
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0193

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Werkbund und HeimatschuH.

Aus dem Zykluö „Jugendliebe".

Zuweilen dünkt es mich, alS hört

ich eures Hofhunds heiseres Gebelle,

den ich so oft des Nachts aus seinem Schlaf geftört,

wenn ich durchs tauige Gras zur wohlbckannten Stelle

mich schlich, vom süßen Wcchn betört.

Wie trieb im Pappelbaum der Wind sein Spiel,
daß Blatt um Blatt gespcnstisch rauschte,
wenn ich empor zu deinem Fenster lauschte,
auö dem daS Lispelwort der Liebe fiel!

Wir lachten, seufzten, lachten wicder;
ein Blumenstrauß, den du am Tag gcpflückt,
ein Handschuh, drauf du einen Kuß gedrückt,
flog unversehens in den Kies hernieder.

Nach oben schaut ich unverrückt,

und doch, ich sah dich nicht, undeutlich nur

hob sich daS weiße Nachtkleid auS dem Dunkeln,

derweil hoch überm Dach durch dcr Augustnacht Funkeln

ein Wetterleuchten um das andre fuhr —

just wie geheimstes Sehnen sich verrät,

aufblitzt und schweigt und wiederkommt und geht.

Wer bringt uns nun in ferner Einsamkeit
cin Stündlein nur zurück auö jener schönen Zeit?

Mir ift es just, alö seist auch du erwacht
und sähst hinab zum Garten in die Nacht.

Der Hofhund bellt; warum? Es regt sich nichts -
nur übers lange Gras im Glanz des MondenlichtS
, schwebt elfenhaft vom Säuselwind getragen
ein Traum von Lieb und Glück aus halbverschollnen Tagen.

erkbund und Heimatschuh.

Alles Alte, sowcit es Anspruch darauf hat, sollen
wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht
eigentlich leben. Fontane.

Es läge nahe, einen Vergleich vom Landsturm aus-
zuführen, als den wir unsere Heimatschutzleute das
Vatcrland behüten sähen, indessen der junge und kräftige
Teil unseres Volkes mit dem Werkbund in dcn modernen
Krieg gezogen wäre. Wer ein Gefühl für die Kraft-
spannung einer Versammlung hat und den stürmischen
Beifall hörte, mit dem im konservativen Franksurt
die scharfen Anklagen und Forderungen van de Veldes
begrüßt wurdcn, und wer sich dabei der gemächlichen
Lichtbilder-Unterhaltung aus der Heimatschutztagung in
Trier erinnerte, der mußte in der äußeren Haltung
jenen Unterschied der Temperamente spüren, aus dem
allein schon ein solcher Vergleich abzuleiten wäre. Der
Vortrag van de Veldes enthielt einc schneidige Ab-
weisung der neuen Biedermeierei, die — als eine Art Re-
vanche für den verunglückten Jugendstil — ein Triumph
der unkünstlerischen Jnduftrie und die erste wirkliche
Niederlage des Werkbundes sei. Daß man geneigt
war, hicrbei den Namen Schultze - Naumburg auszu-
sprcchen, der sür den Heimatschutz eine Art Kriegsruf
geworden ist: gab den Gegensätzen sogar eine fast
persönliche Schärse.

Der Naive wird freilich sragen: haben die bcidcn
Bestrebungen überhaupt soviel miteinander zu tun, daß

ein solcher Gegensatz möglich ist? Die einen möchten
unsere Heimat in ihrer Natur und den Bauwerken vor
Entstellungen schützen, die andern wollen gute Möbel,
Schreibzeuge und Tapeten machen. Da sich abcr beide
Bünde in einer Auslehnung zur landläufigen Meinung
befinden, da sie tatsächlich in den Krieg gezogen sind,
Paraden abhalten und die Begrüßungen der verbündeten
Regicrungen empfangen, wird es die Sache klären, wenn
wir den gemeinsamen Feind noch einmal genau be-
trachten: Wer entstellt unsere Heimat, sodaß ein besonderer
Schutz nötig ist, und wer will verhindern, daß gute
Möbel, Schreibzeuge und Tapeten gemacht werden?
Um die Antwort gleich umfaffend zu gcben, in beiden
Fällen das liebe Publikum. Unscrc Stadtväter, Unter-
nchmer und Jndustriellen dürften nicht so sorgloS mit
alten Bäumen, alten Häusern, Brücken und Stadt-
bildern umgehen, wenn daö Publikum ein Auge daraus
hätte. Und wenn es nur gute Möbel, Schreibzeuge
und Tapeten kaufen wollte, könnte nicmand mit der
Herstellung und dem Verkauf von schlechten Geschäfte
machen. Wer aber neue schlechte Sachen kauft und
das gute Alte nicht achtet: hat einen schlechten Ge-
schmack und eine unvornchme Gesinnung. Also ist der
gemeinsame Feind der schlechte Geschmack und die un-
vornehme Gesinnung des deutschen Volkes.

Es ist nicht schmeichelhast für unser Volk der Denker
und Dichter, sich so auf einmal gleich Barbaren be-
handelt zu sehen, und es fragt sich, wie konnten wir
mit unserer Bildung dahin kommen? Auf der Werk-
bundtagung war es wieder einmal zu hören: unsere
Armut iin neunzehnten Iahrhundert habe uns dahin
gebracht. Nur merkwürdig, daß der bei unserm heutigen
Reichtum so beliebte „Biedermeierstil" gerade jener
Armut entsprang und daß, wcr nicht mit den Augen
des Stilforschers die Zeit biö 1870 untersucht, die
Formen zwar beschciden und ohne Schwung, aber schlicht
und ordentlich, manchmal reizvoll genug zu eincr be-
sonderen Forschung findet. Der Verfall des Geschmacks
und der Gesinnung setzte erst ein, als nach dem ftanzö-
sischen Krieg das deutsche Volk nach dem politischen
seinen wirtschaftlichen Ausschwung zu gewaltsam nahm,
als „des alten Reichcs Herrlichkcit" neu gegründet war
und überall daS Lied vom Barbarossa mit dem Froh-
gefühl der endlichen Erlösung gesungen wurde. Die
wirtschastliche Blutarmut — wenn sie die Ursache sein
soll — zeigte den Verfall der Gesinnung erst an, als
die neuen Kräfte ins Blut stiegen; und da wird man
bei der ungeheuren Spannkraft, die unser Volk aus
einmal in allcn technischcn Gebieten zeigte, wohl sragen
dürfen: warum versagte es gerade da, wo doch so
gründlich an ihm erzogen war, in seiner Bildung?

Wenn wir uns genau erinnern, sahen in den sieb-
ziger Iahren die Stuben unserer Eltern noch behaglich
auö, selbst die Stadtstraßen zeigten schlichte Häuser, und
ein streng mit Buchs gesäumter Hausgarten mit der
GlaSkugel war noch keine Seltenheit wie heute. Die
Zerstörung kam nicht alS ein langsamer Versall in der
Armut, sondern sie brach mit dem Reichtum und der
neuen Machtstellung plötzlich wie eine Krankheit aus;
das Krankheitsbild aber war die neue deutsche Rcnais-
sance — also ein Bildungsprodukt. Es läust auf eine
 
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