Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:
Bie, Oscar: Kulturgeschichte des Stuhls
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0211

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kulturgeschichte des Stuhls.*

Antiker Stuhl aus Marmor mit Fußbank.

lischer Könige und im Mobüiar der Aschanti.
bilden Zcitcn ihre Lieblingötnpen heraus und
sie uns ost unter anspielcnden
Namen. Da ift dcr Savo-
narolastuhl, der zwei 8-för-
mige Lattenteile ineinander-
fügt mit ausgelegtcm Sitz
und abnebmbarer Rücken-
lehne, ein Möbel, ebenso be-
haglich nachdenksam wic frei-
heitlich in dcr Handhabung.

Da ist der Olivcr Goldsmith-
Stuhl mit vicr gesprcizten
Füßen, die ein doppcltcs ^
verbindet, runder Sitzfläche,
geschwungenen Armlehnen
und gcstützter Rücklehne,
ländlich leicht, und trotz al-
lcm Komfort sclilank und be-
weglich. Da ist dcr Strozzi-
stuhl mit der dünncn, langc»

Lelme, die von einem Wappen
gekrönt ist, währcnd die Füße
bäurisch scst und kantig
unter sechseckigem Sitz ste-
hen. Der Lutbcrstuhl, in
den Kopicn recht drehbar mit
ciner Renaissanceschnitzelei,
die von keiner italicnischen
Proportionalität zeugt, aber
auch nicht von deutscher Ehr-
lichkeit — das Original ist
verloren gegangcn. Der
Shakespearcstuhl, hochlehnig
und armweit, gut sür die D-r Kaiserstuhl
Weiscn wie für die Narren,

n cinem Bcispiel
soll gezcigt wer-
dcn, inwieweit
Kultur in frühe-
ren Zcitcn sich aus cincm
Möbel niedergclasscn hat,
also inwicweit daö Möbcl
Jnstrumcnt und Auödruck
eines sozialcn Empfindens
gewcsen ist.

Jch wähle den Stuhl,
auö Gründcn, die sich
bald ergeben wcrden. Es
gibt Schemel, Lehnstüblc
und Armlehnstühle, abcr
ihr formaler Untcrschied
ist kein kultureller. Das
Taburett, der kreuzbcinigc
Schemcl wird im sran-
zösischen Zeremoniell zum
vielbeneideten Ehrensitz.

Der Scharnicrstuhl des
Quattrocentro wiederholt
sich im Schatz alter eng-
Vielmchr ein Präscnticrstuhl, der

hinterlaffen umrahmt und greifbar

aus Goslar. Sitz Marmor, Lchnen gegoffene
Bronze. XI. Jahrh.

Antlker Sessel aus Marmor.

den Menschen gar wirksam
darbictet, gravitätische Herrcn
und liebreizende Frauen. Der
Rubenösessel mit doppeltem
Fußgcstell und knapper
Lehne, aber scst und schön
gcpolstert, Ateliermöbcl und
vorzüglichcr Eßstuhl.

Doch wir wollcn wciter
ausgreifen. Wir wollcn die
Kullurgeschichte dcs Stuhls
den Rassen nach durch-
nchmcn. Jn der Geschichte
der Sitzmöbel zeichnet sich
ab, was die Kultur der sitzcn-
den Menschen war. Es
klingt unbedeutend: dcr sitzcn-
den Menschen. Aber man
wird verstehen, daß daö
Sitzen, da es eben einmal
cinen nicht unbeträchtlichen
Teil unserer Gewohnhcitcn
in sich schließt, auch seinen
Einfluß gehabt hat aus die
Art, wic das Sitzmöbel ge-
staltet wurde. Die Menschcn
sitzen verschieden. Es gibt
ein patriarchalischcs Sitzen
und cin Sklavcnsitzen. ES
gibt ein AuSruhsitzen und
cin Herrschersitzen. Es gibt
ein Sitzen, das nur das
Stehen ablöst, und cin
Sitzen zur dekorativen Ver-

' Siehe die Bcjprechung am
Schluß des Heftes.


x//

40?
 
Annotationen