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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 12
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Bie, Oscar: Kulturgeschichte des Stuhls
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0212

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Ägyptischer Stuhl.

schönerung der Gescllschaft. Ein Sitzen sür sich allein
und eitt Sitzen in großer Gemeinschast. Ein Sitzen, uin
jemandem nicht die Ruhe zu nehmen, und ein Sitzen
aus guter Resignation. Was wir gchend und stehend
besorgen, ist mehr Arbeit und Tat. Der Sitzende arbeitet
nur zur Hälfte, zur anderen Hälste widmet er sich den
gesellschaftlichen oder zeremoniellen Pflichten, und wo
wir sitzen, ob zum Essen oder Plaudern, zum Beraten
oder Handarbeiten, entwickclt sich sosort eine bestimmte
Ruhekultur, die ihre Wirkungen in der Tektonik des
Sitzmöbels hinterlasscn muß.

Iwei große Sitzkulturen haben dic Menschen erlebt.
Die eine ist das Altertum, die andere die Neuzeit von
dcr Renaissance an. Das Mittelalter hat wenig originelten
Sinn sür daö Sitzen, draußen in Bauernhäusern findet
man vereinzelte interessante Stühle, und in den Kirchen
cntwickelt sich daö Chorgestühl, aber die cigentlich bürgcr-
liche Sitzkultur kaun in diescr Zeit nicht blühen. Wo
die sitzloseste Kultur ist, bleibt nicht schwcr zu erraten:
im muhammedanischcn Orient. Dcm orientalischen Ruhe-
bedürfniö genügt das Sitzen nicht, man hockt und
kauert, und statt der Stühle ist der Teppich zur Blüte
gekommen.

Die Griechen scheidcn ziemlich scharf zwischcn den
drei Gattungen, die sich alö die natürlichen herauS-
ftellen mußten: dem lehnlosen Schemel, dem Lehnstuhl
und dem seierlichen Thron. Wie schon die Ngypter,
ein sehr konstruktives Volk, angefangen hatten, die ein-
facheren Stuhlartcn liebevoller durchzubilden, so liegt
der Wert der griechischen Stuhltektonik ganz in diesen
einsachen Gattungcn. Die Griechen haben in allen
zeremoniellen Dingen den alten Orient, der so voll
ist von ciner dynastischen allegorischen Pracht, nicht
ganz überwunden. Jn der Entfaltung der großen
Pracht bei den Goldelfenbeinbildern der Götter, in der
Darbictung dieser Götterbildnisse aus prunkvollcn Throncn
fteckt noch ein Stück Orient. So griechisch die Technic
war, so überladen, ja ost konsus war das Sitzmeuble-

Jsländischer Stuhl in Kastenform.

ment der Götter. Die orientalische Uberladung mit
animalischen Ornamcnten ist noch ganz in dcn großen
Götterthronsesseln, und je mehr wir von diesem seier-
lichen Thron zum einsachen Stuhl hinabgehen, desto
eher stoßcn wir aus die klaren Außerungen des griechi-
schen Geistcs. Der Grieche ist in seiner Kunst am
qrößten, wcnn er ein technisches Problem isolieren und
durchbildcn kann, gleichvicl ob es ein männlicher Akt,
die Faltcn deö Gewandes, die Stellung eineS Kämpsen-
den, daS Motiv der Vorhalle oder die Jdee des
Stubles ist.

Die feierlichen RepräsentationSsessel schmücken ihre
Lehne mit Palmettcn, die Füße sind als Tierbeine be-
handelt oder haben gedrehte Formen mit Wulsten oder
Leiften, in Bronze odcr in Holz. Die Armlehnen ruhen
auf Säulchen und laufen dann in Widderköpse oder
voluten- oder schildartige Stücke aus. So sieht man
cö aus altspartanischen Totenreliefö: die Toten sitzen
als Heroen und nehmcn die Anbetung entgegen. Noch
auf den GrabreliefS des vierten attischen JahrhundcrtS
sitzcn die Toten aus Stühlen mit Sphmrstützen und
Widderköpsen. Die richtigen Göttcr haben es noch besser.
Die Stuhlsüße sind Karyatiden, die Armlehnstützen Tri-
tonen. Herakleskämpse und Leichenspiele schmücken den
Stuhl als Rclief und Statuette. Eine Fußbank gehört
dazu, wenn der Gott nicht vorzieht auf dem Stuhl gar
zu siehen. So schüttet man alle mythologische Phantasie
über die Hcrrscherstühle: so war man sestlich.

Konstruktiver ist man in den einsacheren Formcn.
Der lehnlose Scssel erscheint aus altcn Vasen cinsach als
ein Brett, das von vier leicht kannellierten Pfosten ge-
tragen wird. Oder cr ist ein Klappstuhl, entweder mit
Sägebocksüßen, was älter erscheint, oder mit geraden,
was später auftritt, oder er ist gleich sest gearbeitet.
Von der seierlichen Kultur schlugen sich Profile und
Tiere hier hcrüber, und man hatte all die Mannigfaltig-
keit, die diese Multiplikation dorischer und ionischer Stile
darbot. Wenn wir uns die Stühle auf der berühmten

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