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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 18.1909

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Heft 12
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Hesse, Hermann: Gute Erzählungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26461#0228

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Gute Crzählungen.

in der Sprache, die sie deutlich von der vorigen Gene-
ration unterscheidet. Drei von ihnen scheinen mir be-
sonders bemerkenswert: Jakob Schaffncr, Robert Walser
und Albert Steffen. Von Schaffner möchte ich be-
sonders den Novellenband „Die Laterne", von Walser
den Roman „Der Gehülfe" und von Steffen den
Roman „Ott, Alois und Werelsche" empfehlen, lauter
bemerkenöwerte, srische, schöne Bücher. Die von Schaffner
und Steffen sind bei S. Fischer in Berlin, die von
Walser bei B. Cassirer in Berlin erschienen.

Erwähnt sei hier auch der Ofterreicher R. H. Bartsch,
deffen Bücher erfreulicherweise das Empschlen nicht mehr
nötig haben. Von ihm nenne ich die bciden Romane
„Iwölf aus der Steiermark" und „Die Haindlkinder",
beide im Verlag Staackmann in Leipzig.

Ludwig Finckh hat mit seinem „Rosendoktor" einen
ftattlichen Erfolg erlebt, auch seine Gedichte haben eine
für Lyrikbücher nicht gewöhnliche Verbreitung gefunden.
Merkwürdigerweise scheint man sich bis jetzt um seinen
neuen Roman „Rapunzel" allzuwenig zu kümmern
(Deutsche Verlagsanftalt in Stuttgart). DaS ift sehr
schade, denn die „Rapunzel" ift mir lieber als der
„Rosendoktor" und ist überhaupt ein so liebes, eigenes,
in sich geschloffenes und befriedigteS Buch, wie man es
in der Ieit der künstlichen Heimatkunst nicht erwarten
sollte. Da ist ein schwäbischer Himmel über eine
schwäbische Alblandschaft gebreitet, ein Stück Naturleben
klingt mit ein paar Menschenschicksalen ungesucht rein
zusammen, und alle Farben haben eine klare, emfache
Frische wie in einer frühen Morgenstunde.

Von E. von Keyserling ist bei S. Fischer in Berlin
ein neuer Novellenband erschienen: „Bunte Herzen".
Es sind nur zwei Geschichtcn, leider nur zwei, die erste
als Gemälde reicher, die zweite inniger und tiefer an
Gefühl, und beide mit der stillen, bescheidenen, rührenden
Meifterschaft dicscs behutsamen, noblen Erzäblers be-
richtet. Jn seinem letzten Werk, dem Roman „Dumala",
hat Keyserling einmal versucht, einen richtigen Roman
zu schreiben, einen mit „Handlung" und Spannung,
und eö ist ein gutes und intereffameS Buch geworden.
Abcr diese beiden Novellen zeigen wieder ganz den alten
Keyserling, dcr keine „Stoffe" und kaum eine „Handlung"
braucht, der cinen Sommernachmittag so zu beschreiben
verfteht, daß man während seines Glühenö und Ver-
dämmerns daö Gefühl des ganzen Lebens hat. Eö
fehlt ihm vielleicht an der sogenannten Kraft, er hat
weder Unbekümmertheit noch Burschikosität. Aber er
hat die stille Kraft eineö treuen, tiefen, unerbittlichen
Fühlenö, der sich sein zur Skepsis geneigter, scharf-
kühler Verstand unterwirft. Er hat, was dic belicbten
und erfolgreichen Romanciers eigentlich niemals haben,
nicht nur den Sinn für menschliche Gebärden, sondern
auch den ganz feinen Sinn für die Gebärde der un-
belebten Dinge, für das Besondere eines Duftes, einer
Morgenstunde, eines grellsonnigen Blumenbeeteö. Darum
gehen bei ihm, wie bei jcdem wahren Dichter, die
Menschcn und ihre Umgebung mit einfachster Selbst-
verständlichkeit zusammen, statt daß sie wie bei den
„Romancicrs" darin herumagieren wie zwischen Kulissen.

Jn diesen Blättern sollte eö nicht nötig sein, den
Namen Wilhelm Schäfers besonders zu nennen. Er
läßt sich aber in einem Artikel über die befte neue

Erzählungsliteratur nicht wohl umgehen. Seine „Anek-
doten" wie auch seine „Rheinsagen" müssen ja allen
Lesern der „Rheinlande" wohlbekannt sein. Nun ist
im Verlag von Georg Müller in München eine Er-
zählung Schäfers erschienen: „Die Mißgeschickten". Jch
will Schäfer hier in seinem eigenen Blatte nicht aus-
führlicher diSkutieren, doch muß ich sagen, daß „Die
Mißgeschickten" schon rein dichterisch-technisch als ein
Versuch, glühendes Erleben ins Objektive zu rücken und
mit Stil vorzutragen, ein erstaunliches, kühnes und
ergreifendes Buch sind. Noch mehr sind sie es stofflich,
und noch mehr dem festen, unbeirrten, männlichen
Lebensgefühle nach, daS sie verkünden. Das kleine
Buch wird Viele erschüttern.

Vor etwa zwei Jahren habe ich hier den Roman
„OedipuS" von Willy Speyer empfohlen. Jch weiß
nicht, ob es etwas genützt hat. Aber ich zeige heute
mit herzlichem Vergnügen ein neues, dünnes Büchlein
desselben Dichters an. ES heißt „Wie wir einst so
glücklich waren!" und ist vom Verlage Albert Langen
in München herausgegeben. Eine kleine Jugend- und
Liebeögeschichte, durchauö modcrn und doch an manches
romantisch-schöne Alte erinnernd, voll vom ftrömenden
Gefühl der Jugend und raschen Jugendslucht, ftammelnd
und doch fließend, heiß und doch wohl gefaßt. Das
Erinnern an ein besonderes Glück, ein besonoers loderndes
Aufglühen der Jugend, daö mit einem Dust, einer
Melodie leise in unö wach wird und plötzlich in stiller
Welle aufschäumt, sodaß alle Glut und alles Gute
unscres Lebens in jenem fernen, köftlich und sehnlich
herübergrüßenden Augenblick zusammengedrängt er-
scheint — das Gefühl, „wie wir einst so glücklich waren!"
glänzt da in kurzen Seiten einer geschulten und doch
spontan erblühten Sprache unö an. Und ich bitte die,
die mir seinerzeit beim „Oedipuö" mißtraut haben, es
nun einmal mit diesem neuen, kleinen Büchlein von
Speyer zu probieren.

Genug jetzt, damit es nicht zu viel werde! Jch
möchte zum Schluß nur noch einmal leise daran er-
innern, daß die Jahreszahlen auf den Büchertiteln recht
wenig bedeuten und daß es, auch für Weihnachten,
garnicht darauf ankommt, daß man absolut das Neuste
habe. Wenn zum Beispiel im Katalog eines Verlegers
herrliche Worte von Heimatkunst oder von modernem
Landschaftsgefühl in der Dichtung stchen, so muß ich
immer an den alten Adalbert Stifter denken, der das vor
einigen Jahrzehnten schon viel beffer gekonnt hat. Seine
„Studien" sind übrigens in einer sehr hübschen Neu-
ausgabe zweibändig beim Leipziger Jnselverlag erschienen
Auch an den alten Herrn Wilhelm Raabe sei wieder
erinnert. Er ist bekanntlich der, der den „Hunger-
pastor" geschrieben hat. Ja leider. Denn der Hunger-
pastor ist keineswcgs sein bestes und bezeichnendftcs
Buch, wenn auch das berühmteste. Jch könnte viele
Raabctitel aufzählen, aber weniger ist hier mehr, und
ich möchte Leute, die gern Gutes lcsen und Raabe
noch wenig kennen, etwa auf den „Horacker" und
namcntlich auch auf „Abu Telfan" aufmerksam machen.
„Abu Telfan" hat es in vierzig Iahren auf fünf Auf-
lagen gebracht!

Und nun wünsche ich gute Feiertage.

Hermann Hesse.
 
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