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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 24.1914

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Heft 4
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Seeliger, Ewald Gerhard: Die Freiheit des guten Herzens: eine Seegeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26492#0155
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Die Freiheit des guten Herzens.

Louis de la Gorde konnte sich nicht erinnern, jemals
einen so anstelligen Schiffsjungen gesehen zu haben.
Auch der Koch lobte ihn. Keiner aber ahnte, wer es in
Wirklichkeit war. Denn in allen Dingen, die Florence
Tardieu als Mädchen hätten verraten können, war sie
außerordentlich vorsichtig.

So erreichte das Schiff den Hafen Concepcion, wo
man Laperouse noch in sehr gutem Andenken hatte,
und Louis de la Gorde nicht minder freundlich be-
grüßte. Von da aus nahm er westlichen Kurs, um nach
Otahiti zu kommen. Hier gedachte er sich längere Aeit
aufzuhalten, um jedem seiner Leute Gelegenheit zu
geben, sich ein Mädchen auszusuchen.

Und da es nun endlich an der Ieit war, begann er
sie in seine Pläne einzuweihen. So vorsichtig er auch
dabei zuwege ging, sein Ansinnen verblüffte alle aufs
höchste.

Nur der Schiffsjunge war sofort mit der Gründung
einer Kolonie einverstanden.

„Du bist zwar noch etwas jung," meinte Louis Mon-
tarnal nachdenklich.

„Aber ich wcrde es doch versuchen!" lachte Henry
Boutin und sprang davon.

Die Osterinsel ließen sie Backbord liegen. Eine
längere Windstille trat ein, und in der Mannschaft
begann es zu gären. Das hörte auch nicht auf, als
der Passatwind wieder einsetzte. Noch ehe die erste
der niedrigen Jnseln gesichtet wurde, brach die Meuterei
aus.

Die Offiziere machten mit der Mannschaft gemein-
same Sache.

„Setzt die Leesegel bei!" kommandierte Louis de
la Gorve.

Die Leute weigerten sich.

Louis de la Gorde zog die Pistole.

„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!" rief Lambert
Soulas, der erste Steuermann, und zog gleichfalls die
Pistole.

„Jhr wollt nicht gehorchen?" fragte Louis de la
Gorde und ließ die Waffe sinken.

„Wir haben Euch bis hierher gehorcht, Bürger
Montarnal," sprach Renö Prieur, der Bootsmann,
„nun gehorcht uns. Das ist die Gleichheit. Wir wollen
heimfahren. Ändert den Kurs, und wir werden die
Leesegel beisetzen."

„Tut, was ihr wollt!" sprach Louis de la Gorde und
zog sich in die Kajüte zurück.

Darauf hielten die Leute Rat. Bastian Fleury,
der zweite Steuermann, der den Proviant unter sich
hatte, schlug vor, lieber nach Otahiti zu segeln, um sich
mit frischem Wasser und Mundvorrat zu versehen.

„Da sind die schönen braunen Mädchen!" rief der
Bootsmann.

^ Es wurde abgestimmt, und keiner war dagcgen.

Die Leesegel wurden beigesetzt, und der alte Kurs
wurde beibehalten.

Bastian Fleury, der zweite Steuermann, meldete
es dem Kapitän und bat ihn, die Führung des Schiffes
wieder zu übernehmen.

„Freiheit!" rief Louis de la Gorde finstern Blickes,
„ihr habt eure Freiheit, laßt mir die meine."

Und er wich nicht einen Schritt aus der Kajüte.

Seine Pistole lag stets neben ihm. Iwar hoffte
er noch auf die Mädchen von Otahiti, aber die Hoffnung
war schwach genug.

Die Fahrt wurde immer schwieriger, denn aller-
orten tauchten nun die gefährlichen Korallenriffe auf.
Oft mußte man des Abends vor Anker gehen. Trotz
alledem ließ sich Louis Montarnal nicht an Deck blicken.

Florence Tardieu brachte ihm das Essen und sah
seine wachsende Traurigkeit, und ihr gutes Herz sann
auf ein Mittel, ihn zu erheitern.

Eines Nachts, als der Mond schien, schlich sie im
Hemd in seine Kammer, haschte nach seiner Hand und
legte sie leise auf ihre kleine, runde Brust.

Er fuhr auf und starrte sie an.

„Du bist ein Mädchen?" stieß er heraus.

Sie nickte und erzählte ihm, wie sie an Bord gekommen
war, ohne etwas zu beschönigen.

„Hinweg mit dir!" stöhnte er auf. „Fort, du Dirne."

Da ging sie bestürzt hinaus. Sie verstand ihn nicht.

Am Morgen erschien sie in ihrer gewöhnlichen
Kleidung und deckte den Tisch. Sie schaute verstohlen
zu ihm hinüber, aber er bezwang sich und schenkte ihr
nicht einen einzigen Blick. Mittags wagte sie schon zu
lächeln. Plötzlich beugte sie sich zu ihnr und flüsterte:
„Seht Euch vor, Herr, sie planen etwas gegen Euch."

Und schnell schoß sie hinaus.

Die Leute hatten sich inzwischen eines Besseren be-
sonnen. Wohl wollten sie nach Otahiti, aber ohne den
Bürger Montarnal, dem das Schiff gehörte. Sie
fürchteten, in Otahiti irgendein anderes Schiff, vielleicht
gar ein Kriegsschiff, zu treffen und für ihre Meuterei
bestraft zu werden. Und sie berieten hin und her, wie
sie den Kapitän am besten loswerden könnten.

Den Schiffsjungen hielt man von diesen Beratungen
fern, weil er zu jung war und weil man ihm nicht traute.
Lambert Soulas hatte sogar noch schlimmere Gedanken.

Des Abends, als derTriton angesichts einer grünen,
aber unbewohnten Jnsel vor Anker gegangen war,
kam Florence Tardieu wieder und flüsterte ihm ins Ohr:
„Seid auf der Hut, Herr, sie wollen Euch über Bord
werfen. Jch habe gehorcht. Sie sitzen im Logis und
wollen Euch an den Hals."

„Bleib hier und nimm die eine Pistole!" befahl er
und löschte das Licht.

So saßen sie beieinander und rührten sich nicht.
Aber die Nacht verlief ohne Störung.

Am Morgen trat Louis Montarnal mitten unter
die Verschwörer.

„Was hockt ihr hier zusammen?" rief er verächtlich.
„Ich sehe es euern Blicken an, daß ihr mir nach dem
Leben trachtet. Hier ist mein Herz! Stoßt zu!"

„Nein, Bürger Montarnal," erwiderte Rene Prieur,
der Bootsmann, dessen Bedächtigkeit über den allge-
meinen Aorn inzwischen gesiegt hatte. „Wir trachten
Euch nicht nach dem Leben. Wir haben vielmehr be-
schlossen, Euch auf dieser Insel, mit allem Nötigen ver-
sehen, auszusetzen. Jhr wollt eine Kolonie gründen,
also gründet eine, aber allein. Wir werden Euch auf dem
Rückweg ein paar Mädchen aus Otahiti mitbringen.
Jch denke, das ist ein Vorschlag, den Jhr nicht ablehnen
 
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