Das Mordkind.
Totenbaums in der engen Kapelle, sah mit tiefem Er-
staunen fünf goldige Lichter auf der Erde brennen,
begann dann mit eisigen verkrampften Handen sich auf-
zuheben und sing an, von^der Erlösung zu lallen und zu
beten. Aber die Stille raüschte es ein. Und wie es nach
kurzer Schlafstarre wieder zu sehen vermcchte, wurde
ihm das Herz in mildem Frohsinn lebendig, und ehe es
sich selbst hören konnte, summte und sang sein Mund.
Mit zitternden Beinen und aufgerissenen Gesichtern
liefen die Richter neben den Schergen gegen die Kapelle.
An der Tür wehrte der erste den andern. Und sie standen
lange und lauschten, wie in dem engen Naum das ^Zims
vei klang — gemessen und fern und ganz unirdisch. Sie
schlichen hinein gleich Dieben. Da schwieg es stille. Der
erste Richter warf seinen Mantel über das Kind, hob es
aus dem Totenbaum empor, und sie trugen es durch die
Nachtkälte ins Spital, wo noch ein Feuer im warmen Ofen
glanzte. Gaben ihm auch trockne Kleider an und löffelten
ihm eine milde Brühe ein. Da schrak es plötzlich zusammen,
schaute aus furchtvollen Augen um sich her und sragte,
ob es noch im Leben ware und in der Stadt Speier?
Als man darauf gegenfragte, wo es denn gewesen
sei? begann es langsam und im halben Schlummer zu
erzählen, es hätte auf einer Wiese gespielt in goldgrüner
Sonne. Viele Kinder wären mit ihm gewesen, nackend-
weiß, mit roten Seidentüchern um den Hals und bunten
Schnallenschuhen. Mitten auf der Wiese hätte ein
breiter dunkler Lindenbaum gestanden und darunter
ein hoher silberner Stuhl. Auf dem Stuhl wäre ein
alter Mann gesessen in blauem Mantel, mit einem langen
grauen Bart und einer Krone über der Stirn. Der habe
kleine goldige Kugeln in die Luft geworfen wie lauter
Sterne, und damit hätten sie ihr Spiel gehabt.
Als die Richter das hörten, bangten sie sehr um ihr
Seelenheil, ließen das Kind im Spital und gut besorgen
und traten nach einer schlaflosen Nacht mit der wunder-
lichen Geschichte vor den gemeinen Rat von Speier. Der
beriet sich einen langen Tag. Und in der folgenden Nacht
führten zwei Ratsherren den Knaben, wohlgekleidet und
mit Speise und einigem Geld versehen, durch die kleine
Pforte und in die Landschaft hinaus, schieden sich dort
von ihm und sagten, sie hätten ein Mitleiden mit ihm
gehabt, er solle so fern wandern als er möchte und nicht
mehr heimkehren.
Solche Tat der Ratsleute blieb aber nicht in der
Dunkelheit. Es währte bis zum dritten Tag, da wußten
Stadt und Land von Leiden und der Auferstehung des
armen Roßbuben Eppe, gerieten in große Gespräche und
in Aufruhr der Seelen und forschten weitum nach dem
Wanderer, sanden aber keine Spur mehr von ihm. Und
die Mildherzigen glaubten und sagten darnach, der Him-
mel habe ein Wunder an dem Mordkinde getan, es sei ein
Engel gekommen und habe es über dieSterne weggeführt.
V
ier Gedichte von Kurt Moreck.
Die Heimkehrenden.
Rufen und Reiten — Reiten und Rufen...
Der Tag zerbröckelt unter den harten Pferdehufen,
die schweren Stunden werden zu kleinen, erbärmlichen
Bettelmünzen zusammengeschlagen,
daß sie den Wert von ihren Minuten
nicht mehr tragen...
Manchmal reiten sie auch durch eine Nacht:
dann ist der Aug wie eine schwarzschleifende Wolke,
aus der zuweilen
eines Mantels Ende schwer herausflattert,
wie ein Bussard vom Turmsims.
Gelle Fackeln sind auf ihre huschende Schwärze getupft;
sie zischen wie rote Rachen
von ringelnden, zornigen Tieren,
und ihr Licht schrillt, und sticht
wie ein spitzer Schrei in die Nacht.
Die Pferde schlagen den Weg
wie eine dumpfe, zürnende Glocke.
Die Nacht ist gleich einer kühlen Kirche,
in der man seinen eigenen
leeren Sarkophag sucht;
sie ist eine schwarze Messe,
die nicht zu Ende gehen will.
Häuser, die seitwärts in Schlaf und Gebüsch
stecken bis ans Dach,
schrecken auf,
wie dunkle Tiere...
Sie reiten und reiten,
aber die Nacht will nicht herunter.
Auf einmal, am Morgen,
sind sie in einem anderen Lande.
Fenster gehen auf zum Licht,
andere Gesichter sehen sie an.
Sie geben die Grüße kaum zurück;
sie sind müde.
Sie sind müde, wie Lichter,
die eine ganze lange Nacht gebrannt und nun
am Ausgehen sind.
Jhr Blick verglimmt hinter den schweren Lidern
und nimmt die herben Gefühle der Nacht mit hinab,
und läßt sie unbenannt.
Es werden ihnen Früchte gereicht,
als sie Speise begehren;
aber eine andere Sonne hat den Saft
so süß gemacht.
Es wird Wein gebracht,
aber wie sie die rohen Schalen leeren, fühlen sie,
daß der späte Sommer hier nicht so groß
und segnend über den Hängen ist,
als drunten
in der heißen Landschaft der Fremde.
Heimat.
Endlich nun hört die Welt einmal wieder auf
nur Weite zu sein. Jedes Feld
entatmet den braunen Duft und heißt Heimat.
nr
Totenbaums in der engen Kapelle, sah mit tiefem Er-
staunen fünf goldige Lichter auf der Erde brennen,
begann dann mit eisigen verkrampften Handen sich auf-
zuheben und sing an, von^der Erlösung zu lallen und zu
beten. Aber die Stille raüschte es ein. Und wie es nach
kurzer Schlafstarre wieder zu sehen vermcchte, wurde
ihm das Herz in mildem Frohsinn lebendig, und ehe es
sich selbst hören konnte, summte und sang sein Mund.
Mit zitternden Beinen und aufgerissenen Gesichtern
liefen die Richter neben den Schergen gegen die Kapelle.
An der Tür wehrte der erste den andern. Und sie standen
lange und lauschten, wie in dem engen Naum das ^Zims
vei klang — gemessen und fern und ganz unirdisch. Sie
schlichen hinein gleich Dieben. Da schwieg es stille. Der
erste Richter warf seinen Mantel über das Kind, hob es
aus dem Totenbaum empor, und sie trugen es durch die
Nachtkälte ins Spital, wo noch ein Feuer im warmen Ofen
glanzte. Gaben ihm auch trockne Kleider an und löffelten
ihm eine milde Brühe ein. Da schrak es plötzlich zusammen,
schaute aus furchtvollen Augen um sich her und sragte,
ob es noch im Leben ware und in der Stadt Speier?
Als man darauf gegenfragte, wo es denn gewesen
sei? begann es langsam und im halben Schlummer zu
erzählen, es hätte auf einer Wiese gespielt in goldgrüner
Sonne. Viele Kinder wären mit ihm gewesen, nackend-
weiß, mit roten Seidentüchern um den Hals und bunten
Schnallenschuhen. Mitten auf der Wiese hätte ein
breiter dunkler Lindenbaum gestanden und darunter
ein hoher silberner Stuhl. Auf dem Stuhl wäre ein
alter Mann gesessen in blauem Mantel, mit einem langen
grauen Bart und einer Krone über der Stirn. Der habe
kleine goldige Kugeln in die Luft geworfen wie lauter
Sterne, und damit hätten sie ihr Spiel gehabt.
Als die Richter das hörten, bangten sie sehr um ihr
Seelenheil, ließen das Kind im Spital und gut besorgen
und traten nach einer schlaflosen Nacht mit der wunder-
lichen Geschichte vor den gemeinen Rat von Speier. Der
beriet sich einen langen Tag. Und in der folgenden Nacht
führten zwei Ratsherren den Knaben, wohlgekleidet und
mit Speise und einigem Geld versehen, durch die kleine
Pforte und in die Landschaft hinaus, schieden sich dort
von ihm und sagten, sie hätten ein Mitleiden mit ihm
gehabt, er solle so fern wandern als er möchte und nicht
mehr heimkehren.
Solche Tat der Ratsleute blieb aber nicht in der
Dunkelheit. Es währte bis zum dritten Tag, da wußten
Stadt und Land von Leiden und der Auferstehung des
armen Roßbuben Eppe, gerieten in große Gespräche und
in Aufruhr der Seelen und forschten weitum nach dem
Wanderer, sanden aber keine Spur mehr von ihm. Und
die Mildherzigen glaubten und sagten darnach, der Him-
mel habe ein Wunder an dem Mordkinde getan, es sei ein
Engel gekommen und habe es über dieSterne weggeführt.
V
ier Gedichte von Kurt Moreck.
Die Heimkehrenden.
Rufen und Reiten — Reiten und Rufen...
Der Tag zerbröckelt unter den harten Pferdehufen,
die schweren Stunden werden zu kleinen, erbärmlichen
Bettelmünzen zusammengeschlagen,
daß sie den Wert von ihren Minuten
nicht mehr tragen...
Manchmal reiten sie auch durch eine Nacht:
dann ist der Aug wie eine schwarzschleifende Wolke,
aus der zuweilen
eines Mantels Ende schwer herausflattert,
wie ein Bussard vom Turmsims.
Gelle Fackeln sind auf ihre huschende Schwärze getupft;
sie zischen wie rote Rachen
von ringelnden, zornigen Tieren,
und ihr Licht schrillt, und sticht
wie ein spitzer Schrei in die Nacht.
Die Pferde schlagen den Weg
wie eine dumpfe, zürnende Glocke.
Die Nacht ist gleich einer kühlen Kirche,
in der man seinen eigenen
leeren Sarkophag sucht;
sie ist eine schwarze Messe,
die nicht zu Ende gehen will.
Häuser, die seitwärts in Schlaf und Gebüsch
stecken bis ans Dach,
schrecken auf,
wie dunkle Tiere...
Sie reiten und reiten,
aber die Nacht will nicht herunter.
Auf einmal, am Morgen,
sind sie in einem anderen Lande.
Fenster gehen auf zum Licht,
andere Gesichter sehen sie an.
Sie geben die Grüße kaum zurück;
sie sind müde.
Sie sind müde, wie Lichter,
die eine ganze lange Nacht gebrannt und nun
am Ausgehen sind.
Jhr Blick verglimmt hinter den schweren Lidern
und nimmt die herben Gefühle der Nacht mit hinab,
und läßt sie unbenannt.
Es werden ihnen Früchte gereicht,
als sie Speise begehren;
aber eine andere Sonne hat den Saft
so süß gemacht.
Es wird Wein gebracht,
aber wie sie die rohen Schalen leeren, fühlen sie,
daß der späte Sommer hier nicht so groß
und segnend über den Hängen ist,
als drunten
in der heißen Landschaft der Fremde.
Heimat.
Endlich nun hört die Welt einmal wieder auf
nur Weite zu sein. Jedes Feld
entatmet den braunen Duft und heißt Heimat.
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