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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Nr. 12
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Erzählungsbrüder
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0420
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Erzählungsbücher.
Anfang und Ende in das Ganze verflochten ist, heraus-
gelöst und zu einem Ring gebogen, der, in sich selber
ganz, nun einen Teil der Kette bildet, welche die
Menschheit von Ewigkeit zu Ewigkeit verbindet. Es
würde schwer sein, über einzelne Stücke etwas Beson-
deres zu sagen; wie bei einem Geschmeide ein farbiger
Stein, ist jedes für sich an: schönsten und so kann
jedes für sich genossen werden und doch bilden alle
zusammen ein Erlebnis.
Es ist ohne Aweifel, daß ein anderes Buch, „Irre-
gang"*), ein Roman von Georg Munk, der geistigen
Führung von Paul Ernst nicht fern stehen kann. Der
Verfasser hat vor Jahren durch einen Roman „Die un-
echten Kinder Adams" in manchen: die verwunderte
Frage aufstehen lassen, ob es möglich sei, daß hier ein
spater Jünger von C. F. Meyer sich zeige, so sehr schien
Sprache und Gewand den tiefen Burgundertönen und
den goldglanzenden Lichtern seiner Dichtung verwandt,
wenn auch in dem ersten Buch schon die auf eigentümlich
weibliche Art gesehene Hauptgestalt den Gedanken wach-
rief, der Verfasfer möge vielmehr eine Frau sein.
Diese Erwägung möchte inan nach diesem Buch fast
zur Bestimmtheit erheben, und zwar würde es einen Vor-
zug dieses Buches bedeuten, das von einem Manne ge-
schrieben in unseren Tagen kaum erklärbar wäre. Es ist
vorweg zu nehmen, daß „weiblich gesehen" zwar einen
üblen Beigeschmack bekommen hat durch eine Literatur, die
eigentlich gar nicht „gesehen" ist, sondern die wie auch ein
großer Teil der Frauen ein Spiel treibt mit Worten,
Gefühlen und Handlungen, das auf Täuschung ausgeht.
Es sind die Frauen, die wie beim Schachspiel sich überall
eine gute Anzahl Züge vorgeben lassen und zuletzt doch
mit den Siegern rangieren wollen, weil sie eben doch
„Frauen" sind. Solch „weiblich Sehen" wäre eher
kindisch zu nennen, wenn nicht beim Kind dieses Spiel,
dieses so tun „wie wenn", eben Erlebnis wäre. Aber
„weiblich" eine Sache anzusehen, wäre etwas, das die
Frauen, auch die dichtenden, ruhig ausbilden sollten;
vielleicht hätte nicht nur die Frauenbewegung, sondern
auch Kunst und Dichtung, ja Religion und Philosophie
eine starke Veränderung von dieser Seite aus für die
Frauen zu erfahren. Denn, daß die Wesensgesetzlichkeit
der Frau abhängiger ist von ihrer physischen Beschaffen-
heit, als in den geistigen Dingen der Menschheit zum
Ausdruck kommt, ist so sicher, wie daß der Geschlechts-
unterschied tiefer reicht zwischen Mann und Frau als
ihre Funktion und Verpflichtung um den Fortbestand
der Menschheit. Mann und Frau sind verschieden wie
Fisch und Vogel, sagte einmal jemand. Dies wie ein
Paradoxon klingende Wort will manchen: über das Ziel
hinausgeschossen scheinen, wir werden aber nicht eher
zu einer Gleichberechtigung der Geschlechter kommen,
ehe wir nicht im Sinne dieses Satzes eine Prüfung
unserer Begriffe vorgenommen haben. Es hieße dann
natürlich mit manchen: aufräumen, was uns heute noch
als festes Dogma gilt, die Folge wäre eine tiefe Trennung
der Geschlechter zu einer ganz neuen Vereinigung.
Als Erzählungskunst kommt der Noinan „Jrregang"
aus Paul Ernsts Schule. Von ihm kommt der Schliff
der Sprache, die fast mathematische Berechnung des
*) Jrregang, Roman von Georg Mnnk, Verlag S. Fischer,
Berlin.

Aufbaus, der mit den einzelnen Gliedern spielt, wie ein
Baumeister mit einem Ornament beim Entwurf eines
Dombaus. Es ist da z. B. das Motiv einer Gestalt, die,
ohne Körperlichkeit zu haben, durch das Buch hindurch-
geht und immer dann erscheint, wenn der Seele der
Hauptfigur die Gefahr droht. Zuerst ein kleiner Knabe,
von Epoche zu Epoche wachsend in seiner Gestalt, nimmt
er an Unchang und Ausdruck zu in dem Maße, wie die
Seele der Frau, der er erscheint, bewußter ihrer Be-
stimmung gehört und fühlt, wenn ein Verbrechen daran
sie bedroht. Die Erzählung ist der Bericht eines durchaus
leidend hingenommenen Schicksals. Eine Frau, die ein
ewiges Mädchen bleibt, trotz mancher Mannesliebe, die
sie umfängt, geht traumhaft sinnend einen vielver-
fchlungenen Weg, der sie mancherlei Türen öffnen läßt,
die hinter ihr zufallen, ohne daß etwas von der Unruhe,
die dahinter war, ihr Wesen ergriffen hätte. Das Leben
spült ihr immer neue Perlen zu, sie sorgsam aufreihend
geht sie still hindurch, getragen von den: innerlichen Ge-
wicht ihrer Bestimmung. Dies alles ist in einer blumen-
haft zarten Sprache oft leuchtend erzählt, die wie eine
fügsame Musik diese geträumten Erlebnisse begleitet,
deren innerstes Leben nie angetastet wird. Es ist wie bei
Paul Ernst ein buntes, wohlgefügtes Geschmeide von
schönen Stücken, die durch die Kunst des Dichters voll-
endet dastehen wie Schaustücke in einem Kasten. Menschen,
Landschaften, Städte stehen in ihrer wunderlichen Schön-
heit darin gebannt; und wer das Buch zu seiner Unter-
haltung liest, mag ebensosehr zu den: Seinen kommen,
wie der andere, der mit der Kennerschaft des Geistes der
fast überkultivierten Gedankenwelt nachgeht, die bei-
nahe bedrückend wirkt und uns manchmal sehnsüchtig
nach einer befreienden Tat ausschauen läßt.
Ist zu Anfang der Raine Paul Ernst als Pate für das
Buch gefallen auf Grund einer sprachlichen Schulung,
die von ihm herkommt, so kommt noch hinzu, daß beiden
Künstlern die gleiche Beherrschung der treibenden, sinn-
lichen Machte eigen ist, die ihnen verbietet, auch aus
den sonderbarsten Erlebnissen anderes als einen Baustein
zu schaffen, der den: Gefüge dienen muß, daran sie bilden.
Traumhaft sicher, in: tiefsten Bewußtsein ihrer Be-
stimmung gleitet diese Frau durch alle Phasen ihres
Lebens, unangegriffen von allen äußeren Leiden scheint
sie passiv und jeder meint ihr seinen Stempel aufzu-
drücken. In Wahrheit aber trägt sie wie in einen: gläser-
nen Gefäß ihre Seele in den Händen, die sie zu Gott
zurückbringen muß, ob darüber ihr Leben alle Schranken
täglicher Gesetze übersehen und in manchen: trüben Licht
stehen muß. Wohl nur eine Frau, kaum ein Mann, ver-
mag so viel um die Sicherheit in der Bestimmung einer
Frauenseele zu wissen, und es wäre fast verwunderlich,
wenn es anders wäre. Vielleicht ist der Umstand, daß das
Buch endet, ehe die Hauptgestalt vollendet ist, ein Fehler,
aber es bleibt darum doch ein schönes und seltsames
Buch, das den Freunden schöner Geschmeidekunst
empfohlen sei.
Von Helene Voigt-Diederichs*), der schleswig-hol-
steinischen Erzählerin, ist bei Albert Langen in München
ein kleines Bändchen erschienen, „Luise", eine Erzählung,
heißt es. Die Dichterin ist eine von den Frauen, die nie
*) Helene Voigt-Diederichs, Luise, eine Erzählung, Verlag
von Albert Langen, München.

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