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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Nr. 12
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Lübbecke, Friedrich: Johann Friedrich Städel
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Erzählungsbrüder
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0419

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Johann Friedrich Städel.

Empfindens sich hinabsenken; noch brodelt der Ouell
nnd wirft Schlamm und Wasser zugleich empor. Doch
die Klärung muß erfolgen, die Gesetze der neuen Ge-
staltung müssen offenbar werden, wenn anders sich
unsere gesamte künstlerische Kultur nicht anarchisch auf-
lösen soll.
Johann Friedrich Stadel, der ewig junge, wird sie
gewiß nicht ablehnen. Die Weite seiner in seinem
Testament niedergelegten Weltanschauung wird auch
Raum und Hilfe für das kommende Geschlecht bieten, und
sei es fürs erste nur in der Darbietung der unsterblichen
Werke seiner Sammlung. Au tief liegt in seinem Geiste
und Willen die tatkräftige Förderung alles künstlerisch
Strebenden verankert. Die Kunst war ihm mehr als ein
Lebensschmuck, ein Luxus für reiche Kreise. Sie war ihm
Symbol und Deutung des Lebens durch die Überwin-
dung und Vergeistigung des Stoffes. Nicht umsonst steht
in seinem Testament die Förderung der Baukunst seinem
Herzen so nahe, des Urgrundes aller großen Malerei und
Plastik. Nur für kostspielige Überlebtheiten hatte er kein
Geld übrig.
Es wird den Vorstehern seiner Stiftung eine hohe
Pflicht sein, in Erweiterung der heutigen Aufgaben des
Instituts die Wege zu suchen, die auch in der Frage der
zukünftigen künstlerischen Erziehung dem Geiste des
Stifters gerecht werden. Ist einmal die Richtung ge-
funden, so werden wie immer in den vergangenen
hundert Jahren in Frankfurt, ja im ganzen deutschen
Vaterlande sich Hände genug finden, die auch finanziell
den neuen Weg bahnen helfen, getreu dem über dem
Städelschen Kunstinstitut schwebenden Segensspruche:
Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig!
Frankfurt a. M. s681jj Or. Fried Lübbecke.
rzählungsbücher.
Es gibt eine Art von Geschmeide — man sieht
sie noch in Museen oder in den kleinen, dunklen
Schatzhöhlen der Antiquare — die scheinen um einzel-
ner Steine willen gemacht, deren Seltenheit und zu-
fällige Form die Fassung und Art des ganzen Gehänges
bestimmte. So ist es manchmal gekommen, daß der Aweck
des Schmuckes fast unbedacht blieb und eine Art Schau-
stück daraus wurde, das rein aus sich selber nur zur
Freude da ist, zu dem recht der seltsame Name Kleinod
paßt. Niemals Aweckgegenstand, ist das Kleinod für sich
selber da, geschliffen und glänzend läßt es Freude er-
blühen in jedem Auge, das darauf ruht, und die Fassung
als Menschenwerk ist es, die sich dienend bemüht, das
heimliche Leben der Steine in ein Gehäuse zu stellen,
daß nichts davon verloren gehe. So muß der rechte
Erzähler sein wie ein Edelschmied, der kunstreich Perlen
oder Steine poliert, schleift und faßt, damit ihr glühendes
oder sanftes Licht für Jahrhunderte bewahrt bleibe.
Vielleicht ist nicht umsonst die Heimat der größten Er-
zählungskünstler jenes Morgenland, das zugleich früh
schon die kunstreichsten Edelschmiede hatte, von wo
beide Künste nach Italien kamen, um dort eine sel-
tene Blüte zu erleben, die nur in wenigen Stücken
von den Künstlern unserer Tage erreicht oder über-
troffen wurde.

Es ist bekannt, welches Verdienst Paul Ernst, den wir
als Dichter schätzen, in dieser Sache als Forscher und
Förderer hat, der uns schaffend und nachschaffend
manches Kleinod schenkte und die italienische Novelle
für uns neu entdeckte, indem er ihre Form und Fassung
beleuchtete, wo wir bislang nicht viel mehr als die
Sinnenfreude eines viel unbefangeneren Volkes in
seinen leicht anzüglichen Erzählungen gekannt hatten.
Was Paul Ernst außerdem als Dichter und viel
mehr als Denker für uns bedeutet, steht auf einem
andern Blatt, obwohl es in unseren Tagen vielleicht
nötiger ist denn je für unser Volk, zu wissen, wo
seine Propheten sitzen. Wer etwas darüber erfahren
möchte, der nehme das Buch zur Hand, das zum 50. Ge-
burtstag*) von Paul Ernst von Or. W. Mahrholz heraus-
gegeben wurde.
Der Dichter reicht dafür mit der Gebärde des über
unermeßliche Schätze gebietenden Aaubercrs diesen! Volk
ein neues Kleinod, das kunstreich gefügt schalkhaft
blitzende oder matt wie Perlen schimmernde Stücke
seiner Erzählungskunst enthält, gleich den Geschichten
des Boccaccio zusammengehalten durch eine Grund-
erzählung, die wie die Fassung beim Geschmeide die viel-
farbigen unter der Sonne der verschiedensten Aeiten
und Völker gewachsenen Stücke zeitlich und räumlich
bindet. Der Band heißt „Die Taufe"**), als Folge eines
früheren, den er „Die Hochzeit" nannte. Er macht die
Tafelrunde, die sich zur Tauffeier eines während dieses
Krieges geborenen Knaben zusammenfindet, zu Hörern
und Erzählern der einzelnen Geschichten, die lebendig
fließend rasch eine Verzögerung oder einen Zwischen-
fall in der häuslichen Feier ausfüllen.
Die Grunderzählung von der Taufe gibt trotz der
scheinbaren Zufälligkeit den tiefen Unterton ab, auf den
alle Stücke gestimmt sind, und nicht ohne Absicht läßt
der Dichter die Schrecken und unlösbaren Rätsel unserer
Gegenwart ihre unseren Herzen und Ohren noch so
ungewohnte Stimme darin führen. Wie die alte Heiligen-
geschichte die Leidenswege ihrer gemarterten Heiligen
erzählt, sorglich Wort für Wort gefügt, daß keiner der
kostbaren Blutstropfen vergessen werde, so sind einzelne
Stücke aus den letzten Kriegstagen hier aufgereiht, die
schon Legende geworden nun ein Leben behalten werden.
Erzählt in einer Sprache, die das einfältigste Herz ver-
stehen kann, faßt sie wie mit zarten Instrumenten die
feinen unsichtbaren Fäden, mit denen die Menschen an
das ewige Leben geknüpft sind, mit Bedacht die einfachste
Ausdrucksform wählend aus der Erkenntnis, daß alle
menschliche Sprache Notbehelf ist, und daß sie von der
liedhaften Weise des Vogels, der seit Jahrtausenden
die Herrlichkeit Gottes in immer den gleichen Tönen
singt, kaum verschieden ist. Umschlungen von dem Be-
kenntnis eines Dichters stehen die Stücke dieses Buches
in ihrer Unbedingtheit da, jedes in sich vollendet und
seine Forderung frei erfüllend, so daß der Leser auch das
Traurigste noch mit dem Gefühl leiser Beglücktheit ent-
läßt. Die Kunst des Dichters hat jedes Erlebnis, dessen
*) Paul Ernst, zu seinem 50. Geburtstage herausgegeben von
Dr. Werner Mahrholz, Beitrage von E. v. Bodman, Rob. Faesi,
Do. G. v. Lukacs, Dr. Werner Mahrholz, Will). Schäfer, Karl
Scheffler, Joh. Schlaf, Dr. W. v. Säbolz, Dr. Otto Stoeßl. Verlag
von Georg Müller-München. — **) Die Taufe, Novellen von
Paul Ernst, Verlag von Georg Müller.


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