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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 6
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Hesse, Hermann: Der Dicher
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Fischer, Max: Goethe und Napoleon
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0228

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Der Dichter.
noch ehe er die letzte Krümmung des Tales erreicht hatte,
lief der Nachtwind über die Zither, die in der Tür der
Hütte hing, und die Töne flohen ihm nach und riefen ihn
zurück, daß er nicht widerstehen konnte. Das andere Mal
aber träumte ibm, er pflanze einen jungen Baum in
seinen Garten, und sein Weib stünde dabei, und seine
Kinder begössen den Baum mit Wein und Milch. Als
er erwachte, schien der Mond in seine Kammer, und er
erhob sich verstört und sah nebenan den Meister im
Schlummer liegen und seinen greisen Bart sachte zittern;
da überfiel ihn ein bitterer Haß gegen diesen Menschen,
der, wie ihm schien, sein Leben zerstört und ihn um seine
Zukunft betrogen habe. Er wollte sich über ihn stürzen
und ihn ermorden, da schlug der Greis die Augen auf
und begann alsbald mit einer feinen, traurigen Sanft-
mut zu lächeln, die den Schüler entwaffnete.
„Erinnere dich, Han Fook," sagte der Alte leise, „du
bist frei, zu tun, was dir beliebt. Du magst in deine
Heimat gehen und Bäume pflanzen, du magst mich
hassen und erschlagen, es ist wenig daran gelegen."
„Ach, wje könnte ich dich hassen," rief der Dichter in
heftiger Bewegung. „Das ist, als ob ich den Himmel
selbst hassen wollte."
Und er blieb und lernte die Zither spielen, und
danach die Flöte, und später begann er unter des Meisters
Anweisung Gedichte zu machen, und er lernte langsam
jene heimliche Kunst, scheinbar nur das Einfache und
Schlichte zu sagen, damit aber in des Zuhörers Seele
zu wühlen wie der Wind in einem Wasserspiegel. Er
beschrieb das Kommen der Sonne, wie sie am Rand des
Gebirges zögert, und das lautlose Huschen der Fische,
wenn sie wie Schatten unter dem Wasser hinfliehen,
oder das Wiegen einer jungen Weide im Frühlings-
wind, und wenn man es hörte, so war es nicht die Sonne
und das Spiel der Fische und das Flüstern der Weide
allein, sondern es schien der Himmel und die Welt jedes-
mal für einen Augenblick in vollkommener Musik zu-
sammenzuklingen, und jeder Hörer dachte dabei mit Lust
oder Schmerzen an das, was er liebte oder haßte, der
Knabe ans Spiel, der Jüngling an die Geliebte und der
Alte an den Tod.
Han Fook wußte nicht mehr, wieviele Jahre er bei
dem Meister an der Quelle des großen Flusses verweilt
habe; oft schien es ihm, als sei er erst gestern abend in
dieses Tal getreten und vom Saitenspiel des Alten
empfangen worden, oft auch war ihm, als seien hinter
ihm alle Menschenalter und Zeiten hinabgefallen und
wesenlos geworden.
Da erwachte er eines Morgens allein in der Hütte,
und wo er auch suchte und rief, der Meister war ver-
schwunden. Über Nacht schien plötzlich der Herbst ge-
kommen, ein rauher Wind rüttelte an der alten Hütte,
und über den Grat des Gebirges flogen große Scharen
von Zugvögeln, obwohl es noch nicht ihre Zeit war.
Da nahm Han Fook die kleine Laute mit sich und stieg
in das Land seiner Heimat hinab, und wo er zu Menschen
kam, begrüßten sie ihn mit dem Gruß, der Alten und Vor-
nehmen zukommt, und als er in seine Vaterstadt kam,
da war sein Vater und seine Braut und seine Verwandt-
schaft gestorben und andere Menschen wohnten in ihren
Häusern. Am Abend aber wurde das Lampenfest auf

dem Flusse gefeiert und der Dichter Han Fook stand
jenseits auf dem dunkleren Ufer, an den Stamm eines
alten Baumes gelehnt, und als er auf seiner kleinen Laute
zu spielen begann, da seufzten die Frauen und blickten
entzückt und beklommen in die Nacht, und die jungen
Männer riefen nach dem Lautenspieler, den sie nirgends
finden konnten, und riefen laut, daß noch keiner von
ihnen jemals solche Töne einer Laute gehört habe.
Han Fook aber lächelte. Er schaute in den Fluß, wo die
Spiegelbilder der tausend Lampen schwammen; und
wie er die Spiegelbilder nicht mehr von den wirklichen
zu unterscheiden wußte, so fand er in seiner Seele keinen
Unterschied zwischen diesen: Feste und jenem ersten,
da er hier als ein Jüngling gestanden war und die Worte
des fremden Meisters vernommen hatte. f612^j
/srr oethe und Napoleon.
Von Mar Fischer.
Nicht von den flächenhaften Worten wird
hier gesprochen werden, nach denen die beiden
Manner rangen, um ihre inneren Empfindungen
zu verbergen. Man mag sie in dem Tagebuch
Goethes, in den Aufzeichnungen des Kanzlers
von Müller und Talleyrands nachlesen. Das
methaphysische Erlebnis ihrer Begegnung, von
dem keine Dokumente reden, soll zu deuten
versucht wcrdeu.
Erfurt. Des Franzosenkaisers höchste Macht und
äußerster Glanz. Ein Parterre altehrwürdiger Souveräne
aus allen Landen Europas umwirbt schmeichelnd den
aus enger Bürgerlichkeit und Dürftigkeit zum Welt-
herrscher entwachsenen Emporkömmling. Cäsar inmitten
seiner Vasallen. Prunk und Vergnügungen, diploma-
tische Schachzüge, Geschäftigkeit.
Goethe wird von Napoleon empfangen. Der Herrscher
der Welt läßt sich herab, den: berühmten Mann Weimars
eine halbe Stunde des Gespräches zu schenken. Was ist
Goethe? Der Minister eines winzigen deutschen Länd-
chens, der Verfasser des berühmt-berüchtigten Romans
„Werthers Leiden", der Schöpfer längst verklungener
kraftgenialischer Dramen und neuer klassizistischer Werke,
die noch nicht einmal ins Französische übersetzt sind und
bei denen der deutsche Zuschauer gähnt und sich nach
Jffland und Kotzebue sehnt. Schließlich noch, ganz bei-
läufig zu bemerken, wissenschaftlicher Dilettant mit bota-
nischen, zoologischen, geologischen, optischen, kunstwissen-
schaftlichen Studien beschäftigt, ein Anreger vielleicht,
aber doch einer, über den der strenge Fachmann die Nase
rümpft.
Und Goethe tritt vor den Imperator. Findet ihn
umringt von seinen Ministern und Dienern mitten in
geschäftigen Entschließungen. Die ganze Realität des
weltgeschichtlichen Geschehens Europas kreuzt sich in
diesem Zimmer. Der Kaiser der große Organisator, der
alle Fäden in starker Hand hat und ihren Ablauf gebietet.
Kaunr vierzig Jahre alt, in bester Manneskraft, straff,
die Arme über der Brust verschränkt, das Haupt kühn
zurückgeworfen, harten Willen in den scharfen Zügen,
dämonische Macht im Blick der Augen. Er ist gewaltig,
fühlt der Dichter, er ist ein Held. Vom kleinen Garde-
leutnant zum mächtigsten Kaiser der Erde, welch un-
21s
 
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