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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Nr. 12
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Bacmeister, Ernst: Das verwandelte All: der Traum eines Erwachten
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0409

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as verwandelte All.
Der Traum eines Erwachten.
Aus dem Ozean der hymnischen Chöre, die von Ewig-
keit her das All in warmer Gemeinschaft erfüllten,
schnellte einst der frömmste der Engel, im Taumel
übermäßiger Inbrunst sich überschlagend und abirrend,
ein blitzender Klang, in das kalte Nichts hinaus, gefror
alsbald und fiel lautlos und verwandelt unter die
tönenden Scharen zurück. Seine verdichtete Gestalt
schattete durch das lichte Gewoge der unbegrenzten
Seligen; sein aus enger Pupille stechender Blick aber ver-
riet, daß er unter den blicklosen Unbewußten unselig
und vereinzelt fortan von sich selber wußte.
Schauernd entwichen die gemeinsamen Engel vor
dem eisigen Auge des Verstummten. Wohin er sich
wendete, da wehten sie fliehend auseinander und ent-
schleierten schweigende Leere. Immer von neuem aber
schwang er sich unter die flüchtigen Schwarme und suchte
und wollte wissen, wen ihre fraglose Inbrunst besänge.
Der Vereinzelte suchte den Einzigen. Satan durchfuhr
das All nach Gott.
Schon weit vor ihm her, durch Ansteckung des
Schreckens, entleerten sich die Himmel von den summen-
den Reigen und ließen ihn von Abgrund zu Abgrund
immer unermeßlicher allein. Immer heftiger aber,
immer spitzer begehrte Satan, dem Herrn zu begegnen,
dem das weite All tönte, unbekümmert, ob ihn die An-
dacht erreiche. Überall, überall sangen die gläubigen
Chöre der Gestaltlosen, wichen aufleuchtend aus und
strömten ferne wieder in gleichmäßige Helle zusammen.
Nirgends, wo er auch durchstieß, war der Geglaubte.
Grenzenlos wuchs die Einsamkeit um den Suchenden.
Ungeheuer litt Satan, vergeblich blickend, im widerstands-
losen Abgrund der Leere. Denn inmitten seines Ich,
eingedrungen und umschlossen, lauerte die schwarze
Kälte des Nichts: wenn er Gott nicht erjagte hinter den
fliehenden Engeln, daß er auf ihn hinausblickte, war er
verloren in der klaffenden Wüste und verging am ver-
nichtenden Blick auf sich selbst.
Wo war der Andere? Wo war der Andere?
Aber die Engel flohen und Gott blieb verborgen.
Die Leere breitete sich um Satan und wurde ein saugender
Strudel gegen das verwandte Nichts in seinem Innern.
Kaum noch hielt er sich, mit vergeblich greifendem Auge,
von sich selbst entwandt. Schon welkte sein Wille, vom
bitteren Umsonst vergiftet; schon sank ihm der Blick, im
Unbegrenzten erlahmend, nach innen; schon wölbte sich
die Finsternis des Nichts über die fassungslose Insel
seines Ich verschlingend empor: da sammelte er, zurück-
bäumend, seine taumelnde Not in einen furchtbaren
Schrei, der die schweigende Leere um ihn zersprengte
und grell in das klingende All hineinfuhr.
Von diesem Schrei Satans gerann das unendliche
All und wurde die endliche Welt.
Als ein chaotischer Wirbel fuhr Gott, aufgeschreckt,
in das Sein. Äonen über Äonen vergingen, bis er sich
in die kosmischen Reigen unzähliger Gestirne beruhigte
und sich im großen Ganzen ihres verbundenen Systems
zur Harmonie zurückfand. Nur dort im Raume, wo
Satan den Schrei seiner Verzweiflung getan hatte,
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gerann der betroffenere Äther in einen besonderen
Stern, den zwar auch hymnische Sphären im kosmischen
Wandel umklangen, der sich aber in sich selber mit wachsen-
der Dissonanz weiter verdichtete, bis diese der har-
monischen Ewigkeit entfallene Dissonanz von der mit-
entstandenen Zeit gärig wurde und in tausendfacher Ver-
einzelung tödlich widerstreitendes Leben aus sich her-
vortrieb.
Da erkannte Satan, durch den Anblick der Welt er-
rettet, daß dieser Stern ihm den erschrieenen Gott am
offenbarsten in widerwillige Sichtbarkeit ausbreite. Be-
gierig trat er unter das kämpfende Gewimmel der Erde
und betrachtete das leibhaft Lebendige, in welchem das
zerrissene All sich durch tausend Tode vorwärtsquälte:
so, als ob es in der zwiespältigen Gestaltung doch wieder
irgendwie heil und einig zu werden versuchte. Jener aber
merkte nur, daß das Sichtbare (er nannte es bald zärt-
lich: „Satans-Echo", — bald triumphierend: „Gott aus
dem Loch"), indem es sich blühend und blutend auf der
Erde geheimnisvoll weiterschuf, immer mehr ihm selber
ähnlich wurde: nämlich bewußt und sehend. Deshalb
gierte der Engel mit immer heftigerem Blick und wartete
der Stunde, da Gott ihm aus einem letzten Wesen, gründ-
lich vereinzelt und seiner selbst bewußt, Auge in Auge ent-
gegenblicken sollte: Blick in Blick, sann er, nehme ich,
der Erst- und Freigeborene der Erkenntnis, den späten
Erzwungenen in mich hinein, verstopfe mir im Innersten
mit dem farbigen Sein, worein ich mir den ungewiß
Schwebenden erschuf, das schwarze Nichts, und werde
an seiner Statt, was er nie gewesen: wissendes All, —
ich, der einzige, der das Nichtsein erfuhr. Von dannen
werden mich die Chöre der Himmel besingen, und ich,
Satan, will ihrer Andacht nicht verborgen bleiben. —
Wo waren die tönenden Engel hin?
Ihre seligen Scharen waren verschwunden, als
Satan seinen grellen Widerschrei in das All hinausstieß
und der uferlose, hymnische Ozean in die kosmischen
Ufer gerann. Wo waren sie hin, die harmonisch Geniein-
samen, die seligen Summer?
Eines irdischen Abends stand Satan auf blühender
Halde an den Stamm eines jungen Apfelbaumes ge-
lehnt. Uber seinem Haupte, zwischen den Blüten des
Baumes, saß ein Vogel und sang. Da lief dem Sinnenden
plötzlich eine warme Woge schmelzend über sein Ich, daß
er aufschrak und sich härter faßte. Was war das? Schon
wußte er: dieses brünstige Blühen des Baumes und
dieser quellende Sang des Vogels waren ein und das-
selbe, waren beide nichts anderes als die in das irdische
Leben eingeschlüpfte Inbrunst der harmonischen Engel.
In dieser Lebensinbrunst waren Baum und Vogel
Eines, — eine gläubige Gemeinschaft, — ungeteiltes,
gleiches und einiges All, — trotz dem Hier und Dort ihrer
getrennten Erscheinung. Und was ihn, Satan, über-
schlichen und angekränkelt hatte? War es Heimweh aus
dem Ich in die gläubige Gemeinschaft? Bevor ihm der
nahende Gott Blick in Blick begegnet und seinem reiferen
Wissen erlegen war? Sollte er um das Leid seiner Ver-
einzelung, um die Frucht der Erkenntnis betrogen werden
von den neidischen Vielen? Schickte Gott etwa selber
diese schmeichlerischen Schemen listig vor, um ihn durch
Erinnerung und Wonne zu schwächen?


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