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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 9
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Hupp, Hans Wilhelm: Zum Problem des modernen Kirchenbaus, im besonderen des katholischen
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Ernst, Paul: Ein moderner Naturalist
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0328

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Zum Problem des modernen Kirchenbaues, im besonderen des katholischen.

zuwenden. Ich sage absichtlich architektonisch. Denn
Plastik, Malerei und Kleinkunst werden schon von selbst
folgen, wenn einmal die „Herrscherin Architektur" voran-
geht. Und sicherlich wird es dem architektonischen Können,
wie es die Neuzeit doch trotz aller Hindernisse entwickelt,
gelingen, auch den sakralen Bauten eine würdige Form
zu geben. Einen Dom von Mainz können wir nicht mehr
errichten, aber einen Gesü doch. An der Kirche liegt es
jetzt, die Gelegenheit zu geben.
„Wer nicht für mich ist, ist wider mich!" Dies Wort
steht auch über unserer Zeitkunst, und nicht nur über der
profanen! f627^ Hans Wilhelm Hupp.
in moderner Naturalist.
Zola ist sehr schnell in der allgemeinen Schätzung
zurückgegangen. Wahrscheinlich wird er heute in der
jüngeren Generation kaum noch gelesen. Vor etwa
dreißig Jahren galt er bei uns noch allgemein als ein
unzüchtiger Schriftsteller, und nur einige sehr wenige
Menschen schätzten ihn; die junge deutsche naturalistische
Bewegung hob ihn als einen ihrer Meister auf den Schild,
und vor etwa fünfzehn Jahren stand er in der allge-
meinen Meinung auf seinem Höhepunkt. Das Auf und
Ab ging bei ihm also in auffällig kurzer Zeit vor sich.
Es geschieht ja sehr oft, daß man Dichter bei ihren
Lebzeiten sehr hoch schätzt und sie dann sehr schnell ver-
gißt. Ein solches Schicksal trifft gewöhnlich aber nur
solche Dichter, die sich durch gewisse Eigenschaften bei
der großen Menge einzuschmeicheln verstehen. Solche
Eigenschaften hat Zola nun ganz gewiß nicht gehabt;
er ist ja auch nicht von der Menge anerkannt, sondern
von einem Teil Höherstehender. Gewiß, er war nur
eine Zeiterscheinung; aber immerhin doch eine Zeit-
erscheinung, die den wesentlicheren Anforderungen der
Zeit entsprach. Sein merkwürdiges literarisches Schicksal
muß also einen tieferen Grund haben.
Das neue Buch von Reymont, dem Verfasser des
ausgezeichneten Romans „Polnische Bauern", läßt sehr
an Zola und seine Leistung denken. Es ist wieder ein
Roman, der fast nur Milieuschilderung ist; und weil der
Dichter das neue Milieu — er schildert dieses Mal die
Fabrikantenkreise von Lodz — offenbar in ähnlicher
Weise hat studieren müssen, wie Zola seine Studien
machte, so ist die Verwandtschaft mit Zola viel klarer
als in dem früheren Buch. Wenn man das Problem,
das dieses Buch der Kritik stellt, richtig faßt, dann ver-
steht man manches sonst schwer Verständliche unserer
modernen Dichtung.
Die Absicht jeder Kunst ist, in den Menschen gewisse
Gefühle zu erwecken. Sie erreicht diese Absicht durch
ihre Mittel. Diese sind in den Künsten verschieden;
im Roman ist das Mittel das kunstmäßige Erzählen von
Geschehnissen. Diese Geschehnisse können historisch wirk-
lich oder ausgedacht und ganz phantastisch sein; immer
aber müssen ihre einzelnen Bestandteile irgendwie aus
der Wirklichkeit stammen. Mit dem Worte „Naturalis-
mus" wurde eine besondere Wahrheit und Wahrhaftig-
keit dieser Wirklichkeitsbestandteile behauptet; man wird
aber gut tun, wenn man solche Behauptungen, die aus

dem naiven Selbstbewußtsein des schaffenden Künst-
lers stammen, nicht zu ernst nimmt. Die Frage: „was
ist Wahrheit?" wird in der Kunst ebenso schwer zu be-
antworten sein, wie überall, und das Betonen der Wahr-
heit ist im Grunde immer nur als polemisch gegenüber
einem älteren Stil aufzufassen. Das Spezifische der
Zolaschen Kunst war nicht der Naturalismus, sondern
die soziologische und naturwissenschaftliche Auffassung
der dargestellten Menschen und Ereignisse.
Der menschliche Wille ist für die diesseitige Betrach-
tung unzweifelhaft unfrei. Wie es für die jenseitige
Betrachtung steht, geht uns hier nichts an, jedenfalls
aber fühlt der Mensch selber seinen Willen immer als
frei. Wenn die Kunst Menschen darstellt, so kann sie sie
immer nur so darstellen, wie sie in Wirklichkeit sind,
nämlich so, daß sie sich frei fühlen und entsprechend denken
und handeln. Auch Zola — der hier immer nur als der
entschiedenste Vertreter einer bestimmten Richtung
gefaßt wird — kann nicht anders. Aber indem er uns
die Ursachen der geglaubt freien Handlungen aufzeigt,
kann er ihre Unfreiheit nachweisen. Diese Ursachen fand
der soziologische und naturwissenschaftlich gerichtete Geist
der Zeit in Umgebung und Vererbung. Solche Elemente
aber konnten nicht durch Erzählung von Handlung,
sondern nur durch lyrische Schilderung dargestellt werden.
Theoretisch muß jeder Charakter und jedes Wollen
durch Milieu und Vererbung zu erklären sein; praktisch
für den Dichter darstellbar sind jedoch offenbar am leich-
testen Menschen und Geschehnisse, welche diesen Elemen-
ten unmittelbar unterliegen: das ist, mit einem Wort,
alles, was mit des „Lebens Notdurft" zusammenhängt.
In der entwickelten bürgerlichen Gesellschaft und aus
der Betrachtung der industriellen Produktion hatte sich
die Theorie entwickelt; wie alles Wirkliche, so drängte
auch diese bürgerliche Gesellschaft danach, künstlerisch
dargestellt zu werden; es ist nur natürlich, daß auf diese
Weise der arbeitende Mensch plötzlich Gegenstand der
Dichtung wurde: er wurde es, weil die Zeit es wollte,
und weil die Zeit eine Weltbetrachtung schuf, bei welcher
die Kunst kaum einen andern Gegenstand wählen konnte.
Diese Weltbetrachtung gab denn nun nicht genug
künstlerisch her, und so war das Ergebnis, daß die Dich-
tung sehr bald neue Wege suchte; die Folge davon ist,
daß sie heute ganz in der Luft hängt und mit den eigent-
lichen Mächten der Zeit gar keinen Zusammenhang
mehr hat, denn die sind immer noch dieselben, aus denen
jene Weltbetrachtung entsprang.
Reymont ist nun offenbar ein Dichter, der mit seinem
Volk organisch verwachsen ist; er ist der einzige heute,
der das ist. Man sieht aus seinen Arbeiten, daß er zu
völliger Klarheit durchgedrungen ist, und das künst-
lerisch Begrenzte der Weltbetrachtung, das dichterisch
Falsche, das sie erzeugt, kann ihm nicht unbekannt sein.
Trotzdem erweist er sich heute als reinen Zolaistcn: wer so,
wie er, mit seinem Volk verwachsen ist, muß das sein.
Er erreicht dadurch, was keinem andern heutigen Dichter
beschieden ist: was er dichtet, das ist das, was das pol-
nische Volk heute erlebt. Alle andern Dichter können
nur das eigene Erleben darstellen, und im günstigen Fall
dürfen sie hoffen, daß dieses Erleben in Zukunft einmal
ein typisches Erleben ihres Volkes sein wird; aber sie
 
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