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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 7/8
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Oswald, Josef: Gustav Freytag
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Bacmeister, Ernst: Fern vom Kunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0282

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Gustav Freytag.
Neigung wuchs und wurde zu einem heimlichen Verlöb-
nis mit unendlichem Harren und Hoffen. Da sie räum-
lich meist geschieden waren, entspann sich der regste Brief-
verkehr, von seiner Seite die überraschendste Selbst-
offenbarung. Es sprach daraus ein Jünglinggreis mit
neuen Jünglingserlebnissen. „Was wahre, starke Liebe
bedeutet," schreibt er z. B., „erfahre ich erst jetzt, wo bei
andern die Bewegung mäßig, der Fluß der Empfin-
dungen schwächer wird." Es sprach daraus ein Lyriker,
der einst in Versen versagt hatte, nun aber in quellsrischer
Prosa immer wieder aus den humoristischen Verhül-
lungen, dahinter der Greis den Jüngling zu verstecken
suchte, hinreißend hervorbrach. In welchen Hyperbeln
er sich dann ergehen konnte, zeigt eine Äußerung aus dem
bedeutsamen Jahr 1888: „Fürsten mögen gehen und
kommen, Reiche mögen gedeihen und verschwinden,
aber Sie, die eine, meine, soll mir bleiben." Die Sehn-
sucht wurde glühender Drang bei dem Gedanken an die
kurze Zeitspanne, worauf er noch zu hoffen hatte. Seit
dem ersten Briefe verstrichen mehr als sechs Jahre, bis
endlich die Hindernisse beseitigt und der fünfundsiebzig-
jährige Bräutigam nut der halb so alten Braut sich ver-
mählen konnte. Vier Jahre später, am 30. April 1895,
ist er in seinem Winterwohnsitz Wiesbaden aus dem
Leben geschieden. f648) Josef Oswald.
ern vom Kunstwerk.
Daß die Psychologie eine reiche Ernte haben wird
durch die Beobachtungen, die von Feldzugsteilnehmern
an sich selber und an ihren Kameraden unter den außer-
gewöhnlichen Umständen des Krieges gemacht werden,
ist außer Zweifel. Man ist ja in den berufenen Kreisen
schon lebhaft damit beschäftigt, diese Ernte hereinzu-
bringen. Dabei wird auch die psychologisch eingestellte
Ästhetik einige Garben wertvoller Erfahrung in die
Scheuer ihrer Theorie einzufahren finden.
Vor allem muß der Ästhetik jede Mitteilung kostbar
sein, die erkennen läßt, wie weit die Kunst in der durch
sie kultivierten Menschenseele aus einem vom Kunst-
werk abhängigen Genuß zu einer selbständigen Kraft zu
werden vermag, die fern vom Kunstwerk (nämlich „im
Felde") sich der ungestalteten Natur, dem ungeformten
Erlebnis gegenüber beherrschend und darum tröstend
und beglückend erweist. Hier liegt ein wichtiges Problem:
— fern vom Kunstwerk!
Es gibt Leute, welche die Kunst als einen Ersatz für
die Religion eingeschätzt wissen wollen, und zwar nicht
nur beim Künstler selber sondern bei jedem, der sich der
Kunst, also den Kunstwerken (im weitesten Sinne ge-
nommen) anvertraut; denn für den Nichtkünstler ist die
Kunst ja nicht als schaffende Kraft, sondern lediglich als
geschaffenes Werk vorhanden, dem aus seinem Innern
nur gerade eine Aufnahmelust und -fähigkeit entgegen-
kommt. Für den Nichtkünstler scheint also nut dem Kunst-
werk die Kunst selber fortzufallen; seiner Religion be-
raubt stände er da.
Ist es wirklich so abhängig mit der künstlerischen
Kultur bestellt? Kann sie ohne Bibel nicht beten, das
heißt: kann sie ohne Buch, ohne Bild sich nicht als ein

geistiger Besitz wirksam erweisen? Ist sie nur Genuß
und garnicht Kraft?
Vielmehr bedarf es zum wahren Genießen eines
Kunstwerkes auch bereits einer Kraft. Es genügt nie,
sich vor das Kunstwerk hinzustellen und sich's gefallen zu
lassen. Ein Bild, ein Gedicht ist nur eine verlockend dar-
gebrachte Einladung, hineinzutreten in den Tempel
seiner seligen Versunkenheit und sich bis in sein Aller-
innerstes, Allerheiligstes durch eigene Versenkung, Ver-
innerlichung, Wellvergessenheit, Entsagung und Heili-
gung durchzubeten und durchzuarbeiten. Ohne diese
asketische Konzentrationsbemühung kommt es nicht zum
zentralen Erlebnis der tiefen Gottesschau, aus dem das
Bild, das Lied in schön geformte Sinnlichkeit entsprang.
Wem aber, ins Zentrum eingedrungen, diese Gottesschau
gelingt, der erst erlebt auch das letzte Künstlerglück in
sich nach, das Unaussprechliche aussprechbar, das Über-
sinnliche der Gestaltung zugänglich zu finden durch das
mystische Mittel des äußerlich begrenzten, innerlich un-
begrenzten Symbols.
Jetzt fragt es sich nur, ob die immer wiederholte
Übung des nicht selber Schaffenden, sich die von anderen
geschaffenen künstlerischen Symbole durch jene heilig
aufmerksame Bemühung anzueignen, in seiner Seele
eine Fähigkeit erzeugt, die auch dann noch wirksam bleibt,
wenn ihm statt der Symbole selber nur jener symbolische
Urstoff sich darbietet, der dem Schaffenden sein Werk
erst inspiriert. Ist das noch ungeformte Motiv für den
Nichtkünstler garnicht vorhanden, oder hat die Beschäfti-
gung mit den Kunstwerken zur Folge, daß auch schon
das Motiv als solches erkannt und empfunden wird?
Und was bedeutet es für die Seele, einem solchen Motiv
zu begegnen, dessen Formung ihr versagt ist? Oder ist
ihr vielleicht sogar diese Formung, trotz mangelndem
Talent, infolge ihrer künstlerischen Kultur garnicht mehr
so sehr versagt, daß sie sich das empfundene Motiv nicht
wenigstens innerlich auch schon als Symbol zu festigen
und nahrhaft zu machen vermöchte?
Man bedenke, daß der Schaffende viel mehr schafft,
als Geschaffenes von ihm zutage tritt. Unzählige Motive
läßt er vorüber, ohne daß die formende Arbeit sichtbar
wird, die er zweifellos trotzdem darauf verwendet hat.
Der genial Produktive formt ununterbrochen auch bei
ruhendem Werkzeug, weil ihm zuletzt alles zum Motiv
wird und seine Kräfte reizt, die ihn ja nur dadurch be-
glücken, daß er sie bewegt. Es ist fast ein Übriges, daß
er sich mit dieser innerlichen Formung hie und da nicht
begnügt, sondern die Darstellung eines einzelnen Motives
mit sichtbaren Mitteln durchführt, inzwischen gewaltsam
gegen den Zustrom anderer sich verschließend. Sein
Lohn für diese Enthaltung ist sicherlich groß: an einem
Falle der äußerlich durchgeführten Formung wachsen
und klären sich seine besonderen Kräfte mehr als an
hundert Fällen der bloß innerlich gebliebenen, und erst
durch die Vollendung eines meisterlichen Werkes be-
währt sich ihr beglückender weil vollkommener Besitz.
Diese Erfüllung der formenden Kräfte ist dem Nicht-
künstler, dem „Nichtkönner" versagt; aber er würde auch
nicht einmal die Meisterschaft des fremden Werkes er-
kennen und als Erlösung begrüßen können, wenn ihm
der Urgrund alles Schaffens, das symbolische Erleben,


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