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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 6
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Weigmann, Otto: Briefe von Schwinds an Ernst Förster
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Hesse, Hermann: Der Dicher
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0226

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Briefe Moritz von Schwinds an Ernst Förster.
jetzt ans übermalen. Mögen alle neun Musen ihren
Segen dazu geben.
Lebe recht wohl empfiel uns Deiner Frau und allen
Freunden und schreibe bald. Ich wünschte sehrDu könntest
Dich für oben genannte Zusammenkunft recht erwärmen.
Es ist immer von guten Folgen wenn man sich von An-
gesicht zu Angesicht sieht. Schalters Herder«) hat in Weimar
gesiegt und wird es in Dresden ohne Zweifel. Adieu.
Dein alter Freund Schwind
Deinen Bruder in Hochheim hoffe nächstens zu sehen.
Anmerkungen: 1. Diese Reise hing wohl mit
einer Vakanz an der Dresdener Akademie zusammen.
Wiewohl selbst nicht abgeneigt, diese Professur anzu-
nehmen, wenn er ohne Bewerbung aufgefordert würde,
bemühte er sich doch, durch seinen Freund Rietschcl
für Genelli Stimmung machen zu lassen. 2. Vermutlich
Langenleuba. 3. Der Kupferstecher Julius Thaeter
arbeitete damals im Auftrag des Dresdener Kunst-
vereins an dem Stich, der als Vereinsblatt für das Jahr
1846 ausgegeben wurde. 4. Bernhard Neher (1806 bis
1891) kann damals nur vorübergehend in Weimar ge-
wesen sein, da er seit 1841 an der Malerakademie zu
Leipzig als Direktor wirkte. Friedrich Preller (1804 bis
1878), der bekannte Maler der Odyssee. Gustav Adolf
Schöll (1805—1882), Professor der Archäologie, seit
1843 Direktor der großherzoglichen Kunstsammlungen,
der sich um das künstlerische Leben Weimars große Ver-
dienste erwarb. — Die Idee des Künstlerfestes auf der
Wartburg scheint nie zur Ausführung gelangt zu sein.
5. Schwind baute sich damals in Frankfurt das heute
noch stehende Haus in der Bockenheimer Anlage Nr. 3.
6. Das Herder-Denkmal von Schalter wurde im Jahre
1850 enthüllt. f6W
c7>er Dichter.
Von Hermann Hesse.
Es wird erzählt, daß der chinesische Dichter Han Fook
in seiner Jugend von einem wunderbaren Drang beseelt
war, alles zu lernen und sich in allem zu vervollkommnen,
was zur Dichtkunst irgend gehört. Er war damals, da
er noch in seiner Heimat am Gelben Flusse lebte, auf
seinen Wunsch und mit Hilfe seiner Eltern, die ihn zärt-
lich liebten, mit einem Fräulein aus gutem Hause ver-
lobt worden, und die Hochzeit sollte nun bald auf einen
glückverheißenden Tag festgesetzt werden. Han Fook
war damals etwa 20 Jahre alt und ein hübscher Jüng-
ling, bescheiden und von angenehmen Umgangsformen,
in den Wissenschaften unterrichtet und trotz seiner Jugend
schon durch manche vorzügliche Gedichte unter den
Literaten seiner Heimat bekannt. Ohne gerade reich zu
sein, hatte er doch ein auskömmliches Vermögen zu er-
warten, das durch die Mitgift seiner Braut noch erhöht
wurde, und da diese Braut außerdem sehr schön und
tugendhaft war, schien an dem Glücke des Jünglings
durchaus nichts mehr zu fehlen. Dennoch war er nicht
ganz zufrieden, denn sein Herz war von dem Ehrgeiz er-
füllt, ein vollkommener Dichter zu werden.

Da geschah es an einem Abend, da ein Lampenfest
auf dem Flusse begangen wurde, daß Han Fook allein
am jenseitigen Ufer des Flusses wandelte. Er lehnte sich
an den Stamm eines Baumes, der sich über das Wasser
neigte, und sah im Spiegel des Flusses tausend Lichter
schwimmen und zittern, er sah auf den Booten und Flößen
Männer und Frauen und junge Mädchen einander be-
grüßen und in festlichen Gewändern wie schöne Blumen
glänzen, er hörte das schwache Gemurmel der beleuch-
teten Wasser, den Gesang der Sängerinnen, das Schwir-
ren der Zither und die süßen Töne der Flötenbläser,
und über dem allem sah er die bläuliche Nacht wie das
Gewölbe eines Tempels schweben. Den: Jünglinge
schlug das Herz, da er als einsamer Zuschauer, seiner
Laune folgend, alle diese Schönheit betrachtete. Aber
so sehr ihn verlangte, hinüberzugehen und dabei zu sein
und in der Nähe seiner Braut und seiner Freunde
das Fest zu genießen, so begehrte er dennoch weit sehn-
licher, dies alles als ein feiner Zuschauer aufzunehmen
und in einem ganz vollkommenen Gedichte wider-
zuspiegeln: die Bläue der Nacht und das Lichterspiel
des Wassers sowohl wie die Lust der Festgäste und die
Sehnsucht des stillen Zuschauers, der am Stamm des
Baumes über dem Ufer lehnt. Er empfand, daß ihm bei
allen Festen und aller Lust dieser Erde doch niemals
ganz und gar wohl und heiter ums Herz sein könnte,
daß er auch inmitten des Lebens ein Einsamer und ge-
wissermaßen ein Zuschauer und Fremdling bleiben würde,
und er empfand, daß seine Seele unter vielen anderen
allein so beschaffen sei, daß er zugleich die Schönheit
der Erde und das heimliche Verlangen des Fremdlings
fühlen mußte. Darüber wurde er traurig und sann dieser
Sache nach, und das Ziel seiner Gedanken war dieses,
daß ihm ein wahres Glück und eine tiefe Sättigung nur
dann zuteil werden könnte, wenn es ihm einmal gelänge,
die Welt so vollkommen in Gedichten zu spiegeln, daß
er in diesen Spiegelbildern die Welt selbst geläutert
und verewigt besäße.
Kaum wußte Han Fook, ob er noch wache oder ein-
geschlummert sei, als er ein leises Geräusch vernahm
und neben dem Baumstamm einen Unbekannten stehen
sah, einen alten Mann in einem violetten Gewände
und mit ehrwürdigen Mienen. Er richtete sich auf und
begrüßte ihn mit dem Gruß, der den Greisen und Vor-
nehmen zukommt, der Fremde aber lächelte und sprach
einige Verse, in denen war alles, was der junge Mann
soeben empfunden hatte, so vollkommen und schön
und nach den Regeln der großen Dichter ausgedrückt,
daß dem Jüngling vor Staunen das Herz stillstand.
„O, wer bist du," rief er, indem er sich tief verneigte,
„der du in meine Seele sehen kannst und schönere Verse
sprichst, als ich je von allen meinen Lehrern vernommen
habe?"
Der Fremde lächelte abermals mit dem Lächeln
der Vollendeten und sagte: „Wenn du ein Dichter werden
willst, so komm zu mir. Du findest meine Hütte bei der
O.uelle des großen Flusses in den nordwestlichen Bergen.
Mein Name ist Meister des vollkommenen Wortes."
Damit trat der alte Mann in den schmalen Schatten
des Baumes und war alsbald verschwunden, und Han
Fook, der ihn vergebens suchte und keine Spur von ihm

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