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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 2
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Fuhrmann, H. E.: Drei Gedichte
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Joest, Elisabeth: Herbststürme
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Zoff, Otto: Rückblick auf den Naturalismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0079

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Drei Gedichte von H. E. Fuhrmann.

Am Horizont ist grad
der Mond geborgen,
und wie mit Harfen naht
sich nun der Morgen.
Von allen Dingen heben
sich Schleier ab,
flatternde Nebel streben
zum Tal hinab.


erbststürme.
Von Elisabeth Joest.

Schon tritt die rötliche Silhouette des Herbstes
in den östlichen Himmel und bekommt einen großen
blutigen Schatten, wie ein Feuerreiter. Die Flüsse und
Seen trauern, die Wälder klingen, die zarten gepflegten
Gärten sind verwüstet. Wo man schreitet, rauscht ein
gelber Blätterteppich auf. Die jungen Winde, die noch
nicht stark genug waren, dem großen Fernflug des
Sommers zu folgen, erstarken nun in der eisigen Faust
des Herbstes. Er schleudert sie stürmisch in die tod-
geweihte Landschaft.
Die ruhenden Parke und Hellen Wiesen, die laub-
übersponnenen Pavillons nehmen nun nicht mehr die
Schritte der Liebenden in ihrer grünen Dämmerung auf.
Andere Gestalten wandeln durch die Alleen. Sie kommen
einzeln, trotzdem sie derselbe unendliche Schinerz ver-
eint. Sie kommen mit weißen stillen Händen, die er-
mattet sind von den Gebeten und leidvollen Bewegungen,
die der Herbststurm über sie gebracht hat. Sie kommen in
schwarzen Gewändern, mit geneigten Stirnen und armen
blindgeweinten Augen. Sie sind sich so ähnlich, alle diese
Gestalten, man müßte sie mit einer unendlichen, großen,
liebevollen Gebärde umarmen. Man müßte Worte für
sie finden, daß sie einzeln aus ihrer Erstarrung tauchen,
und daß sie alle den Mut und die Tapferkeit empfinden
könnten, die im Herzen derer wohnten, die man ihnen
geraubt hat. Aber sie sind noch nicht erwacht, sie sind
noch nicht der tröstenden Stimme zugänglich, die sanft
ihr Ohr sucht. Sie schreiten noch wie Statuen durch die
Alleen und ringen mit der Gerechtigkeit, die für ihren
liebenden Egoismus gestorben zu sein scheint. Tausend
Dinge zerreißen noch ihr Herz, weil sie schon verloren,
ehe sie den Besitz empfanden . . .
Es kommen hellgekleidete Kinder an ihnen vorbei.
Ihre Sümmchen singen im Wind, ihre kleinen Schritte
hallen so grausam im Ohr der Trauernden, deren eigene
Kleinen verwaist in den Tag jubeln.
Aber es wird dunkler, das Wasser rauscht deutlicher,
durch die Stille ermutigt. Der Himmel wird grau und
regenschwer, als beweine er die ungeheuren Verluste, die
der Herbststurm niedergemäht hat. Die Sonne ist unter-
gegangen — man hat sie kaum empfunden —, wo sie
war, starrt eine häßliche Lücke, in die sich allmählich
fliegende Wolken schieben. Einsame Pfade laufen an
den Ufern entlang — wie sie weiß und endlos sind . . .
Ihre Linien verschlingen sich in der Ferne, vielleicht
münden sie in die große Heerstraße und sehen die blutigen
Kämpfe unserer Lieben, vielleicht ist das Abendrot über

ihnen röter wie in unserer trauernden Stadt, vielleicht
betten sie einen hingesunkenen Helden in ihre weißen
heimatlichen Arme . . .
Wie das Wasser rauscht, man hört es steigen, eine
leise Furcht jagt in die Kehle. Die Ströme sind so ent-
völkert in diesen Tagen. Brücken verbinden die Ufer, die
kleinen Dörfchen liegen ängstlich mit ihren grauen
Schieferdächern da und lauschen.
Und nun ist die Nacht hereingebrochen. Kein Stern
blüht auf, nur der Mond hängt wie eine durcbsichtige
goldene Ampel in der blauschwarzen Luft über dem
Strom. Seine scheuen dünnen Strahlen sind ans Ufer-
geflüchtet, wo die Bänke schmal und gewölbt wie Sicheln
aus dem Dunkel auftauchen. Der Rasen liegt ausge-
breitet wie ein schwarzes Tuch, und auf ihm sitzen die
rundbeschnittenen Iierbüsche wie seltsame Riesenigel.
Von einem alten Schloßgemäuer tropft hängendes Ge-
sträuch herab in die Landschaft des Friedens. Aber sie
hat zwei Antlitze, diese Landschaft, trotzdem sie von den-
selben Gestirnen regiert wird. Es ist wunderbar und
grausam und schrecklich, daß ihre Augen sich hier betaut
und schlummernd schließen, um sich über einer anderen
fremden Stadt unheilvoll und verderbenbringend zu
öffnen . . .
Dies ist der Krieg! Aus Laune hat er vielleicht diese
Stadt verschont. Ihre blaue Herbsiluft ist rot und
rauchend in der unglücklichen Schwesterstadt, die fern
und weit und unbekannt von ihr liegt.
Die Tanzmelodien der Blätter klingen durch die ver-
lassene Allee. Es gibt Bäume, die in diesem Frühling
nicht geblüht und in diesem Sommer keinen Schatten
auf die Erde gezeichnet haben. Darum hat der Herbst
ihrem Sterben keine Lieder gedichtet, wie den Bäumen
in dieser Stadt. Wie unendlich traurig müssen die Ge-
stirne sein, die über diese Gegenden wandern.
Aber die Dunkelheit hat einen Kreis beschrieben, und
nun ist es Nacht. Die Landschaft gleicht einem atmenden
Mund, der im Schlaf traumhafte Worte spricht. Die
Ampel des Mondes ist hinter einer schwarzen Wolke er-
loschen. Es gibt keinen Himmel, der die Erde beschirmt.
Es ist in dieser Nacht nur eine Welt da, und sie ist rund
und dreht sich . . .
Gegen Morgen rauscht der Strom lauter. Ein
schwaches Licht singt auf seinem Rücken, und in der Ferne
rötet sich der Horizont. Ist es der Widerschein des Feuer-
reiters, der uns näher rückt? Ist es das Lächeln eines
jungen Morgenrots, oder der erste Hauch einer neuen
Zeit, die aus der Tiefe brechen will? . . .
O^ückblick auf den Naturalismus.
Jetzt, da der Naturalismus allseits abzuflauen be-
gonnen hat und eigentlich nur mehr in den noch über-
lebenden großen Repräsentanten seiner Blütezeit wirk-
sam ist, jetzt ist es nicht mehr notwendig, Betrachtungen
über seine Äußerungen, seine Vertreter, seine Wirkungen
anzustellen. Die Erscheinung des Naturalismus ist nie-
mandem mehr ein Problem. Nun handelt es sich, gleich-
sam in einem Epilog, sein Wesen, den Urgrund seiner

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