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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 9
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Fontana, Oskar Maurus: Die Stadt
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0315

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ie Stadt.
Von Oskar Maurus Fontana.
bDer Student Kaspar war seit drei Tagen in der Stadt,
zum erstenmal. Er hatte ein Zimmer, hoch oben, dessen
Fenster in den Lichthof gingen und die nichts von der
kleinen engen Gasse, in der das Haus lag, sehen ließen.
Darüber war Kaspar zuerst ganz erschrocken gewesen, als
er hinuntersah und nichts vor sich hatte als einen toten
abgedeckten Hof, der wie ein Grabgewölbe still und grau
war. Er mußte daran denken, daß gleich dahinter die
Gasse war, in der er den Schuster die Schuhe klopfen,
den Fleischer das Fleisch hacken, den Kohlenmann die
Kohle tragen, Kinder laufen hatte sehen. Und gleich da-
hinter war die Straße, wo die Wagen knarrten, die Elek-
trische fuhr, als schnitte sie die Luft durch, die Menschen
eilten und sich stießen, Auslagen einen anstarrten wie
glühende und böse Augen und Haus neben Haus empor-
ragte. Aber gleich hinter dieser Straße war wieder eine,
noch eine, eine, eine und hundert andere, betäubend und
riesengroß. Nun starrte Kaspar hinunter in den Lichthof,
und es war ihm fast so, als säße er unter der Weide am
Bach, dort wo er sich ein wenig staute und wo man im
Sommer badete und wo es so traurig stille war wie in
diesem Hofe. Und Kaspar wunderte sich, denn er wußte
doch, hinter dem andern Ufer des Baches und seinem
vielen graugrünen Gebüsch war die lange Straße, die
irgendwoher gelaufen kam und irgendwohin lief, auf
der zur bestimmten Zeit im Tage die Ziegelwagen
fuhren, manchmal auch der Baumeister mit seiner zwei-
sitzigen Kalesche und Sonntag die Automobile. Kaspar
wußte das, alle Leute im Dorfe wußten das und er mit
allen wußte, daß es darum unter der Weide am Bach so
stille sein mußte. Hier aber, hier war doch die Gasse, die
Straße, die Straßen, hier waren doch Fuhrwerke, Ge-
läute, Gerufe, Gestampfe, Gelärme, alles hinter diesem
Lichthof, der ruhig und unberührt nicht Schall noch Ton
wiedergab. Wie kam das nur und wer machte diesen Hof
so gespenstisch leer und unergründlich schweigend, wer
schluckte all das Gebrause auf, das tausendfältig die Stadt
durchwirrte? Irgendwohin mußte das doch kommen. Er
fragte sich das immer und sah sich um und sah nichts als
aufsteigende, zusammenrückende Wände und Mauern, die,
wenn man näher hinsah, seltsame, dämonische Fratzen und
Figuren trugen, eingezeichnet und eingekerbt von Sprün-
gen im Mauerwerk, vom Regen, vom Wind, vom Staub,
vom Nuß. Und Kaspar dachte, also die sind es, die alles
aufsaugen und die Stadt, die wie Regen doch gegen
meine Fenster schlagen sollte, eintrocknen. Und er lachte.
Doch seines Lachens wurde er nicht froh. Immer wieder
sagte er sich das vor: Jeden Ziegelwagen, der dort auf
der Straße hinrumpelt, höre ich unter der Weide am
Bach, hierher aber dringt nichts, kein Laut, keine Stimme,
kein Geräusch, kein Lärm, wiewohl das und noch mehr
hinter diesen Mauern ist. Wie kommt das nur? Und er
folgerte weiter: Wem gehören diese Wände und Mauern?
Er mußte fast lächeln, so einfach und selbstverständlich
war ihm die Antwort: Sie gehören Häusern. Aber er
hielt nicht still: Und was steht in der Gasse? Zwischen mir
und der Gasse? Dumpf sagte er sich vor: Häuser. Immer

wieder: Häuser, als ob er nun auf eine Pforte gestoßen
wäre, eisenbeschlagen und mächtig und ohne Schloß und
die sich dem Öffnen widersetzte. Er stemmte sich dagegen,
dann stand er wieder sinnend da und meinte leise:
Warum? Was ist das? Häuser? Dann riß er den Hut
vom Nagel und lief hinaus und hinunter und ließ sich
vom Lärm tragen wie von einem Bach.
* *
Am nächsten Tag ging er dann in die Umversität.
Es war noch zeitlich in der Früh, Leute schossen hin und
her, denen der Schlaf noch nicht abgeflogen war, Mädchen
mit Schirmen und Handtäschchen, junge Burschen, den
Kragen aufgestellt, würdig aussehende alte Herren, den
Blick gesenkt. Aber hinter allen war irgendein Treibendes,
das sie so aus ihrem Schlaf riß, in den kalten Nebel hinaus-
peitschte, ihnen das eigene Leben abnahm und sie zu ver-
streuten, durcheinandergerüttelten Teilchen eines riesigen
und unverständlichen Ganzen machte. Mächtige Tore
spieen die Menschen aus, mächtige Tore schlangen die-
selben Menschen wieder ein. Andere Menschen wieder
rannten noch mit diesem verstörten, aber zielgewissen
Blick, den alle hatten, in den Straßen unher, als hätten
sie sich um eine Straße verirrt und als würden sie gleich
ihren Ort, ihre Bestimmung finden. Wie Schatten,
dachte Kaspar, wie Puppen, und richtete unwillkürlich
das Auge ringsum, als wolle er den Hintergrund, die
Kulissen dieses Schauspiels betrachten. Es gab ihm
einen Riß, als er nun dies alles, Häuser, Fassaden,
Fenster, Tore, Türen aufrecht und unbeweglich dastehen
sah, ohne Teil an den: Ganzen, wie Wächter, wie Zu-
schauer und wie Tote, deren Lippen seltsam spöttisch
verkniffen waren, als hätten sie gerade etwas Lustiges,
Boshaftes und Erlösendes sagen wollen, der Tod aber
hätte ihre Zähne zusammengeschlagen und den Worten
Zunge und Atem genommen. Warum schweigen diese
Häuser so, warum sehen sie so, als wären sie nicht die
Freunde, die Blutsverwandten dieser Menschen, ihrer
Inwohner? Warum sind alle Fenster so fest verriegelt,
kaum eines ist noch osfen, und warum haben die Tore
nur einen Flügel offen, der andere aber ist zu? All
dies ist, als gälte es hier etwas zu verbergen, zu ver-
decken, zu verheimlichen, als wären alle diese hoch-
geschichteten Steine und Ziegel und eingelegten Hölzer
die Herren dieser Stadt, ihre Menschen aber nur die
Sklaven. Und darum also würden die Herumjagen,
die Häuser aber stillestehen? Oder wie war das?
Doch dann warf Kaspar seinen breiten, fast vier-
eckigen Kopf zurück, und in seiner ganzen jungen Kraft
jubelte er vor sich hin: Dies alles wird mir gehören, ich
werde wissen, werde verstehen und werde Herr sein über
die ganze Stadt. Und er erinnerte sich glückselig und
fiebernd, wie er all die langen Nächte über aufgeschlage-
nen Büchern gesessen, geschrieben, gerechnet und geseufzt
hatte — der Kopf wollte so wenig fassen — und wie er
es doch gezwungen hatte, allen Hindernissen, allem Spott
zum Trotze, er, der Vierundzwanzigjährige. Wozu
wäre das gut gewesen, dieser Trieb, der ihn plötzlich
mitten aus dem Landleben auf Vaters Hofe zu den
Büchern getrieben hatte, wozu denn anders, als daß ihm
einmal diese Welt, die ihm heute noch fremd war, ge-
hören sollte, ganz gehören sollte! Man mußte nur um


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