Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

DOI Heft:
Heft 5
DOI Artikel:
Mahrholz, Werner: Emil Strauß
DOI Artikel:
Münzel, Gustav: Der Gang
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0179

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Emil Strauß.

schönste Novelle Strauß? enthält, „Der Laufen". In
dieser^Novelle"wird ein junger Mensch vom Leichtsinn
seiner Jugendldurch das Mysterium von Liebe und Tod
erschütternd fortgerissen, und hier, wie immer bei
Strauß, ist der Held am Ende verwandelt, geläutert,
tiefer und menschlicher geworden. Das gleiche gilt
von der Novelle „Vorspiel", in der wieder die Tapfer-
keit des Dichters einen Triumph des Lebens über die
finsteren Mächte feiert. Ein ungewollter Mord bringt
zwei Menschen zur Erkenntnis ihrer Liebe und zu so
hoher Einsicht: „Im Mittelalter mauerte man in den
Grundstein der Münster etwas Lebendes ein. Auch wir
haben etwas Lebendes im Fundamente liegen; wir
werden etwas Gutes und Tüchtiges aus uns machen
müssen! Wir werden einen schönen Turm bauen müssen
auf diesem Fundamente, damit wir hoch darüber wohnen
und weit darüber Hinwegschauen können" (S. 177).
IV.
Mit dem letzten Werke, „Der nackte Mann", begibt
sich Strauß auf ein neues Gebiet: er versucht eine größere
Form zu bilden, weitgreifendere Konflikte zu erfassen im
historischen Roman, und bei diesen! Unternehmen zeigen
sich die Grenzen seiner Begabung. Er wählt einen Stoff
aus der Geschichte seiner Vaterstadt Pforzheim, er
schildert Pforzheim, seine Bürger, seine Lage — aber
das Historische bleibt bloße Dekoration, der Konflikt
zwischen dem Herzog und der Stadt (es handelt sich
darum, daß der Herzog die lutherische Stadt zum refor-
mierten Bekenntnis zwingen will) ist für uns moderne
Menschen nur mehr mit dem Verstände zu ergreifen,
wirkt also dichterisch nicht unmittelbar. Alles Schöne
in dem Buche liegt im Episodischen, alle Schwächen
in der Komposition und im ewigen Zerbrechen der
großen Linie. Schon das fortwährende Schwanken
zwischen den drei Hauptpersonen: dem Apotheker,
den: Herzog und dem Hauptmann, ist auf die Dauer
unerträglich. Man hat das Gefühl, daß der Dichter
mit seinem Stoff nicht fertig geworden ist und daß daher
auch die Formfrage nicht gelöst werden konnte. Zum
ersten Male vernachlässigt der Dichter die seelische Ent-
wicklung zugunsten von Äußerlichkeiten und das rächt
sich bei einem Dichter, der so sehr auf Darstellung see-
lischer Entwicklungen gestellt ist. So lassen wir diesen
Nebenweg im Lebensgange des Dichters Strauß beiseite
und wenden uns zu einer zusammenfassenden Dar-
stellung seines Wesens und Wirkens. Mit den besten
Kräften seiner Seele im Heimatlichen wurzelnd, ist
Strauß durch Welterfahrung und Auslandsreise dem
Eng-Stammestümlichen entwachsen und auf die eigent-
lichen dichterischen Werte, auf die Seele und ihre Ent-
wicklung gestoßen. Stille, einfache,- schlichte Menschen
und ihre Entwicklung zum höheren Leben der Seele hat
er uns mit hoher Vernunft und Kunst, mit reifer Emp-
findung und in edler Sprache dargestellt. Diese seelischen
Entwicklungen sind sein eigenstes Gebiet, den großen
Kämpfen der Zeit und der Ideen steht er fern, aber da,
wo die sittliche Idee ins Einzelmenschliche hinabsteigt, wo
die einfachen, schlichten und unaufdringlichen Berüh-
rungen mit den Mysterien von Tod und Sünde, von
Lebensfreude und Verzweiflung stattfinden, da wurzeln

seine Helden und ihre Schicksale, da ist der Punkt des
Lebens, an dem des Dichters Menschlichkeit und Künstler-
wesen eins wird und in Schicksalen und Charakteren, in
seelischen Bewegungen ausströmt. f623)
I)r. Werner Mahrholz.
er Gang.
Von Gustav Münzel.
Der Gang war lang, leer und hallend. Seine
flachen Gewölbe waren weiß getüncht wie der obere
Teil der Wände, unten hatten diese eine Verkleidung
von schwärzlich braunen! Holz. Eine Treppe führte zu
ihm hinauf mit breiten ausgetretenen Stufen und
schwerem Gelander. Ihr Holzwerk nahm noch ein großes
Stück von der einen Seite des Ganges ein, dann schlossen
sich eine Reihe von Fenstern an, die in einen sehr stillen
Hof blicken ließen. Die andere Seite des Ganges hatte
mehrere Türen, die in einzelne, nicht miteinander in
Verbindung stehende Zimmer führten.
In diesen Zimmern hausten die alten Frauen, denen
das Geschick diesen Hafen in dem Altweiberhause bereitet
hatte. Keine der sechs Frauen, die an diesem Gange
wohnten, war unter siebzig Jahren. Sie hatten die
verschiedensten Schicksale, ehe sie an diesem Ort zu-
sammengekommen waren. Nur die Minderzahl war ver-
heiratet gewesen, vier waren noch Jungfrauen. Unter
den Witwen war die älteste des Kreises die.dreiund-
neunzigjährige Frau Wibarius. Über ihrem Sofa hing
in der Mitte unter Glas und Rahmen ihr Myrtenkranz,
an der linken Seite der Kranz von Silberlaub, das Er-
innerungszeichen fünfundzwanzigjähriger Ehe. Die
rechte Seite war leer, zwei Jahre hätte der Tod an Herrn
Wibarius noch vorübergehen müssen und als Gegen-
stück des silbernen hätte sich ein goldener Kranz den Blicken
dargeboten. Das Andenken des Verstorbenen hielt Frau
Wibarius in hohen Ehren. Stets, wenn das Wetter-
Heizung erlaubte, entfachte sie ein heiliges Feuer der
Erinnerung, dann schmorten und dampften in der Ofen-
röhre gebratene Äpfel, die Lieblingsspeise des verstor-
benen Gatten. Was von ihren! Gehör und Gesicht übrig
geblieben war, benutzte sie, um alle Vorgänge des Hauses
zu beobachten und in scharfen!, aber gerechtem Urteil
zu ihnen Stellung zu nehmen. Deshalb war es nötig,
daß ihre Zimmertüre stets ein wenig offen blieb. Das
Haus hatte früher einmal ein Verwalter gehabt, der
gern seine Einfälle zum besten gab, und der hatte für
Frau Wibarius einen Namen erfunden. Er nannte sie,
die älteste ihrer Genossinnen, die Vorsteherin des
Liebesbundes.
Ihre Zimmernachbarin, die, wie alle Unverheirateten,
kurzweg mit dem Vornamen gerufen wurde, war Fräu-
lein Johanna, am Anfang der achtziger Jahre stehend.
Sie war nicht fest auf der Brust, sie hustete häufig vor
sich hin mit einem schwachen, trockenen Husten, und ihre
Hauptsorge war, ihrem starken Wärmebedürfnis Genüge
zu tun. Bettflaschen und Petrolcumöfchen dienten ihr
auch in der milderen Jahreszeit.
Während sitz sich dieser Neigung wegen meistens im
Zimmer aufhielt, sah man Fräulein Josephine öfters
!S7
 
Annotationen