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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 7/8
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Fries, Heinrich de: Der Schatten des Krieges über der Kunst
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Klein, Rudolf: Die Kunst der Unterhaltung und des Lebens
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0288

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Der Schatten des Krieges über der Kunst.

den Formen, die sie hervorbrachten. Das wirtschaftliche
Schwergewicht der Tatsache, daß nun schon im zweiten
Jahre für Produkte der Kunst kaum ein Markt, eine Nach-
frage, ein Bedarf vorhanden ist, wird auf die so viel und
mit so viel Recht angefeindeten Ausdrucksformen der
Kunst von heilsamem Einfluß sein. Denn dies Fehlendes
Marktes verhindert all das aufdringliche reklamenhafte
Gebaren der Halbkönner, macht das gegenseitige Über-
schreien, die Sucht, sich im Neuesten zu überbieten, nicht
mehr zur scheinbaren Notwendigkeit, und ebnet, im Fort-
falle dieses Mißlichen und Entwürdigenden, vielleicht
den rastlos und ehrlich Ringenden ein wenig den Weg,
dessen unser aller nächste Zukunft so sehr bedarf. Auch sie
suchen neue Wege zu einer neuen Schönheit, einer
neuen Zeit, aber nur nicht in der geschäftsmäßigen Aus-
nutzung einer günstigen Konjunktur, sondern im ernsten
und schweren Schaffen innerer Notwendigkeit. Ihnen
wäre es wohl zu wünschen, daß Kritik und Publikum sich
daran gewöhnten, die geistige Absicht, die seelische Lei-
stung, in Werken der Kunst stärker zu werten, als die
Methode der Darstellung, die diesen inneren Wert äußer-
lich sinnfällig macht. Die Art der Darstellung ist immer
nur Mittel, niemals Zweck der Kunst. Und von dieser
Erkenntnis aus berührt es oft seltsam, zu sehen, mit
welcher Mühe die impressionistische, oder expressionistische
oder sonstwie.istische Richtung dieses oder jenes
Künstlers festzulegen die Kritik sich bemüht. Was wird
z. B. allein unter der Marke des Expressionismus nicht
alles unter einen Hut gebracht. Künstler erhalten den
gleichen Stempel, die nicht der entfernte Hauch einer
Wesensähnlichkeit irgendwie verbindet. Anderseits wer-
den wieder Werke irgendeines Bedeutenden auf ihren
Gehalt an Expressionismus untersucht, nur um in ihnen
das Bestehen und den Wert des Expressionismus über-
haupt nachweisen zu können. Der innere Gehalt eines
Kunstwerkes ist entscheidend, nicht seine Manier. Mag
diese Manier dem Ausdruck des inneren Gehalts
auch mehr oder weniger entsprechen, sie darf nicht
zum Hauptwert, niemals zum Selbstzweck werden.
Die große innere Leere, die Unmöglichkeit, mit ihnen
zusammen zu leben, sie längere Zeit um sich zu
haben, charakterisiert allzuviel Werke der jüngsten Ver-
gangenheit.
Wir brauchen allzuviel vom Gegenteil, um so mehr,
je stärker uns Sinne und Ziele dieses ungeheuren Krieges
für unsere Nation klarer werden. Nicht nur, daß einem
Frieden nach diesen jahrelangen äußersten Anstrengungen
der Wunsch nach Ruhe, nach innerem Halt, nach Werten,
die nicht unter den Händen zerfließen, eine nie geahnte
Intensität verleihen wird, und damit der Kunst vielleicht
einen Platz anweisen wird, der ihr eine neue Würde und
einen neuen Wert verleiht. Sondern noch höher und
wertvoller wird ihre Aufgabe sein, wie es ein Wort
Fr. Nietzsches im Sinne der Gegenwart zum Ausdruck
bringt: „Ehrwürdig und heilbringend wird der Deutsche
erst dann den andern Nationen erscheinen, wenn er
gezeigt hat, daß er furchtbar ist, und es doch durch
Anspannung seiner höchsten und edelsten Kunst und
Kulturkräfte vergessen machen will, daß er furchtbar
war." f636j>
H. de Fries.

ie Kunst der Unterhaltung
und des Lesens.
Mehrfach ist mit Recht auf das Abnehmen der
Fähigkeit und des Interesses guter Unterhaltung hin-
gewiesen worden und man glaubte den Grund wie für
so manches andere in der Unruhe der Entwicklung des
modernen Gesellschaftslebens, zumal der Großstadt-
gepflogenheiten, zu erkennen, in deren Tempo keiner
mehr Zeit und wirkliche Anteilnahme für den anderen
habe, der eine um den anderen nicht mehr wisse, deshalb
gar nicht in der Lage sei, sich auf ihn einzustellen, um
seinem Besten einen Zugang zu bieten; höchstens das
Bedürfnis spüre, bei einem vorübergehenden Aneinander-
schwirren seinen eigenen Inhalt gleich dem eines Müll-
korbes dem Gegenüber auf den Kopf zu entleeren.
Hieraus ergeben sich für jeden im Gegensatz die Vor-
bedingungen einer guten, d. h. befruchtenden und somit
beruhigenden beglückenden Unterhaltung: absolutes Zu-
sammenstimmen eines Kreises gleich den Instrumenten
eines von Meisterband geleiteten Orchesters, in dem
jedes auf deren Wink hin den Ton zur allgemeinen
Harmonie beigibt und Ursache der Auslösung des anderen
wird, den es wie zur eigenen Sättigung aufnimmt, um
an geeigneter Stelle ihn wiederum vermehrt und ge-
stärkt weiterzugeben.
Dieses Bild von den Instrumenten auf die Teilnehmer
als Elemente einer Unterhaltung zurückübertragen würde
Voraussetzungen bedingen, die heute kaum noch erfüllbar
scheinen: d. h. eine solche aus Familie, Stamm, Blut,
Rasse, Religionen sich ergebende Verwandtschaft des
Denkens, Fühlens und Wollens, die zur Heraufbringung
und Durchführung des Themas als wesentlichstes Agens
nicht den Drang des Redens, vielmehr die Fähigkeit des
Schweigens mit sich bringt, in dessen Intervallen einer
voll in dem anderen lebt, weil er als Träger gleicher
Ideen und gleicher Verantwortung ein Teil seines
Schicksals, sagen wir eines gemeinsamen Schicksals, auf
dessen vielverzweigtem Baume sie alle wuchsen und so,
ein jeder an seiner Stelle, ein notwendiges Glied der
Harmonie: das Ganze wächst hier in den Einzelnen ge-
meinsam und treten sie zusammen und einer schlägt aus
besonderem Drange und Überfluß den Ton an, so ist
es, als sei aus einem gemeinsamen inneren Kräftebecken
der Quell an einer Stelle an den Tag getreten und fühle
ein jeder sich im Innern davon belebt und schaue seinem
Wesensspiel zu, dessen Wirkung ihn befriedigt, so daß er
gar nicht das Bedürfnis fühlt, in Aktion zu treten, weil
er sich selbst in leichter Variation hört und diese ihn an-
regt, bereichert, fruchtbar stimmt; für ihn im Augenblick
nichts wertvoller und wichtiger ist als zu schweigen und
dem eigenen Inneren zu lauschen, was darin vorgehe,
bis es in der Reihe an ihn kommt, das Seine wieder
beizusteuern wie eine lange gepflegte heimliche Gabe zur
allgemeinen Freude auf den Festtisch, von dem die Ge-
sellschaft sich dann beruhigt und gestärkt erhebt mit dem
sicheren Gefühl der inneren eigenen Einheit wie der
höheren allgemeinen Gesetzmäßigkeit des Daseins, in
deren Harmonie solch ein Kreis schwingt und ihrer
Wesentlichkeit zum sichtbaren Ausdruck verhilft: und


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