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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 1
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Walter, Robert: Drei Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0044

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Drei Gedichte von Robert Walter.

Sturmruf heult in die Lüfte,
aufspringt der Hölle Schein.
Dunstatem offener Grüfte
molkt die Lebendigen ein."
Es geht das Lied im Wandern
mit schreckender Trommeln Schrei,
drängt einer an den andern
und schließt sich Reih an Reih.
O Bruder mir zur Rechten
mit aufgerissener Stirn,
ich sah in Sterbensnächten
dein Blut und rinnend Hirn.
Ach Bruder du zur Linken,
wehr dem Gespenstertrug!
ich fühl mich untersinken
im grauen Schattenzug.
„Wir waren schon erschlagen,
uns weckt die harte Not.
Wir müssen Feuer tragen
und schleppen all den Tod.
Der Tod will breite Bahnen,
bis er den Sieg uns wirbt.
Wir ziehn mit schwarzen Fahnen,
daß Deutschland nicht verdirbt."

Nachtgesang an einen Flieger.
Spann deine Flügel in der Sterne Aufgang.
Der Erde schwere Faust löst sich dir ab.
Hoch wirbelt dich der Ost auf rasendem Rücken.
Dich fängt die Wage, Gottes Bild des Rechts,
mit schwingender Schale auf, du Feuerschleudrer.
Vom Urlicht eingewoben, schweigt Erinnern
dir über Zwietracht aus der schwarzen Tiefe.
Gottnähe drängt in deine Lungen. Erden
zielen zu dir empor vom Weltrand, blinkend.
Da fällt dein Funke in den Schacht. Aufreißt
die Finsternis vom grellen Blitz. Die Erde
bellt donnernd auf wie ein getroffen Tier.
Ich hör dein Lachen, Zürnender der Höhe,
bestellt zur Wacht am Himmel, deine Freude,
die höllisch hinfährt über brennende Stadt.
O Träumer Gottes, miß die düstern Kreise
nicht mehr an nächtlich spielenden Sternen aus.
Schluchten und Schlünde wurden deine Gnade.
Schau durch das schwarze Land in fernere Zukunft.
Feld ist dein Freund und Wald dein Lustgespiel.
Hier werden deine Enkel Furchen ziehn,
Saat werfen und die Pracht des Sommers binden,
der Sonne Kraft aus kühlen Äpfeln saugen,
nach Quellen graben und die Herden treiben.
Noch spürst du nichts vom Duft der Paradiese,
du Feuernder, die deine Kinder baun.
Hier wird Erinnerung an dich sich sonnen,
mit Abenden in milde Himmel fliegen, 1
den dunklen Bahnen nach, auf denen du
nun stille stehst, gebannt von steilen Sternen.

aS Auge.
Durch das Auge werden uns die sichtbaren Dinge der Welt
zuteil, und manche Menschen machen sie sich mit ihnen zu eigen.
Die Bildungen der Kunst aber, an denen nicht nur die Zeit und
ihre Kunstsumme mündet, hinter denen vielmehr das ganze Fleisch
und das ganze Blut eines Menschen steckt, sind darum auch mit
allen Sinnen zugleich wahrzunehmen. Es gibt Räume, die uns
im Ohr hängen, die mit Macht in unsere Gehörstrompete stoßen,
und Formen der Architektur, die sich zum Gefühl der Hände drängen,
Kurven von Leibern und Gliedern an Plastik, die uns in ganz
besonderer Akustik vom Himmel zurückschallen. — Übrigens zeigt
sich mit jenem Unterschied ein Bild der Natur in der Kunst. Es
gibt dieser Bilder noch mehr.
Die Entfernungen und Maßstäbe hat unser Auge im Blick: es
registriert, wo der Strahl der rechten Sonne sich mit dem der linken
trifft, und macht uns an dem Einfallswinkel Abstand und Größe
klar. Sie beide zusammen sehen auch stereoskopisch.
Auf seinem Regenbogen kommen alle Farben der Welt zu
uns, und unter dem feuchten Schimmer der Pupille blühen sie
tiefer auf, wie auf dem Grunde eines klaren Wassers. Erdfarben,
Wiesengrün, bunte Steine, herbstliches Blattgemäuer. Und be-
sonders groß und schön ist es am Tagende, wenn der Abend den
Marmor des Himmels mit Gold beschlägt, und das Feuer der
Bäume im schwimmenden Naß nicht ausgeht, sondern wie ein
Griechisches erst recht zu brennen anfängt.
Was spiegelt sich nicht alles in unserem Auge! Menschen
gehen in ihm auf; im Strom unseres Blicks ziehen Straßen, er
führt Straßenbahnwagen, draußen drehen sich Wälder gelb und
grün und Felder grün und gelb und weiße Straßen um ihn, und
stille Orte prallen an. Am Ende unseres Blicks stehen Wolken.

Das ist das Bild der Natur, soweit der Augenbrauenbogen sie
umspannt, und sie hat den Charakter, in dem sie durch den Tor-
bogen unserer Augenhöhle scheint. Und es ist nicht gleich, ob ein
kleines oder ein hochgeschwungenes Fenster uns die Welt rahmt.
Jeweils ist sie auch im Charakter klein und groß. Übrigens kommt
es auch vor, daß die Aussicht kleiner ist, als das Fenster.
Vom Künstler erwarten wir ein ganz besonderes Augenwesen,
soll er uns doch seine Gesichte, d. h. die Natur sö geben, wie sie
sich in dem Gewölbe seiner Augen abspielt. Wir meinen, es müfse
sein wie ein Kristall, durch den das Leben Menschen, Begeben-
heiten und Farben wirft, die sich dann auf der andern Seite als
klar geordnete ästhetische Vorstellungen von gereihter Buntheit,
wie im Spektrum, zeigen. Sie sehen, möchte man sagen, von
der Welt einen neuen Abschnitt und einen andern als wir. Vielfach
sind ihre Augen darum auch so gestellt, daß man sehen muß, für
sie spielt sich alles auf einem sphärischen Dreieck ab, nicht in der
uns gewohnten Ebene. „Mit der Spannung des Genies" sieht dem
das Auge im Selbstporträt des dreizehnjährigen Dürer schon ent-
gegen. Seine Augen im Jdealporträt sind dann schon ganz voll
Natur, und Tausende können heute noch jeder für sich jahrelang
und vielleicht ein Leben lang von dieser Summe nehmen. Wie
mächtig sie darin liegt und so garnicht oberflächlich, und wie es
beschattet wird von Erfahrungen des Gefühls! Seine Augen stehen
gegen eine Welt, mit der sie um ihre Ewigkeitszüge ringen, um die
Erkenntnis der ursprünglichen göttlichen Proportionen aller Wesen-
heit von Inhalt und Form, der Proportion aller Maße.
Aber wir alle haben den Kosmos in unfern Augen. Siehe da!
und siehe: Ihre Linie bildet das Zeichen«- (das Symbol der Un-
endlichkeit), und mit den Pupillen als Brennpunkten ergibt das
Paar eine Kurve, nach der Planeten gehen.
M.g.


Verantwortlich: Wilhelm Sckäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Gedruckt mit Farben der CH. Hostmann - Steinbergschen Farbenfabriken, G. m. b. H., Celle (Hannover).
Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Rh. erbeten.
Für unverlangte Manuskripte und Rezensionsexemplare wird keine Verpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegen.
 
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