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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 5
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Schäfer, Wilhelm: Das Lachkabinett
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0186

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as Lachkabinett".
Der Zufall, daß in derselben Nummer eine Kritik
meines letzten Buches stand, brachte mir neulich ein rhein-
ländisches Blatt von lokaler Bedeutung ins Haus, darin
ein Ausstellungsbericht nut folgendem Satz anhob:
„Auch diese Ausstellung hat wieder ihr Lachkabinett."
Da ich weder den Schreiber kenne noch an dem betroffenen
Künstler anders als sachlich interessiert bin, hat es keinen
Zweck, Namen zu nennen; es würde meiner allgemeinen
Erörterung eines bösen Zustandes den Anschein einer
persönlichen Auseinandersetzung geben, zu der ich keinen
Anlaß habe. Immerhin darf ich sagen, daß der Künst-
ler, dem es im weiteren Verlauf der Besprechung „hoch
angerechnet" wird, daß er „mit solchen Harlekinaden
ein wenig Humor in die ernste Zeit" trüge, durchaus
kein firfertiger Jüngling ist, sondern eine von den wenigen
selbständig ringenden Existenzen der deutschen Künst-
lerschaft unserer Tage vorstellt.
Damit ist der Leser für diesen Fall zwar auf meine
eigene Ansicht angewiesen und nicht in der Lage, sie an
seinem Urteil nachzuprüfen; aber eben auf den Fall
kommt es mir nicht an, ich möchte dem Lachkabinett als
solchem zu Leibe gehen. Ich bin nämlich nicht mehr un-
erfahren genug, es als eine besondere Eigentümlichkeit
unserer Expressionisten wahrzunehmen, und es ist nun
schon ziemlich ein Vierteljahrhundert her, daß ich es
zum erstenmal erlebte. Damals galt es einer Ausstellung
von Hans Thoma, die in einer rheinländischen Kunst-
stadt dem Humor selbstzufriedener Kunstbürger unfrei-
willig diente. Er ist ja unterdessen Exzellenz und Galerie-
direktor und sozusagen Liebling des deutschen Volkes ge-
worden, das in ihm seine wesentlichen Ansprüche an
eine deutsche Kunst aufs glücklichste erfüllt sieht; und es
war damals durchaus nicht die ungebildete Masse,
sondern der engere Kreis der Gebildeten, denen er mit
Lachanfällen bcikam. Das ist, vorsichtig gesagt, eine
merkwürdige Wandlung künstlerischer Wirkung, und
ich brauche an dieser Stelle nicht auseinanderzusetzen,
daß sich nicht etwa der Maler seitdem „gemausert" und
sich dem Ernst seiner Zeitgenossen durch eine Besserung
in ihrem Sinn näher gebracht habe; seine Bilder sind
im ganzen die gleichen geblieben, nur das Publikum
verhält sich anders, es verehrt heute, wo es damals lachte.
Das ist freilich, wie inan so sagt, der Lauf der Welt,
aber gerade darum kann es uns allen gut sein, einmal
nach dem Warum dieser sonderbaren Erscheinung zu
fragen, daß dieselbe Sache dieselben Leute einmal zum
Lachen und das andere Mal zum Schwärmen reizt.
Der Grund kann natürlich nur darin liegen, daß dieselben
Leute irgendwie nicht mehr dieselben Leute sind; und
um den Vorgang klarer zu sehen, müßten wir zunächst
einmal wissen, warum sie damals lachten und warum
sie heute schwärmen, uni dann vielleicht einen logischen
Zusammenhang in dieser anscheinend willkürlichen Folge
zu finden.
Warum lacht inan über etwas, vielmehr: warum ist
einem ein Vorgang oder eine Erscheinung lächerlich?
* Die vorstehende Arbeit, vor einiger Zeit in der Frank-
furter Zeitung erschienen, brachte mir so viele Äußerungen ein,
daß ich derselben hier noch einmal Raum geben möchte. W. S.

Weil irgend etwas daran im Mißverhältnis zu der Norm
steht, die wir davon in unserer Vorstellung haben. Es
ist also eine Art Richterspruch, den das Gefühl des ein-
zelnen ebenso unwillkürlich wie selbstherrlich fällt, und
sein Gesetzbuch ist die Konvention der eigenen Anschauung
mit der Erfahrung. Wie lang und breit eine Nase im
Gesicht sein darf, darüber lassen sich trotz dem goldenen
Zirkel keine mathematischen Formeln aufstellen; das
Gefühl glaubt gleichwobl in den kleinsten Unterscheidungen
Bescheid zu wissen, beispielsweise: wie dieselbe Nase
in dem einen Gesicht durchaus am Platz und in dem
andern lächerlich ist. Wieweit freilich diese Sicherheit
einer vorgestellten Harmonie, daran der einzelne das
Mißverhältnis beurteilt, auf einer angeborenen Empfin-
dung für Ebenmaß beruht, oder wieweit sie das Ergebnis
unzähliger Erfahrungen, also der Gewohnheit ist:
darüber macht er sich keine Skrupel, weil er eben in der
stillschweigenden Übereinkunft seiner Empfindung und
seiner Erfahrungen steht.
Immerhin ist mir hierfür ein Erlebnis meiner Jugend
bis heute lehrreich geblieben: In den achtziger Jahren
war bekanntlich der „cnl äs ?g.ri8" (auf deutsch
Pariser Steiß) ein beherrschender Teil der Frauenmode;
nicht nur die „Dame", sondern jede Frau, die irgendwie
als angezogen gelten wollte, trug hinten ein Polsterkissen
mit sich herum, das ihrer Silhouette in der Seiten-
ansicht entschieden etwas von einem Huhn mit auf den
Weg gab und sie für unsere heutige Ansicht unsagbar-
lächerlich machte. Damals aber lachte keiner; im Gegen-
teil, der Pariser Steiß wurde eine Art Norm für die weib-
liche Erscheinung: jedenfalls sah ich als Knabe auf einer
Düsseldorfer Straße ein älteres Fräulein von einer Rotte
halbwüchsiger Jugend mit höhnischen: Geschrei verfolgt,
weil sie für deren Gefühl die Geschmacklosigkeit beging,
ohne diesen Steiß auf der Straße zu erscheinen. Sie
trug sich in: übrigen, dessen entsinne ich mich genau,
schlicht und vornehm in einem schwarzgrauen Schneider-
kleid, wie es seitdem in die Mode kam; und das Drolligste
an dieser Erinnerung für mich selber ist, daß ich das Fräu-
lein zwar bedauerte, so dem Gelächter preisgegeben zu
sein, ihr aber im stillen Vorwürfe machte, daß sie der-
artig gegen den Geschmack sündigte. Dieser Geschmack
aber war eben die Konvention, auf deutsch die Über-
einkunft der Empfindung für Ebenmaß nut der Gewohn-
heit, worin — wie wir heute mitleidig lächelnd sehen —
die Gewohnheit ein bedenkliches Übergewicht bekommen
hatte.
Zunächst mit keiner andern Konvention als dieser
tritt das Gefühl des einzelnen auch vor ein Kunstwerk
und ist, wie die Erfahrungen uns lehrten, darin sicher
genug, ein Mißverhältnis auf den ersten Blick als lächer-
lich festzustellen. Leider muß es dabei ein gutes Teil
seiner sonstigen Berechtigung entbehren, weil das
Kunstwerk kein beliebiges Stück Natur, sondern eine
vom Künstler gewollte rhythmische Ordnung vorstellt.
Die Erfahrung als Bestandteil der Konvention vermag
sich nur auf die gewohnte Anschauung anderer Kunst-
werke oder der im Bild dargestellten Gegenstände zu
stützen. Tatsächlich wird man denn auch in Laienurteilen
vor Kunstwerken immer wieder die beiden Beweisgründe
hören, daß es eine solche Beinstellung oder einen solchen


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