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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 5
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Mahrholz, Werner: Emil Strauß
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0177

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/T^mil Strauß.
I.
Die deutsche Literaturgeschichte kennt eine große
Anzahl von dichterischen Erscheinungen, deren Schaffen
sich abseits von der allgemeinen Zeitströmung vollzogen
hat; diese Dichter äußern sich weder romantisch noch
klassisch, weder rationalistisch noch mystisch, sondern sie
schaffen mit einfacher Natur feine und reine Kunstgebilde
als treue Arbeiter und redliche Künstler, ohne sich auf die
großen literarischen und geistigen Kämpfe einzulassen,
ohne literarischen Moden zu dienen, freilich auch ohne
bedeutende Neuerer im Seelischen und Formalen zu
sein. Was die Künstler dieser Art auszeichnet und sie
von den beweglichen Literaten scheidet, ist ihre seelische
Reinheit und Tiefe, ihre Bodenständigkeit und Redlich-
keit; was sie von den literarischen Führern trennt, ist ibr
Mangel an kühner Neuerung und seelisch-geistiger
Wucht, ihre Enge und Beschränkung, ihre Kampflosig-»
keit und Resignation. Ihr Kleinmcistertum entspringt
einer anständigen Selbstbescheidung und redlicher Arbeit
und so sind sie imbestenSinnedesWortes: Unterhaltungs-
schriftsteller für den besten Teil der Nation und, unter
günstigen Umständen: Volksschriftsteller in des Wortes
edelster Bedeutung. Um doch zur Verdeutlichung einige
Namen zu nennen: Schnabel, Musäus, Matthias Elau-
dius, I. P. Hebel im 18. Jahrhundert, Wilhelm Mein-
hold, Theodor Storm, Wilhelm Raabe im 19. Jahr-
hundert sind solche dichterischen Erscheinungen, und in
ihre Reihe gehört auch Emil Strauß, von dem heute die
Rede sein soll.
Uni die Wende des 20. Jahrhunderts hat man den
Begriff der Heimatskunst geprägt, als einen Gegensatz
zu der großstädtischen Literaten- und Asthetenkultur,
und man wollte damit andeuten, daß die Kunst aus einer
gewissen herben Bodenständigkeit stammen müsse und
nicht aus den vagen Spielen der Phantasie oder aus den
Reizbedürfnissen eines neuerungssüchtigen, modelüster-
nen Publikums. Man operierte in diesem Kampf gegen
die Literatenkunst sehr lebhaft mit den: Schlagwort
„gesund" und endete schließlich in einem banalen Spieß-
bürgertum mit idealistischem Einschlag. Auch gegen diese
Heimatskunstbewegung, die eine Zeitlang übrigens mit
echt moderner Paradoxie Modesache wurde, muß das
Lebenswerk Emil Strauß' abgegrenzt werden. Gewiß
gehört er mit einem Teile seines Wesens der Heimat,
wurzelt er im Stammestünilichen: er ist Schwabe,
Pforzheimer; er hat Kindheitserinnerungen und hängt
an ihnen, ja, viele Motive seines Dichtens sind aus Kind-
heitseindrücken gewonnen, sind von heimatlicher Luft
umweht; er kennt und liebt seine engere Heimat und ver-
wendet gern Motive und Typen aus ihr in seinen
Werken; viele seiner Erzählungen beginnen oder enden
in der Heimat. Aber dies Heimatliche ist doch nicht das
allein Bestimmende: Der Schwabe ist in Brasilien ge-
wesen und hat sich die Heimat einmal aus der Ferne
und Fremde betrachtet und sie sich so objektiv gemacht
und sich ihren Beschränktheiten entzogen; er hat die
tieferen Mysterien des Lebens gefühlt und hat dein
Rätsel des Menschenschicksals nachgesonnen: dabei ist
ihm dann die Unterscheidung des Wesentlichen und Un-

wesentlichen aufgegangen und er hat eingesehen, daß
die Erlebnisse des äußeren Tages, die Mißgeschicke und
Glücksfälle des bürgerlichen und privaten Lebens in
Hinsicht auf das Schicksal der Seele beiläufig und neben-
sächlich sind und daß im Grunde alles darauf ankommt,
wie der innerste Mensch, der im Sittlichen und Religiösen
seine Wurzel hat, sich zum äußeren Leben stellt, was er
sich daraus cnmimmt, und was für Konsequenzen er
daraus zieht, um so sein wirkliches innerstes Wesen in
seiner Reinheit herauszustellen.
II.
Als Emil Strauß 1898 mit zwei Novellen „Menschen-
wege" in die Literatur eintrat, war er bereits 32 Jahre
alt, war ein fertiger Mann, batte mancherlei von der
Welt gesehen und wußte, was er wollte. Er war, ent-
gegengesetzt zu dem Literaten, den Weg vom Leben zur
Dichtung gegangen, hatte Schicksale gesehen und erlebt,
ebe er anfing, Schicksale zu gestalten, und war in Brasilien
der Gefahr, in der Literatur um der Literatur willen
zu wirken, gründlich entgangen. So sind denn auch die
beiden Novellen der Erstlingsveröffentlichung merkwürdig
reif in der Empfindung und Darstellung und verraten
das literarische Anfängertun: eigentlich nur in der etwas
weitschweifigen, umständlichen Weise der Einführung.
In beiden Novellen lernt der Autor einen Mann kennen,
der ihm dann seine Lebensgeschichte, d. h. das, was für
seinen inneren Menschen bestimmendes Erlebnis ge-
worden ist, erzählt. Und wenn der Held der Novelle
„Auswanderer", der. nach seinen: gequälten Jugendleben
Rektor einer Mädchenschule wird, unglücklich heiratet
und sich, in einen: Anfall von Auflehnung gegen sein
bisheriges Leben, in einer überwältigenden Sehnsucht
nach Glück an einer schönen Schülerin vergreift und
schließlich, nachdem er seine ihn peinigende Umgebung
durch den Skandal gedemütigt hat, auswandert, am
Ende sagt: „Nein! ich möcht' es — nicht ungeschehen
machen", so ist damit das Grunderlebnis des Dichters
und seines Helden angedeutet. Man muß die Schick-
salsscbläge nehmen, wie sie kommen, muß fertig mit
ihnen werden und mutig weitcrgehen. „Wer weiß,
was zuletzt bleiben wird? Das Leben ist ein feiner,
feiner Filter; das Tröpflein Seele, das sich durch-
drängt und an: Ende hinaussickert, wird vielleicht so
klar sein, daß sich die rosige Sonne des andern Himmels
voll Freuden in ihn: spiegeln mag" (Menschenwege,
S. 168). Und ebenso ist's in der andern Novelle, wo sich
der Held die Geliebte durch sein Zuwarten verscherzt;
diese, ein reines, junges Kind, wird an einen reichen
Neger verheiratet, flüchtet in der Brautnacht voll Ekel
und ist seitdem verschollen. „Seitdem such' ich sie.
Deshalb reit' ich immer und immer in unserm Staat
umher." Aber auch hier sagt der Held an: Ende wieder
von sich: „Ich sagte vorhin: Mein Elend ; das war An-
wandlung, weiter nichts! Ich frage mich oft, ob ich denn
wirklich ein schöneres Leben haben könnte. Ist nur das
Beste nicht geblieben?" (Menschenwege, S. 244). Man
sieht hier schon deutlich die Gesinnung des Dichters:
Das Leben, die Ereignisse sind der Weg und die Antriebe
zur Seele — in der Seele aber erfüllt sich das Schicksal,
da zeigt es sich, was an einen: Menschen ist.

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