Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

DOI Heft:
Heft 7/8
DOI Artikel:
Dehmel, Paula: Mariä Gnaden
DOI Artikel:
Fries, Heinrich de: Der Schatten des Krieges über der Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0286

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Mariä Gnaden.

Durch diese Rede geschah es, daß die Murrköpfe
und Zweifler verstummten, und daß das Volk wieder
andächtiglich auf den Schmuck von Mariä Gnaden sah. —
Die Mutter Gottes aber lächelt unter ihrer Perlen-
krone wie einst und gibt und nimmt ihre Macht aus der
zeugenden Menschenseele, dem O.uell aller Schmerzen
und Gnaden.
er Schatten des Krieges
über der Kunst.
Es mag in unseren Tagen nicht zwecklos erscheinen,
den Einfluß des Krieges auf die Gestaltung der Kunst,
ihre Wertung in der Anschauung des Publikums und
ihre Wirkung in den Werken der Künstler zu verfolgen.
Und zwar ist es nicht nur das unmittelbare Ereignis des
Krieges, das hier sein Gewicht aufs schwerste fühlbar
macht, sondern seine jahrelange Drohung war von
nicht zu unterschätzendem Einfluß auf die Gestaltung des
künstlerischen Schaffens, ebenso wie dieses Schaffen noch
lange Zeit hernach unter seinen Wirkungen bitter leiden
wird. Heute erst, wo die ungeheure Eindruckskraft gegen-
wärtiger Ereignisse uns so aus dem Leben und Wirken
in künstlerischen Dingen herausreißt, daß wir nun,
weniger darin verwickelt wie zuvor, klarer zu sehen und
zu urteilen vermögen, mag uns die maßlose Verworren-
heit in Dingen der Kunstentwicklung vor dem Kriege un-
faßbar erscheinen. Und so ist eS aus diesem Empfinden
heraus üblich geworden, nun dieses Kunstleben der
jüngsten Vergangenheit in Bausch und Bogen zu ver-
urteilen, gleichsam 'm Gefühl einer Erlösung, den quälen-
den und unbefriedigenden Eindrücken dieser künst-
lerischen Entwicklungsperiode nicht mehr ausgesetzt zu
sein, dem Wunsche zuliebe, nicht als rückständig und unduld-
sam zu erscheinen, eine innere Abneigung und Fremdheit
nicht weiterhin unterdrücken zu müssen. Man mag nun
über diese Art Kunst denken wie man will — und es soll
hier nicht versucht werden, dem Leser eine Verteidigung
vorzusetzen, derer die Kunst in den Augen des Einsichtigen
kaum allzusehr bedarf — man wird nicht leugnen können,
daß der ständig wachsende, immer dunkler werdende
Schatten des nahenden Krieges auf die Gestaltung des
Kunstlebens der letzten Jahre einen Einfluß ausgeübt
hat, den wir beim Versuch einer gerechten Würdigung
und Wertung der jüngsten Kunst kaum außer acht lassen
dürfen.
Das letzte Jahrzehnt hat, anfangs weniger fühlbar,
in seiner zweiten Hälfte mit immer stärkerem Druck unter
der Drohung des ungeheuren Krieges gestanden, der
heute die Welt zerreißt. Die immer häufiger sich wieder-
holenden Krisen des Geldmarktes und die zunehmende
Unsicherheit aller Werte war auf die Gestaltung des
Kunstlebens von lähmender Wirkung. Man wende nicht
ein, daß der Wirtschaftsmarkt mit der Kunst nichts zu tun
habe. Allzuoft hat man gerade in den letzten Jahren mo-
dernen Künstlern mit mehr oder weniger Recht den Vor-
wurf gemacht, durch allzu enge Verknüpfung mit diesen
Dingen ihre Kunst zu kompromittieren. Tatsächlich er-
weisen diese persönlichen Auswüchse nur die Tatsachen
der sehr großen Bedingtheit des Kunstlebens durch die

wirtschaftliche Situation, von anderen selbstverständ-
lichen Dingen ganz zu schweigen. Die Neigung des
Kunstliebhabers und Käufers, wie die des Publikums
überhaupt zur Kunst setzt immer einen gewissen Grad
innerer Ruhe voraus, die Möglichkeit, sich seiner wirt-
schaftlichen Tätigkeit und Gedanken zeitweilig ent-
äußern zu können zugunsten des Wunsches, auch den see-
lischen Werten im Menschen auf irgendeine Art Ge-
nüge zu leisten. Kunst entspringt immer dem Bedürfnis
nach Ruhe, nach zeitlosen und darum unzerstörbaren
Werten in der immerwährenden Hast der Tage und Stun-
den, in der Not des inneren Lebens wie im Ringen mit
den Dingen, die der andern Seite dienen.
Dieses eben, das innere Wesen eines Dinges, seine
Schönheit, seinen untilgbaren Wert, befreit vom Zufall,
vom Allzuwirklichen und Alltäglichen, den absoluten
Wert seiner Idee in eine sinnliche faßbare Form zu
bannen, ist aller Kunst eigentlicher Sinn und Wert. Ein
Kunstwerk steht um so höher, je zeitloser es ist, das heißt je
unabhängiger seineWirkung ist, vom augenblicklichen äußer-
lichen Gehaben, vom Stoff, vom Inhalt, von der Mode
seiner Gestaltung. Es ist hier vielleicht einer der Haupt-
gründe, warum den wechselnden Kunstmoden der letzten
Jahre nur so wenig Gönner beschieden waren. Denn
ihre Absicht, gerade nicht Ruhe zu geben, sondern an-
zureizen, Ruhe zu nehmen, das Sprunghafte,Momentane,
Augenblickliche zum Wert zu erheben, inmitten der an
sich schon übergroßen Hast des täglichen Daseins, trug
nichts in sich, was Ruhe, Wert, Sichbesinnen, Sichver-
tiefen verheißt. Die ungeheure, immer mehr gesteigerte
Rastlosigkeit des Lebens der Gegenwart noch anzureizen
und zu steigern, die innere Zerrissenheit zu vermehren,
die stetig wechselnde Vielgestaltung noch ins Grenzenlose
zu häufen, war das Ziel dieser Kunst, die für die Dauer
nicht aus sich zu schenken fähig war. Und Kunst, die nicht
irgendwie einen inneren Wertzuwachs, ein ewiges Ge-
schenk bedeutet, verdient ihren Namen nicht.
Es ist möglich, daß eben die Unrast der letzten Jahre,
die stetige Vorahnung der ungeheuren Katastrophe der
Gegenwart, die Kunst in diese Richtung gedrängt, ihr
ein inneres Durchdringen unmöglich gemacht, die Hetze
zur Notwendigkeit erheben mußte. Denn eben die in
den wirtschaftlichen Verhältnissen begründete wachsende
Unsicherheit gegenüber der Kunst mag — nun aus
wirtschaftlichen Interessen der Künstler zum Teil — zu
den Notwendigkeiten geführt haben, durch Aufmachung,
durch Bluff, durch tausend Variationen des Stoffes und
der Technik bis in die unglaublichsten Formen hinein sich
dem Kunstliebhaber, dem Käufer, dem Publikum immer
wieder in anderer Form in den Weg zu stellen, es auf-
zureizen, es zu überschreien. Das Krampfartige dieses
ganzen Schaffens, das allzulaute, allzusehr vom Künstler
selbst angepriesene Wesen eines großen Teils der Kunst
der letzten Jahre, hätte einem auf sich selbst beharrenden
Geist dieses ganze Treiben verdächtig machen müssen,
Aber der Wunsch, um Gotteswillen nur nicht unmodern,
nicht rückständig zu erscheinen, hat in den meisten Fällen
den Rest eines inneren Widerstrebens besiegt.
Heute ändert sich das Bild. Das Bewußtsein von
der absoluten Leere des ganzen Gehabens ist heute so
stark, daß man beinahe staunen muß über die Zahl derer,


2?2
 
Annotationen