Die werdende Form.
Jur Entwicklung der modernen Baukunst.
er Charakter der modernen Baukunst und damit
Ursprung und Endziel ihrer Tendenz scheint bei
oberflächlicher Betrachtung mit Leichtigkeit zu
bestimmen. Seitdem Henry van der Velde seine Bekennt-
nis- und Programmschriften der Öffentlichkeit übergab,
verschwindet das Schlagwort von der „Iweckform" nicht
mehr aus dem Munde der Laien und aus den Betrach-
tungen der Jünftigen, der Architekten und Kritiker. Wir
könnten uns ja eigentlich freuen, daß dieses Programm an
Einfachheit, Schlichtheit und Überzeugtheit gegenüber
allen vergangenen Stilepochen einen Rekord aufstellt, der
dein so ungemein bewußten Bedürfnis der Gegenwart
nach schlichten und konkreten Begriffen nichts zu wünschen
übrig läßt.
Ein weiteres Eingehen auf diesen Begriff und der
rein ideelle Versuch einer konsequenten Durchführung
würde zwar jeden Denkenden sehr schnell von seiner
Haltlosigkeit überzeugen, aber die große Übereinstimmung
und die mit noch größerem Selbstbewußtsein geübte
Betonung des Schlagwortes der Iweckform seitens der
Architekten überhebt das hastende Jeitalter ja der Not-
wendigkeit, selbst zu denken.
So erscheint es als erstes Erfordernis der Klärung
von Wegen und Iielen der modernen Baukunst, die
Hindernisse Hinwegzuräumen, die einer solchen Betrach-
tung im Wege stehen, ehe an die Aufgabe selbst gedacht
werden kann. So sei das Wesen der „Iweckform" hier
näher kritisch beleuchtet. — Junächst: Der Begriff der
Iweckform ist keine durchaus neue und einzigartige Er-
rungenschaft der Jahrhundertwende, sondern er ist der
natürliche und selbstverständliche Grundbegriff aller
Gewerbekunst einschließlich der Architektur aller Jeiten
überhaupt. Seine Neugeburt und seine starke Be-
tonung beruht allein auf der sehr richtigen Erkenntnis,
daß der völligen kunstgewerblichen Verirrung des
19. Jahrhunderts, der ein ähnliches Beispiel kaum
an die Seite gestellt werden kann, in der Erkenntnis
bitterster Notwendigkeit der Begriff der Iweckform
als Gegensatz und Damm gegenübergestellt werden
mußte. So war die Betonung der Iweckform weit
mehr ein Protest gegen die Vergangenheit, als ein Pro-
gramm für die Jukunft. Und wir haben keinen Grund,
den Produkten dieses Schlagwortes aus der Jeit der
Wiedergeburt des Kunstgewerbes einen besonderen
künstlerischen Wert zuzumessen. Im Gegenteil. Dennoch
sei keineswegs verkannt, daß eben das Programm der
Iweckform in jener Epoche einer außerordentlich ernsten
Notwendigkeit entsprochen und als bestimmender Faktor
der Reorganisation seinen hohen Wert erwiesen hat.
Nur leistet es dem Kunstwillen der Gegenwart und
der Jukunft bei weitem kein Genüge und kann es auch
nicht, wie ein näheres Eingehen auf diesen Begriff erweist.
Daß ein kunstgewerbliches oder baukünstlerisches Er-
zeugnis einen praktischen Iweck zu erfüllen hat, ist eine
Selbstverständlichkeit, aber mit der idealen Erfüllung
eines praktischen Iweckes ist dem Gegenstand noch nicht
der geringste Kunstwert gegeben. Ein Turbinenmotor,
eine Eisenbrücke sind wundervolle Iweckobjekte, nur
keine Kunstwerke. So muß die Erreichung künstlerischer
Schönheit auf einem anderen Wege liegen, als auf dem
einer vollendeten Erfüllung der praktisch gegebenen
Aufgabe.
Die Erfüllung der praktischen Notwendigkeit durch
einen Gegenstand, durch Bauwerke usw. bildet erst die
notwendigste Voraussetzung für seine künstlerische Be-
handlung, die nun von einem rein psychischen Standpunkt
die materiell gegebene Form der ideell künstlerischen
Vorstellung einzuformen versucht. Es erscheint über-
flüssig zu betonen, daß in der Praxis eine scharfe Ab-
grenzung beider Begriffe nicht bestehen kann, sondern
Parallelismen und Überschneidungen beim Schöpfungs-
vorgang im gleichen Gehirn selbstverständlich sind. Immer-
hin hat der Kunstwille die praktische Form, wenn auch
unbewußt, zur ersten Voraussetzung. Das muß festge-
halten werden.
Mit dem Begriff der Iweckform fallen auch die üb-
lichen Folgerungen zusammen, die durch ihre außerordent-
lich häufige Wiederholung auch dem Laien geläufig sind:
daß nämlich die Errungenschaften der Technik für die
moderne Bauform bestimmend wären, daß Eisen, Beton
und Glas durch ihre praktisch gegebene Verwendung den
künstlerischen, also ästhetischen Eindruck des Objektes
bestimmten. Nun setzt der Eindruck die Einfühlung voraus,
die Möglichkeit der Einfühlung aber den Ausdruck. Der
Ausdruck aber, ebenso wie Einfühlung und Eindruck, ist
eine seelische Funktion und es ist zum mindesten zweifel-
haft, ob Beton, Eisen und Glas an sich eine seelische
Funktion auszuüben imstande sind. Also — nicht die
Eigenart der Materialien bestimmt den künstlerischen
Eindruck, sondern die ganz bestimmten Formen, Verhält-
nisse und Beziehungen zueinander, die der Künstler
durch einen seelischen Schöpfungsakt hindurch den Ma-
terialien verliehen hat. Mit einem Wort: Es sei fest-
gestellt, daß niemals technische Kenntnisse und Errungen-
schaften, die ja zu allen Jeiten und nicht erst heute Fort-
schritte gemacht haben, den künstlerischen Ausdruck einer
Epoche bestimmen, sondern daß dieser Kunstwille als
rein seelisches Element in den Epochen wie in jedem
einzelnen Kunstwerk u priori gegeben sein muß, die Not-
wendigkeit eines bestimmten Ausdrucks aber die tech-
nische Neuerung zur Folge hat, niemals aber zur Vor-
aussetzung. Diese Tatsache kann heute nicht stark genug
betont werden.
Es ist nun schließlich so — und das wird allzuleicht
vergessen —, daß jede Form ihren Wert oder Unwert
nicht als etwas Definitives hat. Jede einzelne ist nur
ein Punkt einer großen Entwicklung, und unter diesem
Gesichtswinkel kommen Dinge zum Wert, die als allzu
hart und programmatisch kaum den Beifall der Heutigen
finden, anderseits erfahren die begreiflicherweise stets
zu hoch geschätzten Formen einer Gegenwart gerechtere
Beleuchtung. — Auch die Periode der Iweckform ist
verwoben in diese Kette einer logischen Entwicklung als
ein Glied, das unentbehrlich war und seinen Iweck
erfüllte. Sie schuf eine Basis, ohne einen Weg weisen
zu können. Denn dieser Weg wurde bereits vorher durch
iri Z
Jur Entwicklung der modernen Baukunst.
er Charakter der modernen Baukunst und damit
Ursprung und Endziel ihrer Tendenz scheint bei
oberflächlicher Betrachtung mit Leichtigkeit zu
bestimmen. Seitdem Henry van der Velde seine Bekennt-
nis- und Programmschriften der Öffentlichkeit übergab,
verschwindet das Schlagwort von der „Iweckform" nicht
mehr aus dem Munde der Laien und aus den Betrach-
tungen der Jünftigen, der Architekten und Kritiker. Wir
könnten uns ja eigentlich freuen, daß dieses Programm an
Einfachheit, Schlichtheit und Überzeugtheit gegenüber
allen vergangenen Stilepochen einen Rekord aufstellt, der
dein so ungemein bewußten Bedürfnis der Gegenwart
nach schlichten und konkreten Begriffen nichts zu wünschen
übrig läßt.
Ein weiteres Eingehen auf diesen Begriff und der
rein ideelle Versuch einer konsequenten Durchführung
würde zwar jeden Denkenden sehr schnell von seiner
Haltlosigkeit überzeugen, aber die große Übereinstimmung
und die mit noch größerem Selbstbewußtsein geübte
Betonung des Schlagwortes der Iweckform seitens der
Architekten überhebt das hastende Jeitalter ja der Not-
wendigkeit, selbst zu denken.
So erscheint es als erstes Erfordernis der Klärung
von Wegen und Iielen der modernen Baukunst, die
Hindernisse Hinwegzuräumen, die einer solchen Betrach-
tung im Wege stehen, ehe an die Aufgabe selbst gedacht
werden kann. So sei das Wesen der „Iweckform" hier
näher kritisch beleuchtet. — Junächst: Der Begriff der
Iweckform ist keine durchaus neue und einzigartige Er-
rungenschaft der Jahrhundertwende, sondern er ist der
natürliche und selbstverständliche Grundbegriff aller
Gewerbekunst einschließlich der Architektur aller Jeiten
überhaupt. Seine Neugeburt und seine starke Be-
tonung beruht allein auf der sehr richtigen Erkenntnis,
daß der völligen kunstgewerblichen Verirrung des
19. Jahrhunderts, der ein ähnliches Beispiel kaum
an die Seite gestellt werden kann, in der Erkenntnis
bitterster Notwendigkeit der Begriff der Iweckform
als Gegensatz und Damm gegenübergestellt werden
mußte. So war die Betonung der Iweckform weit
mehr ein Protest gegen die Vergangenheit, als ein Pro-
gramm für die Jukunft. Und wir haben keinen Grund,
den Produkten dieses Schlagwortes aus der Jeit der
Wiedergeburt des Kunstgewerbes einen besonderen
künstlerischen Wert zuzumessen. Im Gegenteil. Dennoch
sei keineswegs verkannt, daß eben das Programm der
Iweckform in jener Epoche einer außerordentlich ernsten
Notwendigkeit entsprochen und als bestimmender Faktor
der Reorganisation seinen hohen Wert erwiesen hat.
Nur leistet es dem Kunstwillen der Gegenwart und
der Jukunft bei weitem kein Genüge und kann es auch
nicht, wie ein näheres Eingehen auf diesen Begriff erweist.
Daß ein kunstgewerbliches oder baukünstlerisches Er-
zeugnis einen praktischen Iweck zu erfüllen hat, ist eine
Selbstverständlichkeit, aber mit der idealen Erfüllung
eines praktischen Iweckes ist dem Gegenstand noch nicht
der geringste Kunstwert gegeben. Ein Turbinenmotor,
eine Eisenbrücke sind wundervolle Iweckobjekte, nur
keine Kunstwerke. So muß die Erreichung künstlerischer
Schönheit auf einem anderen Wege liegen, als auf dem
einer vollendeten Erfüllung der praktisch gegebenen
Aufgabe.
Die Erfüllung der praktischen Notwendigkeit durch
einen Gegenstand, durch Bauwerke usw. bildet erst die
notwendigste Voraussetzung für seine künstlerische Be-
handlung, die nun von einem rein psychischen Standpunkt
die materiell gegebene Form der ideell künstlerischen
Vorstellung einzuformen versucht. Es erscheint über-
flüssig zu betonen, daß in der Praxis eine scharfe Ab-
grenzung beider Begriffe nicht bestehen kann, sondern
Parallelismen und Überschneidungen beim Schöpfungs-
vorgang im gleichen Gehirn selbstverständlich sind. Immer-
hin hat der Kunstwille die praktische Form, wenn auch
unbewußt, zur ersten Voraussetzung. Das muß festge-
halten werden.
Mit dem Begriff der Iweckform fallen auch die üb-
lichen Folgerungen zusammen, die durch ihre außerordent-
lich häufige Wiederholung auch dem Laien geläufig sind:
daß nämlich die Errungenschaften der Technik für die
moderne Bauform bestimmend wären, daß Eisen, Beton
und Glas durch ihre praktisch gegebene Verwendung den
künstlerischen, also ästhetischen Eindruck des Objektes
bestimmten. Nun setzt der Eindruck die Einfühlung voraus,
die Möglichkeit der Einfühlung aber den Ausdruck. Der
Ausdruck aber, ebenso wie Einfühlung und Eindruck, ist
eine seelische Funktion und es ist zum mindesten zweifel-
haft, ob Beton, Eisen und Glas an sich eine seelische
Funktion auszuüben imstande sind. Also — nicht die
Eigenart der Materialien bestimmt den künstlerischen
Eindruck, sondern die ganz bestimmten Formen, Verhält-
nisse und Beziehungen zueinander, die der Künstler
durch einen seelischen Schöpfungsakt hindurch den Ma-
terialien verliehen hat. Mit einem Wort: Es sei fest-
gestellt, daß niemals technische Kenntnisse und Errungen-
schaften, die ja zu allen Jeiten und nicht erst heute Fort-
schritte gemacht haben, den künstlerischen Ausdruck einer
Epoche bestimmen, sondern daß dieser Kunstwille als
rein seelisches Element in den Epochen wie in jedem
einzelnen Kunstwerk u priori gegeben sein muß, die Not-
wendigkeit eines bestimmten Ausdrucks aber die tech-
nische Neuerung zur Folge hat, niemals aber zur Vor-
aussetzung. Diese Tatsache kann heute nicht stark genug
betont werden.
Es ist nun schließlich so — und das wird allzuleicht
vergessen —, daß jede Form ihren Wert oder Unwert
nicht als etwas Definitives hat. Jede einzelne ist nur
ein Punkt einer großen Entwicklung, und unter diesem
Gesichtswinkel kommen Dinge zum Wert, die als allzu
hart und programmatisch kaum den Beifall der Heutigen
finden, anderseits erfahren die begreiflicherweise stets
zu hoch geschätzten Formen einer Gegenwart gerechtere
Beleuchtung. — Auch die Periode der Iweckform ist
verwoben in diese Kette einer logischen Entwicklung als
ein Glied, das unentbehrlich war und seinen Iweck
erfüllte. Sie schuf eine Basis, ohne einen Weg weisen
zu können. Denn dieser Weg wurde bereits vorher durch
iri Z