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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 2
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Zimmermann, Albert: Der Hase
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0083

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Der Hase.

mit dämonischer Gewalt. Man schrie sich die Hurras aus
der Brust, als verlöre man dadurch an Gewicht, man
reckte sich lang auf, wollte auch empor — hoch — und
ahnte, welch beseligendes Kraftgefühl die Höhe in sich
schließen mußte.
Aber auf einmal senkte es sich wie eine Wolke von
Unheimlichkeit auf die kleine Menschenherde. Die Hellen,
begeisterten Laute rissen mitten entzwei und blieben zur
Hälfte in den Kehlen stecken — und die himmelan streben-
den Körper wurden schwer und drückten sich wieder tief
in den Erdboden hinein.
Das war, als der Apparat, zur Schleife umwendend,
sich einen Augenblick schräg zur Seite neigte, und dann,
kaum fünfzig Meter hoch, in der Richtung auf sie los-
schoß. Man sah nun das Zittern und Schüttern des Flug-
zeuges — unheimlicher verstärkte sich das Rattern und
Fauchen — wilder und wilder fuhr das Sausen und
Brausen durch die Luft, fast konnte man meinen, es
habe der Sturm, der wesenlos sonst durch die Ebene
schnob. Gestalt genommen. Man sah nun die Arbeit,
die bewältigt werden mußte, und hatte keinen Maßstab,
ihre wahrhafte Größe zu ermessen. So sagte man leicht:
Das kann nicht und kann nicht geschafft werden! Und
wie es heranraste, finster die Sonne abschattete,
riesenhaft wuchs, unförmig, gespenstisch wurde, da ver-
wünschte man das Hochstreben, da erkannte man klar,
daß es lästerlich sei, und hätte mögen den Wassergraben
über sich heben zu Schutz und Trutz.

Aber der Flieger, der bei alledem, was seine Zuschauer
in einen Bann von Befürchtungen schlug, seine gute
Laune wiedergefunden zu haben schien, winkte mit dem
Arm aus seinem Schiffchen und zog rasch höher steigend
davon.
Wie das Flugzeug, ohne zu stürzen und sie zu zer-
schmettern, über sie hingezogen war, atmeten die schwer
Bedrückten wohl wieder freier, aber das Weitschichtige,
das die letzte Viertelstunde hart in sich zusammengepreßt
hatte, umklammerte sie noch. War es auch kein Wunder
gewesen, das sich verwirklicht hatte, so doch eine Wirklich-
keit, die sich ins Wunderbare emporgehoben hatte.
Mochten sie auch dem Hochstreben geflucht haben, einmal
hatten sie doch sich über den Boden gereckt — und fremd
kehrt immer jeder zurück.
So starrten sie hoch und hernieder, und niemand
wußte, was jetzt würde — was er nun sollte. —
Da plötzlich ein Schrei: ,/n Hoas! — R Hoas!"
Und dieses Zauberwortes Hauch brachte Entbannung,
und jeder wußte nun, was er sollte.
Fremd ist ein Augenblick dem andern, denn zwischen
ihnen liegt eine Ewigkeit.
Während in ferner Höhe der Flieger zwischen den
Wolken verschwand, lieferte man dem aufgeschreckten
Häschen eine Schlacht; und unter Kreischen und Schreien
wetteiferten Geistesgegenwart, Mut und Behendigkeit
hitzig miteinander, sich den nützlichen Braten mit auf-
gerafften Knütteln und Steinen zu ersiegen. f592(j

Flügel und die Geige.
Don Ilse Bartels.
An dem Wege, der zum Walde führt, liegt ein kleines Haus,
ein wenig abseits von den andern. Unten steht ein großer schwarzer
Flügel, oben liegt eine braune Geige im grünsamtenen Bett.
Am Abend geht oben der Bogen über die Saiten, aber sie
klingen rauh, als seien sie heiser.
Der Flügel zeigt seine blendend weißen Zähne. „Du bist ja
heiser," ruft er hell und hart, „du kannst wohl nicht mehr singen!"
Ein Trillern auf der Geige — wie ein Kichern —, und leicht
und federnd hüpft eine Melodie über die Saiten. „Sieh, wie leicht
mein Lied ist," singt sie. Immer eifriger wird sie und schwirrender.
„Silbern wie eine Möwe fliege ich, hoch, hoch, in den blauen Himmel.
Siehst du mein Blitzen?"
Da klingt ein perlendes Lachen über die weißen Zähne des
Flügels. „Dein Lied soll leicht sein?" ruft er höhnend. „Cs hüpft
wohl auf deinen Saiten, aber es klingt ja nicht." — Und dann
tropft und perlt es aus seiner Brust, Helle, Helle runde Tropfen.
Wie wenn man einen Baum schüttelt, in den über Nacht der Tau
gesunken, und nun fallen die Hellen, klaren Tropfen auf den Kies.
Die Geige staunt und wird still. Der Bogen geht wieder rauh
über ihre Saiten, daß der Flügel immer Heller lacht, und es nur so
über seine Zähne springt und rollt. Dazwischen horcht er mal
hinauf und wird dann immer munterer, als hätte er eine herrliche
Wette gewonnen.
Immer noch geht der Bogen suchend über die Saiten. — „Und
sieh mal," ruft der Flügel wichtig belehrend weiter, „deine Saiten
sind so arm, sie können wenig sagen, aber auf mir, da kann ein Orkan
toben, da können sich alle Leidenschaften entfesseln in unzähligen
Stimmen. Eine Welt schläft in mir." — Cs geht ein mächtiges
Wogen über den Flügel, wie das Branden eines Meeres. Wie das
Schicksal hämmert der Baß, und aus den hohen Tönen ruft es
klagend und erregt.
Die Geige hat ihn wohl ganz vergessen. Sie hört garnicht
mehr auf den ehrgeizigen Flügel da unten, der herb und trocken
weiter hämmert.

Sie sah eben, wie die Nacht mit weiten Augen vor ihrem Fenster
stand, und atmete den schweren Duft der Wälder, der auf ihren
Haaren lag. Sie sieht ihr sehnend nach und summt leise vor sich
hin, als wenn sie träume. Und schmerzvoll und traurig ist ihr
Träumen. Eine Klage bebt in der Tiefe, ein Schleier liegt darauf
und deckt sie zu. Sie bäumt sich auf und sinkt wieder zurück, — der
Schleier erstickt sie. Da hebt sie sich gewaltig, zerreißt mit heißer
Hand den Schleier, wächst empor und ringt die Hände. Wächst
empor bis zum Himmelsrande, wo der letzte Schein der Sonne sie
umglutet.
Der Flügel horcht, — erbebt — und schweigt. Dann murmelt
er vor sich hin und nur manchmal noch kommt ein Heller Ton einer
verlorenen Melodie. Wie eine Perlenkette, die zerrissen ward, und
hie und da liegt noch eine Perle von edlem Glanz. „Kleine Geige,"
murmelt er. „Kleine, braune Geige, wie du klagst. Du bist die
Seele. Ich bin leer wie ein Grab, wenn du singst. Kleine, braune
Geige."
Immer stockender wird das Murmeln, eine schwarze Lippe
schließt sich über die weißen Zähne. Stumm und schwarz steht der
Flügel, — wie ein Grab.
Der Geige Klage senkt die ringenden Hände. Sie beugt das
Haupt in bebendem Schluchzen und sinkt in die Knie. Ein in-
brünstiges Flehen steigt aus ihrer Brust.
Dann ein Streichen, weich und leise, wie wenn man sinnend
und müde die Haare aus der Stirne streicht — und sie verstummt.
Und die Nacht steht mit traumtiefen Augen vor dem kleinen
Hause, an dem der Weg vorbei zum Walde führt.
einrich Wölfflin:
KunftgeschichLlicke Grundbegriffe*.
Die neue Arbeit Wölfslins wird begeisterte Aufnahme finden.
Sie führt uns in das Wesen der klassischen Kunst (der des 16. Jahr-
hunderts) und in das der barocken (der des 17. Jahrhunderts) mit
einer Eindringlichkeit ein, wie keine andere es zuvor vermocht hat.
* München 1915.


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